Interview zu Attacken auf Politiker«Sie nennen mich Göre und Mörderin»
In Deutschland wurden jüngst wiederholt Politikerinnen und Politiker tätlich angegriffen: Macht das dem Nachwuchs Angst? Die Grüne Anna di Bari (23) erzählt.
Frau di Bari, Sie sind eine junge Frau, grün, links, migrantisch, setzen sich für Flüchtende ein – und sind somit ein perfektes Ziel für Hass. Können Sie einen ungeschönten Einblick in Ihren Alltag geben?
Sehr eindrücklich ist immer der Satz «Ihr seid eine grüne Sekte» – das drückt tiefste Verachtung aus. Aber auch mein Alter und mein Geschlecht werden häufig attackiert: «Halt die Fresse, du junges Ding.» «Du hast hier gar kein Recht, irgendetwas zu reden.» Sätze, die signalisieren: Wir Grüne wären besser gar nicht da.
In den Kommentarspalten Ihrer Social-Media-Posts ist Übles zu lesen: «Kriegstreiber», «Linksfaschistin», «Göre», «Mörderin».
Ja, so nennt man mich. Uns wird unterstellt, wir seien Teil von Schlepperbanden, sorgten mit unserer Politik dafür, dass diese Menschen nach Europa gelockt würden und auf dem Mittelmeer stürben. So kommen sie darauf, dass wir Mörder seien.
Unter ein Video schrieb jemand: «Beendet euer Leben bitte, ich helf euch dabei.»
Im Video habe ich mich gegen die AfD geäussert. Auf solche Kommentare kann man aus mehreren Blickwinkeln schauen: Schreibt da ein Mensch oder ein Bot? Muss man das ernst nehmen oder nicht? Und zuletzt: Kann das rechtlich verfolgt werden?
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Hinter dem Kommentar verbarg sich ein Mensch, Ihre Anzeige wurde abgewiesen. Wie bewerten Sie das, auch unter dem Eindruck der Geschehnisse der vergangenen Wochen, der Angriffe auf Politikerinnen und Politiker wie Matthias Ecke und Franziska Giffey?
Interessanterweise hat die Staatsanwaltschaft darauf hingewiesen, dass dies zwar keine Bedrohung sei, jedoch als Beleidigung angezeigt werden könne. Ich würde also nicht sagen, dass die Behörden wegschauen. Nach den Taten der vergangenen Wochen fragt man sich aber, ob nicht auch juristisch nachgeschärft werden müsste.
Haben Sie eine Vorstellung, wer die Leute hinter den Kommentaren sind?
Vorwiegend Männer, nach den Profilbildern zu urteilen. Dort sind Deutschlandflaggen zu sehen, AfD-Inhalte, sie folgen rechten Medien, Verschwörungstheoretiker sind auch darunter. Oft sind es auch Synonyme, Kürzel, Bots, die totale Anonymität.
Sie sind derzeit im Europawahlkampf – an Strassenständen, gehen von Tür zu Tür, etwa in Thüringen. Wie wird dort auf die Grünen reagiert?
Wir verteilen Flyer. Leute sagen uns, ich nehme gar nichts, ausser von der AfD. Diese Meinung ist okay, aber die Verachtung ist zu spüren. Vor zwei Wochen erlebte ich in Thüringen eine suspekte Situation. Ein Mann hat mich minutenlang beobachtet. Irgendwann fragte er: «Kriege ich auch einen Flyer?» Er stellte sich an einen Stehtisch, schaute den Flyer an, legte ihn wieder hin und fixierte mich. «Ich glaube, wir diskutieren jetzt besser nicht über Politik», sagte er und ging. Sie wollen uns so das Gefühl geben: «Ich will, dass du merkst: Du wirst beobachtet.»
Sie sprechen noch nicht über Angst.
Nein, über ein mulmiges Gefühl. Ein Gefühl, das einem sagt, von da an könnte etwas passieren. Und ich glaube, dieses Gefühl genügt schon, dass politisch aktive Menschen wie ich sagen, vielleicht trau ich mich da zukünftig nicht mehr rein.
Eine jüngere SPD-Kollegin von Ihnen sagte zuletzt, sie spüre seit dem Fall Ecke eine wachsende Angst. Kennen Sie das?
Es gibt Situationen, in denen ich Angst habe. Kürzlich wurde ich von einer anonymen Nummer angerufen, die Stimme war verzerrt. Er hat immer wieder gefragt: «Wo bist du?», und dann aufgelegt, später hat die anonyme Nummer wieder angerufen, ich bin nicht ran. Allerdings weiss ich in solchen Momenten nicht, ob ich mir selbst trauen kann. Doch der Gedanke ist da, vielleicht passiert durch diese Kommentare im Netz bei manchen Menschen etwas. Also, dass sie diese gegen uns gerichteten Appelle ernst nehmen und uns schaden wollen.
Oft hört man, es sei wichtig, sich nicht einschüchtern zu lassen. Kann man sich das vornehmen?
Dieses Vorhaben ist wichtig. Aber zu tun, als ob wir keine Menschen wären, die von so etwas verängstigt werden: Das ist nicht die Realität.
Sie sind gerade mal 23. Ist das nicht ein wenig früh, um diese Härten zu erleben?
Unabhängig vom Alter wünsche ich das niemandem. Aber das ist deren Kalkül: «Die halten das nicht aus. Und wenn sie merken, dass das kein Ponyhof ist, mischen sie sich auch nicht mehr ein.» Den Wunsch will man nicht erfüllen.
