Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Facebook-Whistleblowerin auf Europatour
Angriff auf das Allerheiligste von Facebook

Sie warnt davor, Facebook zu vertrauen: Frances Haugen vor dem Europaparlament in Brüssel.
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Man bekommt nicht mehr sehr viel Neues zu hören von Frances Haugen, der Whistleblowerin, die das Facebook-Imperium erschüttert. Aber auch in der Wiederholung liegt ihre Kraft. Am Montag klagte sie den Konzern in Brüssel an, im Gespräch mit Vertretern der EU-Kommission und vor dem Binnenmarktausschuss des Europaparlaments, der gerade an einem Gesetz zur Regulierung der digitalen Welt arbeitet.

Ihr Vorwurf: Facebook verursache «Hate Speech», gesellschaftliche Spaltung, Gewalt, psychische Schäden bei Kindern und Jugendlichen – und unternehme nichts dagegen, um seinen Profit nicht zu gefährden. Die EU, sagte Haugen, sei nun auf dem besten Weg, einen «Goldstandard für die ganze Welt» zu setzen im Umgang mit den Techgiganten. Lächelnd fügte sie hinzu: «Auch für mein Land, die USA.»

Es geht ihr im Kern darum, dass Staat und Gesellschaft Zugriff erhalten sollen auf die Algorithmen, die bestimmen, welche Inhalte welchem Nutzer zugespielt werden. Im Lichte der Öffentlichkeit sollen die Techkonzerne dann abschätzen, welche Risiken diese Algorithmen bergen. Das wäre ein Weg, um schädliche Entwicklungen im Netz zu verhindern, statt hinterher zu korrigieren. Aus Sicht der Unternehmen wäre das ein Angriff auf ihr Geschäftsmodell. (Hören Sie zum Thema den «Apropos»-Podcast «Die Frau, die Facebooks Abgründe aufdeckt».)

Auch «legale, aber schädliche Inhalte» stoppen

Europa hat die digitale Welt nicht erfunden, aber Europa könnte diese entfesselte Welt zivilisieren, glaubt die ehemalige Facebook-Mitarbeiterin Haugen. Deshalb befindet sie sich nun auf Europatournee. London, Berlin, Brüssel, Paris. Ihre Forderung ist überall dieselbe: «Wir brauchen Regulierung. Solange sich die Regeln nicht ändern, wird sich Facebook nicht ändern.»

In London schilderte Frances Haugen britischen Parlamentsabgeordneten, wie Facebook pubertierende Mädchen in die Magersucht treibt, wie Facebook den Sturm von Trump-Anhängern auf das Capitol anheizte. Es liege in der DNA der Plattform, Inhalte immer weiter und immer stärker zu verbreiten, solange sie immer mehr Klicks bringen, und das sind vor allem spalterische, extreme Inhalte. Das britische Parlament solle deshalb in seiner «Online Safety Bill» auch Inhalte stoppen, die «legal, aber schädlich» seien.

In Berlin wurde Frances Haugen von der geschäftsführenden Justizministerin Christine Lambrecht begrüsst und traf eine Gruppe von Ampelkoalitionären. Sie zeigte sich zufrieden, dass Facebook nun die Gesichtserkennungsfunktion abschaltet, mit der Nutzer automatisch auf Fotos markiert werden können. Sie warnte aber, der Staat dürfe dem Konzern nicht vertrauen. Er müsse ihn kontrollieren.

Ein Verbot von personalisierter Werbung und eine öffentliche Kontrolle der Algorithmen stehen nun im EU-Parlament zur Diskussion.

In Brüssel traf Frances Haugen auf ein besonders interessiertes Publikum. Die EU hat mehrere Gesetzesprojekte auf den Weg gebracht, um Techkonzerne wie Facebook, Google, Apple und Amazon zu regulieren. Das Gesetz für digitale Märkte (DMA) zum Beispiel soll die Marktmacht der Giganten einhegen.

Weil sie als «Gatekeeper», Torwächter, der digitalen Welt kleinere Unternehmen vom Wettbewerb ausschliessen können, sollen sie streng beaufsichtigt werden. Grössere Sorgen scheint der Branche aber das Gesetz für digitale Dienste (DSA) zu bereiten. Es handelt sich um ein komplexes Regelwerk, das zum Ziel hat, die Verbraucherinnen und Verbraucher vor illegalen und hetzerischen Inhalten zu schützen und ihre Rechte im Umgang mit den Digitalunternehmen zu stärken.

Mit dem Entwurf der Kommission schienen die Unternehmen noch leben zu können. Aber seitdem das Parlament damit befasst ist, zeigen sie sich höchst alarmiert: Ein Verbot von personalisierter Werbung und eine öffentliche Kontrolle der Algorithmen stehen jetzt zur Diskussion. Frances Haugen ermuntert die EU ausdrücklich, diesen Weg zu gehen. (Lesen Sie zum Thema den Kommentar zu den Facebook Files: «Jetzt ist klar: Soziale Medien sind eine weltweite Bedrohung».)

Techkonzerne betreiben aggressives Lobbying

Das Gesetz sollte eigentlich unter der französischen Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2022 verabschiedet werden, aber das erscheint mittlerweile unrealistisch. Erst einmal muss sich das Parlament auf eine gemeinsame Linie einigen, ehe man in die Abstimmung mit den 27 Mitgliedsländern geht.

Die Konzerne betreiben derzeit aggressive Lobbyarbeit und warnen vor Überregulierung und der Gefahr, die strengen Regeln würden am Ende vielleicht nicht den Konzernen schaden, sondern den Start-ups. Durch die Enthüllungen von Frances Haugen dürfen sich Befürworter einer harten Linie bestätigt fühlen. «Das Gesetz muss stark formuliert sein und konsequent kontrolliert werden», sagte Frances Haugen in Brüssel.

Ganz ähnlich hörte sich das bei der grünen EU-Abgeordneten Alexandra Geese an, die schon seit längerem Kontakt zu der Whistleblowerin hält: «Die Algorithmen globaler Plattformen dürfen keine Geschäftsgeheimnisse sein, wenn sie Demokratien, Gesundheit und Meinungsfreiheit schaden.» Sie forderte die Gründung «einer hochkompetenten europäischen Agentur», die sicherstellen soll, dass die Konzerne die Regeln einhalten. Frances Haugen sei eine «Lichtgestalt», sagte Geese. Am Mittwoch tritt Haugen in Paris auf.