Putin und die PopstarsUkrainische Sängerin startet in Russland durch
Die Künstlerin Anna Asti – in der Ukraine aufgewachsen – avanciert während der Invasion zum Superstar. Und gerät in den Fokus der russischen Regierung. Seither schweigt sie in den sozialen Medien.
Anna Asti ist in der Ukraine aufgewachsen und später nach Russland ausgewandert. Als Putin ihre einstige Heimat überfiel, war sie in Kiew zu Besuch. Dann kehrte sie nach Moskau zurück und avancierte zu einer berühmten Popsängerin – doch ihr Stern sinkt. Die Geschichte von Asti verdeutlicht die Karrierechancen, die ein Krieg mit sich bringen kann, aber auch den Preis, den Künstlerinnen und Künstler dafür zahlen.
Nach einigen Hits begann der Abstieg von Asti mit einer wilden Nacht im vergangenen Dezember – der «Fast-nackt-Party» in Moskau, die seither in Russland für viel Wirbel sorgt. Influencer, Models und Musikerinnen präsentierten sich anzüglich. Ein Rapper trug nicht mehr als eine Socke (nicht an den Füssen). Sängerin Asti unterhielt die Gäste mit ihren Liedern. Im Internet verbreiteten die Promis Bilder und Videos – ein leichtsinniger Fehler. Jahrelang gewährte Wladimir Putin individuelle Freiheiten und steigenden Wohlstand im Tausch für seine autoritäre Herrschaft. Doch seit der Invasion gilt dieser Gesellschaftsvertrag nicht mehr.
Die Aufnahmen erzürnten ultrakonservative Kreise. Propagandist Wladimir Solowjow beschimpfte die Stars als «Abschaum». Die russischen Behörden eröffneten eine Untersuchung wegen möglicher LGBT-Propaganda. Die Bewegung der Lesben, Schwulen, Bisexuellen und trans Menschen hat der Staat kürzlich als extremistisch eingestuft.
Als Bestrafung erhielt der Typ mit der einen Socke mehrere Wochen Haft und eine Vorladung des Militärs. Sängerin Asti droht den erst kürzlich erhaltenen russischen Pass wieder zu verlieren. An Neujahr durfte die Künstlerin nicht auftreten. Alle Konzerte sind bis Mitte März abgesagt, die Veröffentlichung eines Konzertfilms wurde verschoben.
Asti nutzte die Chance
Seit dem Vorfall hat Asti auf den sozialen Netzwerken wie Telegram und Instagram nichts mehr veröffentlicht. Zuvor teilte sie fast täglich ihr Leben mit Millionen von Followern. Noch im Mai 2023 erhielt sie den Titel «Sängerin des Jahres» im russischen Fernsehen. Die gebürtige Ukrainerin legte in kurzer Zeit eine steile Karriere hin. Erst nach der Invasion wurde sie in Russland zum Superstar.
Asti stieg auf, während viele Ukrainer das Land des Aggressors verliessen. Dazu gehört Swetlana Loboda, die einst führende ukrainische Künstlerin in Russland. Der Abgang von Hunderttausenden ebnete den Weg für neue Aufsteiger. Der Weg zum Erfolg wurde kürzer, da es weniger Konkurrenz gab. Und Asti nutzte ihre Chance. Es sind Menschen wie sie, die nachrücken, um den russischen Alltag möglichst aufrechtzuerhalten.
In der Ukraine wird Asti «billige Kopie» geschimpft. Auffallend ist, dass sie bei ihren Auftritten äusserlich an die Ukrainerin Loboda erinnert, die sich aus Russland verabschiedet hat. Viel Make-up, verlängerte Wimpern, grosse Ohrringe, glitzernde Kleider. Auch musikalisch lassen sich Ähnlichkeiten finden. Und ausgerechnet Astis erfolgreichstes Stück trägt denselben Namen wie das Lied einer anderen Ukrainerin, die ihre Songs aus Russland verbannt hat: «Sad Dance».
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
Ukrainische Künstler waren seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion ein wichtiger Bestandteil der russischen Popwelt. Mitte der 2010er-Jahre erreichte diese Entwicklung ihren Höhepunkt. Mit der Annexion der Halbinsel Krim 2014 und den Kämpfen im Donbass begann der Kulturraum zu bröckeln. Doch blieb eine hohe Zahl ukrainischer Künstler in Russland aktiv – bis zum Tag der Invasion. Putins Sturm auf die Ukraine zerstörte den gemeinsamen Kulturraum (lesen Sie hier ein Essay zu Russlands Kultur).
Dennoch kam es nicht zu einer kompletten «Entukrainisierung» der russischen Popkultur. Asti ist nicht die Einzige, die in Russland geblieben ist. Auch Künstlerinnen wie Natascha Korolyowa oder Lolita Milyawskaya haben sich dazu entschlossen. Letztere ist in der Ukraine sanktioniert, weil sie den Krieg gegen ihr Herkunftsland unterstützt.