Sie sind parteiübergreifend gut vernetzt in der jungen Polit-Community. Wie ist die Stimmung?
Wir lassen uns nicht unterkriegen, wir machen auf jeden Fall weiter. Aber wir fragen uns: Wie können wir uns besser schützen? Unter welchen Bedingungen können wir das noch machen, und was können wir nicht mehr tun? Allein an Haustüren klingeln – da gibt es mittlerweile Menschen, die sagen, das mache ich nicht mehr.
Verhalten Sie sich anders?
Wenn wir in grössere Wohnblöcke gehen, fangen wir nun immer ganz oben an, damit wir notfalls schnell rauskommen, unser Fluchtweg nicht versperrt ist. Und auch sonst sind wir sensibilisiert. Man fragt sich manchmal: Muss ich es jetzt ernster nehmen? Was ist an Daten von mir einsehbar? Wir versuchen, Risiken zu minimieren.
Wie geht man mit solchen Momenten um, mit Anfeindungen, Angriffen auf Kollegen?
Mir hilft es total, darüber zu reden – gerade mit Menschen, die nichts mit Politik zu tun habe, Freunden und Familie. Wobei ich gestern auch mit unserem Bundestagsabgeordneten Toni Hofreiter darüber gesprochen habe.
Was sagte er?
Dass er einfach manche Sachen nicht mehr mache. Etwa, sich bei öffentlichen Auftritten so hinstellen, dass er von hinten angegriffen werden könnte. Andere bitten Freunde, Kommentare zu löschen, bevor sie sie sehen.
Warum, glauben Sie, hat die Aggression gegen den politischen Betrieb zugenommen?
Die Hemmschwelle, Politikerinnen und Politiker zu entmenschlichen, ist im Digitalen gefallen – und nun sind wir an den Wahlständen mit den Folgen konfrontiert. Am Montag rief uns einer zu: «Ihr seid schlimmer als die Nazis.» Ich fürchte, dass sich diese Menschen in ihren Blasen radikalisieren. Dort kann sich eine Dynamik entwickeln, die total weit weg von der Realität ist. Und am Ende könnte jemand zuschlagen.
Wie sehen Sie dabei die Rolle der AfD?
Die AfD ist der parlamentarische Arm von diesen Leuten – ihre Referenz. Aber man muss bei AfD-Wählerinnen wie Abgeordneten schon schauen, wie positionieren sie sich zu Hass und Gewalt. Doch wenn man uns, wie Beatrix von Storch es tut, vorwirft, Schlepperbanden durch Steuergelder zu finanzieren, ist das eine Kampagne. Dann muss man sich nicht wundern, wenn Menschen auf Politikerinnen losgehen.
Welche Medien sehen Sie kritisch?
«Nius», das Reichelt-Medium, aber auch Kampagnen der «Bild»-Zeitung. Man darf das Heizungsgesetz kritisch sehen, keine Frage. Aber wenn die «Bild»-Zeitung draus macht, dass die Grünen allen den Wohlstand wegnehmen würden, dann ist das keine seriöse journalistische Arbeit.
Gibt es auch Dinge, die Sie sich selbst ankreiden?
Der Diskurs wird online oft so geführt, dass man sich die Aussagen des politischen Gegners herauspickt und skandalisiert. Es gab ein paar Tweets bezüglich der Arbeitspflicht von Geflüchteten von mir, bei denen ich nicht die Aussagen eines CDU-Politikers gewählt habe, der das ausgewogen dargestellt hat, sondern eine, die polarisiert hat. Ich versuche dann mit einer gewissen Schärfe zurückzuschiessen.
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Zurück zum Anstieg politischer Gewalttaten: Sehen Sie Lösungen?
Im digitalen Raum geht es nur mit harter Regulation und besseren Möglichkeiten für die Strafverfolgung. Damit klare Grenzen gesetzt werden.
Und an den Wahlkampfständen?
Da braucht es einen besseren Schutz.
Personenschutz an Wahlkampfständen?
Die Polizei kommt am Anfang vorbei, und dann werden, für alle Fälle, Nummern ausgetauscht. Aber für manche Veranstaltungen genügt das nicht – da bräuchte es anlassbezogen Personenschutz.
Was erwidern Sie AfD-Politikern, die 478-mal aktenkundig angefeindet worden sind vergangenes Jahr – und sagen: Wir doch auch!
Ich würde sagen: Wir müssen jetzt nicht Zahlen gegeneinander aufwiegen, sondern: Gewalt ist immer das falsche Mittel. Aber das macht es ja nicht weniger schlimm, dass Grüne noch deutlich mehr als doppelt so häufig angegriffen worden sind. Ich meine, die Frage ist ja, was will einem die AfD damit sagen?
Vielleicht, dass es auch auf der linken Seite ein beträchtliches Gewaltpotenzial gibt, das Sie nicht wahrhaben wollen?
Für das Bewerten des Gewaltpotenzials politischer Gruppen haben wir unseren Rechtsstaat. Und der soll selbstverständlich auch bei Angriffen auf Vertreter der AfD durchgreifen.
Jetzt wird dieses Interview veröffentlicht. Wird wieder das Übliche an Kommentaren kommen?
Ja. Die eine Seite sagt: «Ihr übertreibt», «Heult nicht rum». Ich werde auch bestimmt wieder als junge Frau bezeichnet, die nicht abgehärtet ist. Die andere Seite sagt: «Gut, dass du das sagst, denn es macht uns Sorgen.»
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