Ein Jahr «Anarcho-Kapitalismus»Armes Argentinien. Drei Jahre unter Javier Milei stehen noch bevor
Der libertäre Staatschef hat sein Land radikal umgebaut. Schaut man genau hin, ist seine Bilanz ziemlich glanzlos.
Als Javier Milei am 10. Dezember 2023 sein Amt als Präsident von Argentinien antrat, versprach er seinem Land ein Sparprogramm, wie es die Welt noch nicht gesehen hat. Subventionen wurden gekürzt, Ministerien abgeschafft, Behörden geschlossen und staatliche Bauvorhaben auf Eis gelegt. Kettensäge allüberall.
Die Folgen sind unübersehbar: Die Inflation ist gesunken, und erstmals seit etwa eineinhalb Jahrzehnten konnte Argentinien unter Milei wieder einen Haushaltsüberschuss präsentieren. Seine Fans jubeln, und schon werden auch in europäischen Ländern Forderungen laut, man solle sich doch bitte schön ein Beispiel daran nehmen und etwas «mehr Milei wagen». Das aber wäre ein Fehler. Denn der rechtslibertäre Staatschef ist kein Vorbild, sondern eine Gefahr.
Das fängt schon damit an, dass all die schönen Wirtschaftsdaten schnell an Glanz verlieren, wenn man sie sich genauer ansieht. So ist die Inflation vor allem auch deshalb gesunken, weil der Konsum eingebrochen ist: Wenn Kunden nichts mehr kaufen, senken Ladenbesitzer notgedrungen die Preise. Ähnlich verhält es sich mit dem Haushaltsüberschuss. Er beruht nicht auf mehr Einnahmen, sondern auf weniger Ausgaben, 40 Prozent allein im Bildungsbereich. Man rettet ein Land so vielleicht kurzfristig vor einer Krise – fit für die Zukunft wird es so aber nicht.
Mileis blinder Glaube an die Meritokratie
Javier Milei nennt sich selbst einen «Anarcho-Kapitalisten». Er will den Staat radikal schrumpfen, zugunsten des Marktes und im blinden Glauben an die Meritokratie: Reich wird der, der hart arbeitet. Eine nette Idee – nur leider weit entfernt von der Realität in Südamerika, einer Region, in der Wohlstand so ungerecht verteilt ist wie kaum sonst irgendwo auf der Welt. Milei wird daran nichts ändern, im Gegenteil. Er schafft keine Chancen, sondern nur noch höhere Hürden. Firmenbesitzer schliessen jetzt ihre Fabriken, weil es profitabler ist, Waren aus dem Ausland zu importieren. Fliessbänder stehen still, ganze Familien stehen auf der Strasse. Steigende Arbeitslosenzahlen, wachsende Armut: Auch das ist Argentinien nach Jahr eins unter Präsident Milei.
Der Staatschef selbst, sein Umfeld und seine Fans reagieren auf diese Kritik meist nur mit dem Ausspruch «No la ven», ihr kapiert es einfach nicht! Spätestens hier ist man dann beim zweiten und vielleicht viel gravierenderen Schwachpunkt von Javier Milei und seiner Politik. Es geht längst nicht mehr um Fakten, es geht um Glauben, nicht um neue Ideen, sondern um eine Ideologie.
Die sozialen Gräben sind noch viel tiefer geworden
Milei sieht sich in einen Kulturkampf, Kommunismus gegen Kapitalismus. Das ist eine bedrohliche Entwicklung und ein besorgniserregender Rückschritt für ein Land, in dem das Ende der Diktatur gerade einmal vier Jahrzehnte zurückliegt. Damals wähnten sich rechte Militärs in einem Krieg gegen eine vermeintliche linke Weltverschwörung, sie entführten, folterten und ermordeten deshalb Zehntausende Menschen.
Lange war Argentinien ein Vorbild bei der Aufarbeitung der Verbrechen jener dunklen Zeit. Milei relativiert diese nun, und seine Regierung kürzt bei der Erinnerungsarbeit – «No hay plata», tut uns leid, das Geld ist alle. Nur: Für aufwendige Militärparaden gibt es noch Mittel, ebenso für Internetclips, um die linke Vorgängerregierung zu verunglimpfen.
Die sozialen Gräben sind noch viel tiefer geworden unter Javier Milei. Ein Jahr im Amt hat er schon hinter sich. Drei weitere stehen Argentinien noch bevor.
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