AboKrogerus & Tschäppeler über EffizienzWarum sind alle so busy?
Zwei Forscher untersuchen das Arbeitsverhalten von Anwälten in einer berühmten Londoner Kanzlei und gehen der Frage nach: Wann ist man optimal beschäftigt?

Letzte Woche schrieben wir an dieser Stelle über die vier Arten des Arbeitens – Schaukelpferd (viel Einsatz, wenig Ertrag), Hängematte (wenig Einsatz, wenig Ertrag), Trittbrett (wenig Einsatz, viel Ertrag) und Trampolin (viel Einsatz, viel Ertrag).
Eine Leserin erzählte uns daraufhin, dass die Trampolin-Metapher sie an einen Zustand erinnere, der in der Forschung optimal busyness, also in etwa «optimales Beschäftigtsein» genannt wird.
Der Begriff stammt von zwei Forschenden, von der Französin Ioana Lupu und dem Finnen Joonas Rokka (im Zeichen der krisenhaften transatlantischen Stimmung besprechen wir also für einmal eine europäische Studie).
Ihr Thema: Warum sind alle so busy?
Untersucht haben sie die Frage anhand des Arbeitsverhaltens von Angestellten in internationalen Beratungs- und Anwaltsfirmen in London. Also absolute Highperformer. Die Hälfte waren Frauen, die andere Hälfte Männer, fast alle hatten Familie. Sie waren also gut ausgebildet – und sie litten unter Zeitmangel. Aber nicht das übliche jammernde «ich hab so viel zu tun, aber so wenig Zeit», nein, sie hatten ein komplexes Verhältnis zu ihrer Arbeit, das sich darin Ausdruck suchte, dass sie eine tiefe Befriedigung erlebten, wenn sie viel zu tun hatten. In den Worten einer Direktorin der untersuchten Firmen: «In gewisser Weise sind die intensiveren Phasen besser und angenehmer, weil es viel, viel einfacher ist, sich zu konzentrieren und weiterzumachen, wenn man viel auf dem Zettel hat und Fristen einhalten muss. »
Das heisst: Selbst wenn von aussen betrachtet vielleicht ihre Work-Life-Balance nicht stimmte, war ihr eine intensive Arbeitsphase lieber als eine ruhige.
Gesucht: «optimales Beschäftigtsein»
«Die vorherrschende Erzählung in der Forschung und in den Medien ist, dass die Menschen ihren Lebensstil entschleunigen wollen», schreiben die Forschenden, «aber unsere Untersuchung zeigt ein anderes Bild: Die Befragten hatten nicht den Wunsch, weniger zu arbeiten. Stattdessen suchten sie etwas anderes: optimales Beschäftigtsein.»
Achtung! Falls Sie an dieser Stelle die Augen verdrehen und «Workaholic» denken, lassen Sie uns das Ganze etwas genauer anschauen. Denn kennen wir nicht auch von uns selbst die Befriedigung, die Momente intensiver Arbeit auslösen? Jenes Gefühl des Tunnels, wenn wir so vertieft sind, dass wir Zeit und Raum vergessen und ganz in unserer Tätigkeit aufgehen? Dieses Gefühl, vom US-Psychologen Mihály Csíkszentmihályi «Flow» genannt, wenn der Weg mehr Freude bereitet als das Ziel, wenn die Tätigkeit nicht ein Mittel zum Zweck ist, sondern selbst den Zweck darstellt? Es ist ein intensiver, vielleicht sogar stressiger Zustand, aber wir erleben ihn als angenehm, weil es mitunter schon auch ganz gut sein kann, wenn es ein bisschen ballert im Job, oder?
Die Forschenden fragten nun: Was ist der Treiber dieses Busy-Seins?
Der stärkste Impuls kommt vom Arbeitgeber. Er hat natürlich Interesse daran, dass seine Leute intensiv arbeiten. Beeinflussen kann er es, so die Forschenden, mit drei verschiedenen Hebeln (und jede Ähnlichkeit mit Ihrem Arbeitgeber hat dieser sich selbst zuzuschreiben):
Zeitstruktur: Mit Zielvorgaben (KPIs) und Zeiterfassung werden die Angestellten dazu angehalten, viel Arbeit in wenig Zeit zu erledigen. Und vor allem: Dinge zu tun, die sich rechnen, die man verrechnen kann und alles andere («non-billable» Aktivitäten) zu unterlassen.