Es lässt sich nur mutmassen, weshalb ukrainische Popstars Russland nicht verlassen. Vielleicht ist es im Falle von Asti Kalkül, vielleicht die Verheissung auf Ruhm und Reichtum. Vielleicht hält sie die Liebe zu ihrem russischen Ehemann in Moskau, wo sie seit 2013 wohnt. Ihre Familie lebt jedoch weiter in der Ukraine. Deshalb wollte Asti im Jahr 2020 noch keinen russischen Pass beantragen. «Ich möchte in Ruhe zu meiner Mutter gehen können, um sie zu umarmen», erklärte sie damals.
Die Popularität hat einen Preis
Asti kam 1990 in Tscherkassy zur Welt, einer Stadt im Zentrum der Ukraine. Ihre Eltern tauften sie Anna Dzyuba, später wählte sie den Künstlernamen Asti. In Interviews mit russischen Medien betonte sie, seit ihrer Kindheit davon geträumt zu haben, Sängerin zu werden. Vorerst blieb der Erfolg aus, weshalb sie ein Rechtsstudium begann. Erst als das Duo Artik & Asti entstand, schaffte es ihr erstes Lied 2011 in die ukrainischen Charts. 2013 folgten das erste Album und der Entscheid, nach Russland auszuwandern. Dort wurde das Duo allmählich bekannter. Aber der Durchbruch gelang ihr erst, nachdem sie Ende 2021 eine Solokarriere startete.
Die Popularität hatte einen Preis. Viele Ukrainerinnen und Ukrainer heissen Asti in ihrem einstigen Heimatland nicht mehr willkommen. Ukrainische Medien betiteln sie als «Verräterin» und nennen sie «Kreml-Prostituierte». Die Stars in Russland müssen nach den Regeln des Präsidenten spielen – und nehmen den Pakt mit dem Teufel in Kauf.
Putin instrumentalisiert den Pop. Zahlreiche Prominente verbreiten staatliche Propaganda. Besonders bekannt ist der russische Sänger Shaman. Auf seinen Tourneen besucht er russisch besetzte Gebiete in der Ukraine und tritt vor Soldaten auf. Mit Liedern wie «Ich bin Russe» oder «Mein Russland» peitscht er ihnen Patriotismus ein – als treuer Diener Putins.
Andere Künstler versuchen, die Politik und den Krieg zu verdrängen. Zu dieser Gruppe gehört Asti. Bisher hat sie sich öffentlich nicht dazu geäussert. In ihren Liedern verliert sie kein Wort darüber, abgesehen von diffusen Metaphern wie im Lied «Breakdown»: «Ich bin wieder im Krieg mit mir selbst, mein Stolz steht auf dem Schlachtfeld unter Beschuss. (…) Alles, was ich tun kann, ist, zu den Göttern zu beten, während ich meinen Feind liebe.»
Das Geheimnis von Astis Erfolg
Ihre Lieder handeln meist von Liebe oder gebrochenen Herzen. Mit den abstrakten Texten können sich viele identifizieren. «Ihre Musik ist wie eine Schablone, auf der jeder seine eigene Geschichte aufdrücken kann», schrieb der Musikkritiker Lev Gankin im russischen Exilmedium «Meduza». Er sieht darin das Geheimnis für Astis Aufstieg: «Sie spricht die Mehrheit der widerstandslosen Bevölkerung an, die in sich selbst zurückgezogen lebt und versucht, so zu tun, als hätte sich nichts geändert.»
Die Illusion, dass alles beim Alten bleibt, wurde durch die «Fast-nackt-Party» und die Reaktion des Kreml endgültig zerstört, zumindest für Asti. Dennoch wird sie wohl ab Mitte März wieder Konzerte abhalten können. Und es steht nicht fest, dass ihr der russische Staat den Pass entzieht.
Putins System ist auf Menschen wie Asti angewiesen. Auf Künstler und Künstlerinnen, die das Regime nicht kritisieren und die Bevölkerung unterhalten, zerstreuen. Damit die Mehrheit auf Linie bleibt, genügt es, mit einer Strafe zu drohen oder ein Exempel zu statuieren, so wie am Typen mit der Socke. Das Regieren mit der Angst ist ein zentrales Instrument von Putins Herrschaft (lesen Sie hier eine Analyse zu Putins Machtinszenierung).
Mitte März stehen in Russland pro forma Wahlen an. Am Ende wird Putin weiterhin über dem Kreml thronen. Für diese Kontinuität haben sich Künstlerinnen wie Asti stillschweigend entschieden.
Fehler gefunden?Jetzt melden.