Analyse zu GeorgienDie EU ist mitverantwortlich für den Sieg der Autokraten
Über zwölf Jahre hat die Partei Georgischer Traum an der Machtübernahme gearbeitet. Man hätte ihr das schwerer machen können.
Seit einem Vierteljahrhundert durchlebt Georgien so ziemlich alle Aggregatzustände, die das politische Handbuch für ein kleines Land von nur 3,8 Millionen Einwohnern bereithält: Bürgerkrieg, Diktatur, autoritäre Herrschaft, Invasionen von aussen, enorme Reformkraft im Inneren, demokratische Schübe und einen nicht nachlassenden Drang in die Europäische Union.
Nun bricht mit der Vereidigung eines neuen Präsidenten die nächste düstere Phase an. Der schon zwölf Jahre währende Staatsumbau der Partei Georgischer Traum findet seinen vorläufigen Abschluss. Die Ernennung des ans Lächerliche grenzenden Ex-Fussballers Michail Kawelaschwili zum Präsidenten fügt sich als Schlussstein in ein Staatsgewölbe, das vom Milliardär und Puppenspieler Bidsina Iwanischwili langsam, aber zielstrebig errichtet wurde. Der letzte Rest georgischer Demokratie scheint damit weggewischt, der Staat wurde von innen ausgehöhlt. Iwanischwili hat eine Machtergreifung wie aus dem Handbuch der Autokraten vorgelegt.
Dieses neue Georgien ist nicht in einer Blitzrevolution entstanden. Der Georgische Traum herrscht seit zwölf Jahren und hat sich in dieser Zeit mal mehr, meist weniger demokratisch aufgeführt. Iwanischwili liess zielstrebig von den Institutionen des Landes Besitz ergreifen – den Behörden, dem Sicherheitsapparat, den Gerichten, den Medien.
Eine nach allen Regeln der Kunst gefälschte Wahl
Nun, im letzten Akt, handelte er blitzschnell, liess sich die Macht im Parlament durch eine nach allen Regeln der Kunst gefälschte Wahl bestätigen. Damit war auch die Mehrheit im Gremium für die Präsidentschaftswahl gesichert. Die Opposition demonstrierte ihren letzten Funken Widerstand durch Boykott dieser Präsidentschaftswahl, und jetzt lag es allein an der bisherigen Amtsinhaberin, wie dieser Wintercoup enden würde.
Salome Surabischwili hat sich für die kluge Variante entschieden. Sie verliess den Präsidentenpalast, der zum Symbol für die oberste Staatsmacht geraten war. Wäre sie geblieben und hätte sich verhaften lassen – vielleicht wäre ihr Märtyrerstatus gestiegen, aber nicht weniger auch die Gefahr eines neuen Bürgerkriegs. Die demokratische und prowestliche Bewegung im Land bleibt nun ratlos zurück. Ihre Empörung über das wahre Gesicht der alten Machthaber ist ausdauernd, aber nie wuchtig genug gewesen, um Militär und Sicherheitsapparat zum Schutz der Demokratie zu verpflichten.
Die Demokratisierungshilfe für Georgien war zu schwach
Die EU, die so lange die Mitgliedschafts-Karotte vor der kleinen Kaukasusrepublik baumeln liess, trägt einen gewaltigen Anteil an der autokratischen Dynamik. Ihr Beitrittsversprechen ist technokratisch und setzt stabile, demokratische Institutionen voraus, die einen gewaltigen Reformprozess steuern und durchhalten können. Wie schon in der Ukraine oder auf dem Balkan ist diese Vorstellung naiv bis gefährlich.
Die Demokratisierungshilfe für einen Staat wie Georgien ist zu schwach und zu reaktiv. Bezeichnend ist die beschämende Reaktion der Brüsseler Institutionen (mit Ausnahme des EU-Parlaments) auf die Farce-Wahl im Oktober. Der amtierende Ratschef Viktor Orban fuhr nach Tiflis und gratulierte dem Autokraten-Bruder zum Sieg – und nicht einer fand sich im Kreis der EU-Mitglieder, der ebenfalls nach Georgien aufbrach und die toxische Botschaft neutralisierte.
Die EU kann ihren Fehler jetzt ausgleichen und dem neuen Präsidenten die Anerkennung verweigern. Selbst Donald Trump ist das gelungen: Er lud die aus dem Amt gedrängte Präsidentin Surabischwili zu seiner Amtseinführung nach Washington ein.
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