Zeitverknappung: Wenn wir das Gefühl haben, wenig Zeit zu haben, erhöht sich die Dringlichkeit. Wir arbeiten schneller, wir arbeiten konzentrierter. Aber das führt auch dazu, dass wir nur noch die unmittelbare Aufgabe im Blick haben und nicht mehr die langfristige Wertschöpfung, die übergeordnete Strategie oder, Pardon, den Sinn des Ganzen.
Zeitsynchronisation: Die Unternehmen stellen Laptops und Smartphones und Produktivitätssoftware zur Verfügung. Das ist nice. Aber die Folgen kennt jeder, der schon mal nachts aufgewacht ist und auf der Toilette Jobmails gelesen hat: Wir sind immer erreichbar, immer on, immer im Job. Alle Zeit wird potenziell zu Arbeitszeit.
Man braucht kein Psychologiestudium, um zu verstehen, dass diese Hebel einen in den Wahnsinn treiben können. Das Interessante an der Untersuchung aber war nun: Es gab einen Sweetspot, an dem die Angestellten diesen Druck als angenehm empfanden. Wenn sie gefordert waren und es schafften, das Tempo mitzugehen, die Aufgaben zu erledigen, die Ziele zu erreichen, dann erlebten sie einen rauschähnlichen Zustand.
Drei Arten des Beschäftigtseins
Aber um das Tempo mitzugehen, mussten die Leute schon bald nachhelfen: Sie versuchten, ihre Leistungsfähigkeit mit Kaffee, aber auch mit Antidepressiva zu verbessern. Abends arbeiteten sie zu Hause weiter, stimulierten sich mithilfe von Alkohol, vernachlässigten ihr Sozialleben. Sie waren dabei energetisiert, auch wenn sie insgeheim spürten, dass es grad sehr viel wird. Aber sie redeten sich ein, dass das hier nur eine Phase sei, dass bald eine andere käme, in der sie sich entspannen könnten. Das aber, notierten die Forschenden trocken, war eher Wunschdenken.
Sie beobachteten schliesslich drei Arten des Beschäftigtseins (siehe Bild):
Optimales Beschäftigtsein: Der beschwingte Zustand, in dem man sich produktiv fühlt. Man schafft viel, die To-dos werden abgehakt, die E-Mails beantwortet, konstante kleine Erfolgserlebnisse treiben einen weiter. Man hat das Gefühl, Herr über seine Zeit zu sein.
Unterbeschäftigtsein: Ferien, Sabbatical, ruhigere Arbeitsphasen: Wenn die Hektik erst mal runtergefahren wurde, erlebten die Teilnehmenden das paradoxerweise nicht als entspannend, sondern als langweilig, störend, beunruhigend. Das Tätigsein an sich, nicht die Erholung davon, war ihr Element. Der Gedanke an ein langsameres Arbeitstempo ist also keine Aussicht auf Verbesserung, sondern eine Quelle der Besorgnis.
Exzessives Beschäftigtsein: Das Viele wird zu viel. Das angenehme optimale Beschäftigtsein kippt in den roten Bereich, man verliert die Kontrolle über seine Zeit. Freude und Enthusiasmus werden verdrängt von einer körperlichen und geistigen Erschöpfung.
Wenn man sich die drei Stadien anschaut, ist die logische Schlussfolgerung, dass es am besten wäre, eine optimale Busyness im Job anzustreben. Easy. Doch es gibt ein Problem, denn dieser Flow-Zustand ist schwer aufrechtzuerhalten. Er mündet häufig, vielleicht sogar zwangsläufig, in eine exzessive Busyness – weil der Arbeitgeber bei den drei Hebeln überbordet und wir selber mitgehen.
Nun handelt es sich bei den Teilnehmenden dieser Studie um absolute Top-Performer, deren Selbstverständnis es auf eine Art ist, Stress zu haben, weil sie einen Job ohne Stress langweilig fänden. Nicht alle Menschen sind so. Nicht alle Jobs sind so. Und doch ist es an dieser Stelle vielleicht angezeigt, kurz in sich zu gehen und sich zu fragen: Was für ein Verhältnis habe ich eigentlich selber zu Arbeit?
Wer bin ich, wenn ich busy bin?
Und wer, wenn wenig läuft?
Mikael Krogerus ist «Magazin»-Redaktor, Roman Tschäppeler ist Kreativproduzent. rtmk.ch
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