Analyse über Schweizer HooligansViel Gewalt durch Fussballchaoten – trotz verschärfter Massnahmen
Als potentes Mittel gegen Fangewalt angekündigt, zeigt das revidierte Hooligan-Konkordat kaum Wirkung – so das Resultat einer nationalen Studie. Die Autoren regen nun eine unkonventionelle Massnahme an.
Die Polizeieinsätze sollten zurückgehen, die Kosten für Steuerzahler sinken. «Wir wollen gewaltbereite Matchbesucher daran hindern, ihr Unwesen zu treiben», sagte der Berner Regierungsrat Hans-Jürg Käser vor zehn Jahren. Pyros oder Gefechte im Stadion? «Das muss sich ein Rechtsstaat nicht bieten lassen.»
Käser, der damals die Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) präsidierte, kündigte das verschärfte Hooligan-Konkordat als wirksames Mittel gegen Fangewalt an. Es sollte mit nationalen Rayonverboten, Meldeauflagen oder Alkoholverboten an Hochrisikospielen für ungestörte Sportveranstaltungen sorgen.
Kritik wegen einer «laschen Umsetzung»
Nun zeigt eine umfassende Evaluation der Universität Bern ein anderes Bild. Die Forschenden untersuchten im Auftrag der KKJPD Daten zu Spielen der höchsten Schweizer Fussballliga von 2015 bis 2019. Zudem befragten sie fast 100 Experten, von Staatsanwältinnen und Polizisten über Vertreter der Clubs bis zu Fanarbeitern oder Politikerinnen. Am Dienstag wurde der Bericht publiziert.
Laut diesem stuften nur 57 Prozent der Fachpersonen das Konkordat als wirksam ein. Die Rede ist von einer «teils nicht konsequenten und laschen Umsetzung». Die Daten belegen, dass die Zahl der Problemspiele in der Super League über die Jahre hinweg etwa gleich hoch geblieben ist. «Eine umfassende Reduktion der gewalttätigen Zwischenfälle scheint durch das Hooligan-Konkordat nicht erfolgt», halten die Autoren fest.
In den Sportstätten selbst kam es den Expertinnen und Experten zufolge zwar zu weniger Zwischenfällen. Stattdessen knallte es oft ausserhalb, gerade auf dem Heimweg vom Stadion zum Bahnhof. Die Polizei stellte gar «eine Zunahme in der Qualität einzelner Gewaltereignisse fest». Zudem scheint sich das Verhältnis zwischen den Fans und den Behörden laut Bericht verschlechtert zu haben, «da das Konkordat von den Fans mehrheitlich als illegitimes Instrument wahrgenommen wird».
Die Autoren identifizierten ganz verschiedene Probleme, wie die folgende Auswahl zeigt:
Rayonverbote
Laut Konkordatstext kann mit einem Rayonverbot «der Aufenthalt in einem genau umschriebenen Gebiet im Umfeld von Sportveranstaltungen zu bestimmten Zeiten verboten werden». Allerdings betrifft das nicht die Anfahrt mit dem Zug. Sanktionierte Fans können in der Regel also trotzdem mitreisen. Sie tun dies laut Bericht auch immer wieder. Und können so trotz Rayonverbot bei Krawallen abseits des Stadions mitmischen.
Meldeauflagen
Wird ein Fan mit einer Meldeauflage belegt, muss er sich zu bestimmten Zeitpunkten auf dem Polizeiposten melden, um nicht randalieren zu können. So zumindest die Idee. Stattdessen entfaltet das Instrument gemäss verschiedenen Korps keine Wirkung. «Von Relevanz scheint dabei, dass sich die am Wochenende geöffneten Polizeiposten in der Regel in unmittelbarer Stadionnähe befinden», heisst es im Bericht. Betroffenen stehe es frei, «sich zwischen den beiden Meldezeitpunkten in Stadionnähe zu begeben».
