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Meinung

Analyse zu KI-Fake
Oder Glarner einfach ignorieren?

Andreas Glarner, Nationalrat SVP-AG, rechts, diskutiert mit Sibel Arslan, Nationalraetin GP-BS, links, waehrend der Aktionswoche Rise up for Change auf dem Bundesplatz, am Dienstag, 22. September 2020, in Bern. Die Klimabewegung kuendigt weitere Aktionen gegen die institutionelle Politik, Wirtschaftselite und den Finanzplatz waehrend der Woche an. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
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Wie soll man darauf reagieren? Am Montagnachmittag veröffentlicht SVP-Politiker Andreas Glarner auf der Plattform X ein Video, das mittels künstlicher Intelligenz (KI) generiert wurde. Zu sehen ist die kurdischstämmige Grünen-Nationalrätin Sibel Arslan, aus deren Mund die Worte kommen: «Ich will, dass alle kriminellen Türken ausgeschafft werden.» Gefolgt vom Aufruf, SVP zu wählen.

Das Video ist – immerhin – mit einem Hinweis gekennzeichnet: «Mit KI erstellt». Man braucht keine PR-Expertin zu sein, um zu ahnen, was als nächstes geschieht: Das Video geht auf X ab wie eine Rakete. Nicht nur der Originaleintrag von Glarner wird innert 24 Stunden rund 90’000-mal angeklickt. Viele Politikerinnen und Kampagnenspezialisten verbreiten den Fake weiter, um ihn kritisch zu kommentieren. Und selbstverständlich berichten auch zahlreiche Medien über die jüngste Ungeheuerlichkeit aus Oberwil-Lieli. 

Glarner wusste natürlich, dass seine plumpe Provokation fruchten würde. Seine Grenzüberschreitungen garantieren immer Quote, ob er nun die Handynummer einer missliebigen Lehrerin auf Facebook veröffentlicht oder wegen eines Gendertags gegen eine Schule in Stäfa hetzt. Zusätzliche Empörungspunkte gibt es für den Umstand, dass der Angriff der Frau gilt, die Glarner schon früher als «Arschlan» verhöhnt hatte (ein Versprecher!).

Und dann ist da noch die Zutat, die dem Skandälchen seine besondere Würze verleiht: die KI. Indem Andreas Glarner für seine Negativkampagne gegen Arslan eine neue, umstrittene Technologie verwendet, lässt sich eine Berichterstattung sogar mit Relevanzkriterien rechtfertigen. Oder?

Wie sollen wir mit einem Politiker umgehen, der sich wie ein dumpfer Mobber auf dem Pausenplatz aufführt?

Tatsächlich stehen Redaktionen in diesem Fall vor einer schwierigen Abwägung. Die künstliche Intelligenz hat das Potenzial, unsere Wahlkämpfe nachhaltig zu verändern. Das Schadenspotenzial ist bei missbräuchlicher Anwendung enorm. Es ist wichtig, dass sich die Parteien zu Fairplay verpflichten und dass allfällige Gesetzeslücken geschlossen werden.

Dennoch ist Glarners jüngste Aktion wohl nicht das ideale Anschauungsbeispiel für eine gesellschaftliche Debatte über die Gefahren von KI. Dafür ist die Provokation zu durchsichtig und der Fake zu klar als solcher deklariert. Mindestens so sehr wie um Technologie geht es in dieser Debatte um Anstand und Stil. Die Frage ist: Wie sollen wir mit einem Politiker umgehen, der sich wie ein dumpfer Mobber auf dem Pausenplatz aufführt?

Sibel Arslan wählte den Weg über die Justiz: Wie die «Aargauer Zeitung» berichtete, erwirkte sie mittels superprovisorischer Verfügung, dass Glarner das Video löschen musste. Am Dienstag kurz nach 18 Uhr war es von der Plattform verschwunden.

Doch reicht das? Die SVP sollte sich überlegen, ob sie auf diese Art von Aufmerksamkeit angewiesen ist. Einen KI-Kodex mit anderen Parteien lehnte die Volkspartei jüngst mit der Begründung ab: Wer Fälschungen verbreite, «dem falle dies über kurz oder lang sowieso auf die Füsse». Tut es schon weh?

Schliesslich stellen sich auch uns Medien knifflige Fragen: Lohnt es sich, einer solchen Grenzüberschreitung zusätzliche Aufmerksamkeit zu verschaffen, nur um eine Stildiskussion zu führen (wie hier)? Ab welchem Verbreitungsgrad beeinflusst ein Social-Media-Beitrag die öffentliche Debatte so stark, dass die etablierten Medien dazu nicht schweigen können? Und wann ist es gescheiter, den Twitterer aus Oberwil-Lieli oder verwandte Provokateure einfach zu ignorieren?

Eine eindeutige Antwort darauf gibt es nicht.

Update: Der Artikel wurde am Dienstagabend aktualisiert und um die Angabe ergänzt, dass Sibel Arslan mit einer superprovisorischen Verfügung auf das Video reagiert hat und dieses gelöscht werden musste.