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Die Macht der Fussball-Extremisten
Jetzt attackieren und demütigen Ultras sogar die eigenen Spieler

Ajax' supporters set off fireworks during the Dutch Eredivisie match between Ajax Amsterdam and Feyenoord at The Johan Cruijff ArenA in Amsterdam on September 24, 2023. (Photo by Olaf Kraak / ANP / AFP) / Netherlands OUT
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Marseille: «Sie alle vier treten zurück, sonst gibt es Krieg»

Auf einen schlechten Saisonstart folgt das torlose Unentschieden gegen Toulouse. Zu viel für die Ultras von Olympique Marseille. Sie beordern die Spieler nach der Partie zu ihrer Kurve und beschimpfen diese weit unter der Gürtellinie, manche Spieler werden bedroht. Es folgt tags darauf eine Krisensitzung zwischen Vereinsführung und den federführenden Ultras, darunter auch Rachid Zeroual. Der Anführer der South Winners, mit rund 7200 Mitgliedern die wichtigste Ultra-Gruppierung, ist eine der einflussreichsten Personen rund um den Club.

Die Atmosphäre beim Treffen am Montag vor zwei Wochen ist hitzig, die Forderung der Ultras radikal. «Sie alle vier treten zurück, sonst gibt es Krieg», werden die Ultras in der Tageszeitung «Le Monde» zitiert. Damit gemeint sind Präsident Pablo Longoria, sowie der Fussball- , General- und Finanzdirektor. Alle vier Personen legen danach das Amt provisorisch nieder.

Rachid Zeroual (links) mit dem ehemaligen Spieler Luiz Gustavo (rechts daneben) und weiteren Vertretern der South Winners.

Trainer Marcelino, im Juli gekommen, ergreift zwei Tage später die Flucht und verlässt den Verein. Der Schock und die Angst über die ausgesprochenen Drohungen sind offenbar zu gross. Das System Zerouals scheint wieder einmal zu funktionieren. Sein Einfluss ist seit Jahrzehnten omnipräsent.

Eines seiner Opfer war auch der ehemalige Präsident Jacques-Henri Eyraud. Ende Januar 2021 wird eine rätselhafte Nachricht Zerouals über die sozialen Medien veröffentlicht. Er kündigt eine «grosse Überraschung» an. Tags darauf wird diese Überraschung sichtbar. Fast 400 Ultras versammeln sich vor den Toren des Trainingsgeländes von Olympique Marseille. Sie bewerfen die Polizei mit Steinen und Rauchbomben, einige drängen in das Gelände ein, lassen ihrer zerstörerischen Wut freien Lauf und verletzen sogar einen Spieler. Einen Monat später wird der Präsident seines Amtes enthoben, und es folgt Longoria. 

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Dieser seinerseits resigniert (noch) nicht und ist nach seiner emotionalen Rede ein paar Tage nach dem Treffen wieder im Amt. Auch vonseiten der Fans gibt es Kritik gegenüber Zeroual. Es wird eine Petition gestartet, die seinen Abgang fordert – bis am Sonntag unterzeichnen rund 17’600 Fans. Die Anhänger schreiben darin, sie seien besorgt über die jüngsten Kommentare des Anführers, diese würden ernsthafte Bedenken bezüglich Stabilität und Integrität des Clubs bewirken.

Nach der 0:4-Derbyniederlage gegen Paris St-Germain folgt vergangene Woche die Bekanntgabe des neuen Trainers, Gennaro Gattuso. Der Italiener soll die Südfranzosen wieder in ruhigere Gewässer führen. Dass der ehemalige Sion-Spieler nicht der grosse Diplomat ist, sollte weitherum bekannt sein. Ob Gattuso mit seiner rustikalen Art dem radikalen Zeroual Paroli bieten kann?

Amsterdam: Keiner mag mehr Bob Marley singen

In einer Zeit, in der die Champions League von den reichsten der reichen Teams beherrscht wird, war Ajax Amsterdam vor einigen Jahren eine Wohltat für die Romantiker. Die Niederländer stürmten in den Halbfinal, schlugen Juventus Turin und Real Madrid, ihre Talente waren fantastisch und wurden für Millionen und Abermillionen verkauft. Wie immer, wenns gut lief, sangen die Fans «Three Little Birds» von Bob Marley.

Bald fünf Jahre ist das her. Und heute trällert keiner mehr Marley-Lieder.

Nach dieser wunderbaren Saison 2018/19 verliessen Spieler im Wert von über 200 Millionen Euro den Verein. Zum Beispiel Frenkie de Jong (Barcelona) oder Matthijs de Ligt (Juventus, heute Bayern). Trotzdem blieb Ajax gut, es folgten drei weitere Meistertitel, der Club war das Mass aller Dinge in der Eredivisie, Sommer für Sommer gab es Transfergewinne in verrückten Höhen. 

Bergab ging es im Frühjahr 2022. Sportchef Marc Overmars, eine Clublegende und Macher der letzten grossen Erfolge, wurde entlassen, weil er Mitarbeiterinnen belästigt hatte. Nach der vierten Meisterschaft in Folge ging Erfolgstrainer Erik ten Hag und nahm mit Lisandro Martínez und Anthony gleich noch zwei Hochkaräter zu Manchester United mit. 