Lange Verfahren
Oft vergeht viel Zeit, bis nach einer Verfehlung die Sanktion erfolgt. Im Mittelwert dauerte es laut Bericht 147 Tage, bis die zuständige Behörde ein Rayonverbot verfügte. Bei einer Meldeauflage waren es 192 Tage. Die Forschenden nennen gar einen Extremfall, in dem ein Fan erst nach 1165 Tagen sanktioniert wurde, also nach mehr als drei Jahren. Man könne die Hooligans oft nur schlecht identifizieren, zudem würden sich diese gezielt juristisch wehren, so die Begründungen. Allerdings lasse sich die lange Dauer «auch mit der teils eher niedrigen Priorität bei den unterschiedlichen Korps erklären».
Kantönligeist
Eigentlich sollte das Konkordat zum standardisierten Umgang mit problematischen Fans führen. Die Autoren berichten jedoch von grossen Unterschieden. Je nach Kanton würden andere Massnahmen verhängt, deren Dauer und Anzahl schwanke. «Dabei wäre es zentral, dass die Behörden konsistent vorgehen», sagt Florian Düblin, Generalsekretär der KKJPD, auf Anfrage. «Es kann nicht sein, dass je nach Austragungsort ganz andere Sanktionen verhängt werden.»
«Die Konkordats-Massnahmen haben zu verhärteten Fronten zwischen der Polizei und den Fans geführt.»
Die Probleme scheinen erkannt. Doch bei der Frage nach der Verantwortung schieben sich die verschiedenen Seiten den Ball gegenseitig zu. Laut Bericht waren sich Mitglieder der Polizei und der Staatsanwaltschaften einig, «dass die Clubs mehr Verantwortung für die Problematik Gewalt an Sportveranstaltungen übernehmen müssten». Es brauche mehr finanziellen Druck durch Beteiligung an den Sicherheitskosten. Vertreter der Clubs erwiderten, ihre Sicherheitskosten seien schon heute hoch. Die Polizei setze sehr einseitig auf Repression, das Konkordat habe die Fronten zwischen Polizei und Fans verhärtet. Fanarbeiter wiederum beklagten, dass die Behörden kleinere Delikte mit gewaltsamen Taten in einen Topf werfen würden «und sich die Fans stigmatisiert fühlen».
Einig war man sich am Ende darin, dass «Gewalt als gesellschaftliche Problematik durch das Hooligan-Konkordat nicht gelöst werden könne». Eine ernüchternde Bilanz nach zehn Jahren. Florian Düblin von der KKJPD sagt: «Es gibt eine gewisse Grundaggressivität in der Bevölkerung und auch rund um den Sport. Das führt zu einer gewissen Anzahl von Ereignissen, die nur schwer in den Griff zu kriegen sind.» Erwische man Problemfans, so rückten jüngere nach. Sorge man in den Stadien für Sicherheit, so verlagere sich die Gewalt nach draussen.
Keine Massnahme mehr wegen Pyros?
Was tun? Die Autoren des Berichts fragten die Experten auch, welches Instrument ihnen fehle, um Gewalt zu verhindern. Am meisten Zuspruch erhielt die ID-Kontrolle, dahinter folgten personalisierte Tickets. Sie sollen verhindern, dass Problemfans anonym in das Stadion gelangen. Die Behörden erhoffen sich einen abschreckenden Effekt auf Querulanten. Andere Länder führten die personalisierten Tickets schon längst ein. In der Schweiz analysierte eine Arbeitsgruppe mit Vertretern der Polizei und der Liga die Umsetzung. Fazit ihrer Überprüfung: Die Einführung sei «zu prüfen».
In eine ganz andere Richtung geht ein eher überraschender Vorschlag aus der Evaluation des Hooligan-Konkordats. Laut dieser kritisieren die Fussballclubs und auch die Fanarbeit, dass Pyrotechnik grundsätzlich als Gewalt gelte. Nun erhalten sie von den Autoren des Berichts gewissen Zuspruch. Ihnen zufolge wäre es möglich, den Einsatz von Pyros als Stilmittel «aus der Gewaltdefinition des Konkordats» zu entfernen. Strafrechtliche Konsequenzen könnte der Einsatz dann zwar nach wie vor mit sich ziehen. Aber Sanktionen des Konkordats, zum Beispiel das Rayonverbot, kämen nicht mehr zum Zug.
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