Mischzone in Zürich WipkingenAnwalt hält Zürcher Mehrzweckstreifen für unzulässig
Ein Streit zwischen dem Quartierverein und der Stadt eskaliert. Ein Anwalt hält die Mischzone in Zürich Wipkingen für unzulässig und empfiehlt dem Quartierverein, sich an die Kapo zu wenden.

Am Telefon klingt Beni Weder aufgebracht. «Er ist illegal, der Mehrzweckstreifen-Versuch ist illegal», sagt der Wipkinger Quartiervereinspräsident.
Ein Anwalt habe die Sache geprüft und komme zum Schluss, der Verein könne sich mit juristischen Mitteln gegen die «unzulässige» Signalisation auf der Nordbrücke in Wipkingen wehren, was sie auch tun würden, sagt Weder.
Damit eskaliert der Streit zwischen dem Quartierverein und der Stadt Zürich.
Von Beginn weg umstritten
Begonnen hat alles mit einem Pilotversuch. Im Sommer 2021 entfernt die Stadt die Fussgängerstreifen auf der Nordbrücke und richtet dafür eine bis dahin unübliche Signalisation ein, einen Mehrzweckstreifen. Die rötliche Farbe soll signalisieren: Hier dürfen Fussgängerinnen und Fussgänger überall queren. Vortritt haben sie aber keinen mehr. Das irritiert zu Beginn viele.
Im Frühjahr 2023 zieht die Stadt Bilanz: An der Nordbrücke bewähre sich der Mehrzweckstreifen. Der Verkehr habe sich verlangsamt, die gegenseitige Rücksichtnahme zugenommen. Eine «nicht repräsentative Umfrage» im Sommer 2022 habe zudem gezeigt, dass «gut die Hälfte der 30 Befragten das Funktionieren des Mehrzweckstreifens als gut oder sehr gut» einstuften. Die Konsequenz: Die Stadt will am Mehrzweckstreifen festhalten, bis die Nordbrücke neu gestaltet wird.
«Staatspropaganda vom Feinsten» nannte das FDP-Gemeinderätin Martina Zürcher im Parlament. In ihrem Umfeld gebe es viele kritische Stimmen, sagte sie. Auch der Quartierverein wehrte sich gegen die neue Verkehrssituation. Noch während der Testphase führte er eine eigene (ebenfalls nicht repräsentative) Umfrage durch. Diese kommt zu einem anderen Resultat. Von den rund 170 befragten Personen lehnten 63 Prozent die Lösung ab.
Über 1000 Personen unterschreiben Petition
Der Quartierverein will die Fussgängerstreifen auf der Nordbrücke zurück. Weil es zu gefährlichen Situationen komme und die Eltern «um die Sicherheit ihrer Kinder bangen» würden, hat der Verein eine Petition lanciert und mit über 1000 Unterschriften Ende November 2023 Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart (Grüne) übergeben.
Rykarts Antwort im Mai 2024 fällt zwiespältig aus. Sie betont erneut, dass der Mehrzweckstreifen ein Erfolg sei: «Mit dem Mehrzweckstreifen funktioniert die Koexistenz der vielen Verkehrsteilnehmenden gut, und die gegenseitige Rücksichtnahme wird gelebt, was die Sicherheit von allen fördert.» Sie anerkennt aber auch die Anliegen der Petition und skizziert mögliche Alternativen. Zum Beispiel das Einrichten einer Begegnungszone mit einer Maximalgeschwindigkeit von 20 km/h und Vortritt für die Zufussgehenden. Auch die Wiedereinführung von Zebrastreifen sei denkbar.
«Ein Konsens über das weitere Vorgehen konnte in der Stadtverwaltung noch nicht gefunden werden, da alle Lösungen Vor- und Nachteile haben», heisst es im Schreiben.

Anwalt wird eingeschaltet
Die Verwaltung hat sich noch nicht einigen können. Es ist mehr als ein halbes Jahr seit der Petitionsantwort verstrichen, ohne dass eine Planauflage vorliegt. Ursprünglich war diese für Herbst 2023 vorgesehen. Weil aus dem Provisorium ein Providurium zu werden drohte, suchte der Quartierverein vergangene Woche juristische Hilfe, wie die NZZ berichtete. «Wir wollten unter anderem wissen, wie wir vorgehen können, damit die Behörden endlich handeln», sagt Beni Weder.
Jetzt liegt die Antwort der Kanzlei vor. Auf fünf Seiten kommt der Anwalt zum Schluss: Der Mehrzweckstreifen sei unzulässig. Die versuchsweise Verkehrsanordnung hätte maximal ein Jahr dauern dürfen – die Überschreitung dieser Frist sei rechtswidrig. Der Quartierverein Wipkingen oder Anwohnende könnten dies anfechten und die Wiederherstellung der Fussgängerstreifen verlangen. Der Anwalt empfiehlt, ein entsprechendes Gesuch bei der Kantonspolizei Zürich einzureichen.
Für Beni Weder ist klar: «Der Quartierverein wird der Empfehlung folgen.»
Mehrzweckstreifen dürften sich häufen
Die Stadt sieht sich im Recht. Der Versuch sei abgeschlossen, man befinde sich in einem definitiven Zustand, schreibt ein Sprecher des Tiefbauamts auf Anfrage. Der Mehrzweckstreifen benötige gemäss Signalisationsverordnung (SSV) keine rechtskräftige Verfügung. «Rechtsverbindlich sind nur Signale und Markierungen, die in der SSV enthalten sind», schreibt er weiter. Dies sei beim Mehrzweckstreifen nicht der Fall.
Der Mehrzweckstreifen auf der Nordbrücke, auch «Schlange von Wipkingen» genannt, ist wohl die bekannteste Mischzone in der Stadt Zürich. Aktuell plant die Stadt aber auch an zwei weiteren prominenten Orten solche Markierungen. So etwa auf der Uraniastrasse in der Innenstadt oder im Hochschulgebiet auf der Rämistrasse. Gegen das neue Verkehrsregime im Universitätsquartier wehren sich VCS, Pro Velo Kanton Zürich, Fussverkehr Schweiz und die Stiftung zur Förderung einer behindertengerechten baulichen Umwelt.
Weitere solche Mischzonen dürften folgen. Das Tiefbauamt hat solche Mehrzweckstreifen in seinen Variantenprüfungen als festes Element integriert.
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