Davon erholte sich Ajax bisher nicht. Dritter 2023 und jetzt der Absturz in den Tabellenkeller. Der Tiefpunkt kommt vor einer Woche: Zur 37. Minute liegt Ajax zu Hause gegen den grossen Rivalen Feyenoord Rotterdam 0:3 zurück, die Fans toben, noch in der ersten Halbzeit werfen sie Pyro-Material auf den Platz. 

This photograph taken on September 24, 2023, shows smoke rising from fireworks thrown on the field by Ajax' supporters during the Dutch Eredivisie football match between Ajax Amsterdam and Feyenoord at the Johan Cruijff Arena in Amsterdam. (Photo by Olaf Kraak / ANP / AFP) / Netherlands OUT

Die Situation eskaliert endgültig Mitte der zweiten Halbzeit, noch mehr Fackeln fliegen, bis die Partie schliesslich abgebrochen werden muss. Die Randale wird ausserhalb des Stadions fortgeführt. Auf Videos ist zu sehen, wie sich einige aufgebrachte Anhänger Zutritt in den Stadionbauch verschaffen wollen. Andere werfen Pflastersteine in Richtung der anwesenden Polizisten, die Tränengas einsetzen. Es kommt zu Festnahmen.

Die Entrüstung in den Niederlanden ist gross, Justizministerin Dilan Yesilgöz schreibt auf X, dass sich die Fans für ihr Verhalten schämen sollten. Ajax-Trainer Maurice Steijn spricht von einem «rabenschwarzen Tag». Die niederländische Fussballlegende Marco van Basten wird in einem Interview gar grundsätzlich. Er sagt: «Hört mit dem Profifussball in den Niederlanden auf. Das meine ich ernst, denn offensichtlich können wir uns nicht benehmen.»

Mit dem Profifussball geht es unter der Woche weiter, ohne Fans wird die Partie gegen Feyenoord fortgesetzt, die Gäste schiessen noch ein weiteres Tor und gewinnen 4:0. Ajax-Sportchef Sven Mislintat muss gehen. Er soll den Transfer des Kroaten Borna Sosa über seine eigene Firma abgewickelt haben, die bei diesem Deal als Beraterin fungierte.

Das ist aber gerade das kleinste Problem bei Ajax.

Lyon: Zur Erniedrigung eine Brandrede

Wie Schüler vor einem wild gewordenen Internatsleiter stehen sie da. Nur dass sie keine Schüler sind, sondern Fussballer, teilweise Familienväter, erwachsene Männer, die nun erniedrigt werden.

Die Szene ereignet sich Anfang September. 1:4 hat Olympique Lyon soeben im heimischen Stadion gegen den Rivalen aus Paris verloren. Der Fehlstart ist perfekt: Aus vier Partien resultiert ein Punkt. Die Spieler stellen sich vor der Fankurve auf, in sicherer Distanz zwar, aber nahe genug, um die Fratzen der Wut sehen zu können. Und dann werden sie zusammengefaltet, vom Chef der Bad Gones, des grössten Fanclubs von Olympique.

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Zwei Minuten dauert dessen Brandrede mit Megafon, zwei Minuten, während derer es um Einsatz und Ehre geht, auch um das Recht, das Trikot Olympiques zu tragen. Als könnten Fans darüber entscheiden.

Zwei Minuten auch, in denen sich die Spieler brav alles anhören – erschöpft, niedergeschlagen, vielleicht auch eingeschüchtert. Am Ende applaudieren sie gar dem Fanchef. Dann stimmen die Ultras ihren Song an. Trainer Laurent Blanc sagt danach: «Die Wut ist verständlich.» Selbst Blanc, der grosse Libero, Anführer in Frankreichs Weltmeisterteam 1998, kuscht vor den Fans. Mittlerweile ist Blanc entlassen und durch Fabio Grosso ersetzt worden.

So absurd die Bilder anmuten, so eindrücklich zeigen sie, wie mächtig die Fans auch in Lyon sind. Diese haben in den letzten Jahren ihren Club immer mal wieder in Schwierigkeiten gebracht. 2021 kam es gleich zweimal zu Spielabbrüchen, einmal traf ein Lyon-Anhänger Marseilles Star Dimitri Payet mit einer Wasserflasche, beim Cupmatch gegen den Paris FC aus der Ligue 2 gingen Fans beider Lager auf der Tribüne mit Feuerwerkskörpern aufeinander los. Zahlreiche unbeteiligte Zuschauer flüchteten auf den Rasen. Das Stadion als Ort der Angst. 

Wie die Sportzeitung «L’Équipe» damals berichtete, sollen unter den gewaltbereiten Lyon-Hooligans auch Neonazis und Anhänger der identitären Bewegung Frankreichs gewesen sein. Die Fanszene in Lyon werde seit einigen Jahren mehr und mehr von Rechtsradikalen unterwandert, schrieb die Zeitung weiter. Wobei das nicht die Bad Gones betraf.

Diese schlagen vorerst versöhnliche Töne an. «Wir sind traurig, frustriert und wütend, wenn wir sehen, dass unser Verein in den Niederungen der Liga verloren gegangen ist», schrieb die Gruppe in einem Communiqué letzte Woche. Sie ruft aber auf, die Spieler anzufeuern. «Wir sind da, um unser Team zu ermutigen, zu begleiten und zu unterstützen.»

Stellt sich die Frage: für wie lange? Am Sonntag unterliegt Lyon auch in Reims und rutscht ans Tabellenende ab.