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Anwalt mit Vorbehalten

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Zwei volle Stunden, fürs Kennenlernen. Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella hat am Mittwochabend dem weitgehend unbekannten und politisch unerfahrenen Rechtsprofessor und Anwalt Giuseppe Conte einen Regierungsauftrag erteilt. Die beiden sind sich zum ersten Mal überhaupt persönlich begegnet. Der 53-jährige Süditaliener Conte war nach dem Treffen bemüht, das Ausland zu beruhigen: «Ich bekräftige die europäische Verortung Italiens», sagte er. Das Land werde seinen internationalen Verpflichtungen entsprechen. Er wolle «Anwalt und Verteidiger aller Italiener» sein.

Mit Contes Berufung steht der Bildung eines Kabinetts aus den populistischen Parteien Cinque Stelle und Lega nichts mehr im Weg. Es ist das erste Mal in der Geschichte der Europäischen Union, dass sich in einem grossen Land und Gründungsmitglied eine Regierung formiert, die offen kritisch ist gegenüber den europäischen Institutionen und dem Euro.

Wie das in Italien üblich ist, akzeptierte Conte den Regierungsauftrag zunächst «con riserva», also «mit Vor­behalt». Er wird in den kommenden ­Tagen prüfen, ob er tatsächlich Aussicht auf eine Parlamentsmehrheit hat. Da er auf die Unterstützung der Parlamen­tarier der Fünf Sterne und der rechts­nationalen Lega zählen kann, den beiden Gewinnern der Parlamentswahlen vom 4. März, sollte das kein Problem sein. Zusammen hatten die Parteien 50,2 Prozent der Stimmen gewonnen und verfügen in beiden Kammern des Parlaments über eine Mehrheit. Im Senat ist sie allerdings nur sehr knapp: sechs Stimmen mehr als notwendig. Ist sich Conte seiner Sache dann einmal sicher, wird er den «Vorbehalt» ablegen.

Seine Berufung gibt in Italien aus mehreren Gründen viel zu reden. Die beiden systemkritischen Parteien, die Conte tragen, hatten bisher andere Regierungschefs ohne Wahlmandate, sogenannte technokratische Premiers, stets hart kritisiert. Ausserdem stellte sich ­heraus, dass in Contes Lebenslauf einige Ungereimtheiten vorkommen. Die Zweifel an der Person bewogen Mattarella, zwei Tage zu warten mit dem Regierungsauftrag. Die italienische Presse mutmasste gar, dass Contes Aussichten dahinschwänden. Cinque Stelle und Lega beharrten aber auf ihrem Kandidaten; sie stellten ihn als Opfer einer «beispiellosen Hetzjagd» dar. Alessandro Di Battista, ein Wortführer der Fünf Sterne, appellierte auf Facebook an die Partei­anhänger, sie mögen laut protestieren, sollte Mattarella sich weiter weigern, den «Willen der Italiener» hinzunehmen.

«Der deutsche Käfig»

Die nächste Konfrontation zwischen Staatschef und Koalition droht bereits bei der Zusammensetzung des Kabinetts. Für die Schlüsselposten mit internationaler Relevanz wünscht sich Mattarella Persönlichkeiten, die imstande sind, die Sorgen in Europa und an den Finanzmärkten zu besänftigen. Stimmen die Vermutungen der Presse, dann könnte vor allem eine mögliche Personalie für Aufregung sorgen: Paolo Savona, der mittlerweile 81-jährige Ökonom und frühere Industrieminister, lautstarker Kritiker des Euro und Deutschlands, soll offenbar Wirtschaftsminister werden.

In seiner Autobiografie, aus der die Zeitung «La Stampa» vorab zitierte, beschreibt Savona Deutschland als «Supermacht» und den Euro als «deutschen Käfig». Wenn das so weitergehe, ende man wie Griechenland. Bei der Lega und den Cinque Stelle sind solche Theorien gleichermassen populär. Von Mattarella heisst es, er dränge im Hintergrund auf eine andere Wahl für den Posten des Wirtschaftsministers.

Wie viel Conte mitreden darf bei der Besetzung seiner Regierung, ist nicht so klar. Es soll eine fertige Ministerliste geben, die Frucht wochenlanger Verhandlungen. Auch die Namen der beiden Parteichefs, Luigi Di Maio von den Cinque Stelle und Matteo Salvini von der Lega, stehen auf dieser Liste. Di Maio soll Minister eines Superressorts für Arbeit und Industrie werden, wo er sein Paradethema, die Einführung eines mehr oder weniger bedingungslosen Bürgerlohns, behandeln könnte; Salvini hat für sich das Innenministerium reserviert, weil er sich als harter Immigrationspolitiker profilieren möchte.

Weil sich die beiden im Duell um das Amt des Premiers gegenseitig verhindert haben, brauchte es einen Dritten für den Posten. So kam nun also Giuseppe Conte zu Ehren.