Interview zu Steuern aus VorsorgeUnmut wegen Vorschlag zu 2. und 3. Säule: Gaillard erklärt sich und nennt Alternative
Kapitalbezug aus der Vorsorge soll steuerlich weniger attraktiv sein. Für Serge Gaillard könnte der Bundesrat für mehr Steuereinnahmen auch woanders ansetzen – bei den Eigenheimbesitzern.

Dass der Bundesrat die Steuerprivilegien beim Bezug von Kapital aus der zweiten und dritten Säule reduzieren will, sorgt in der Bevölkerung und bei bürgerlichen Politikern für heftige Kritik. Je nach Situation würde sich die Steuer für Gutverdiener verdoppeln oder im Extremfall gar verfünffachen. Den Vorschlag hat eine Expertenkommission des Bundesrates ausgearbeitet. Deren Präsident Serge Gaillard erklärt nun, wie es dazu gekommen ist – und warum er die Reform weiterhin für sinnvoll hält.
Herr Gaillard, haben Sie eine dritte Säule?
Ja, weil ich noch erwerbstätig bin.
Würden Sie heute noch Geld einzahlen, wenn Sie wüssten, dass Sie beim Kapitalbezug dreimal mehr Steuern zahlen müssten?
Ja, das würde ich. Es gibt weiterhin Vorteile.
Das müssen Sie sagen, immerhin kommt die Idee für die Steuererhöhung von Ihnen.
Es würde nur die Besteuerung der Kapitalbezüge ändern, also die Steuer, die anfällt, wenn man im Alter die dritte Säule auflöst oder wenn man Altersguthaben bei der Pensionskasse als Kapital bezieht. Die Vorteile der Altersvorsorge bleiben.
Welche Vorteile meinen Sie?
Die Grundidee der Altersvorsorge in der Schweiz ist, dass man während des Erwerbslebens für das Alter spart und diese Ersparnisse vom steuerbaren Einkommen abziehen kann. Dieses Prinzip gilt für alle drei Säulen. Auch Beiträge an die AHV und an die Pensionskassen sind steuerfrei. Unser Vorschlag ändert daran nichts – die Steuererleichterung bei der Einzahlung bleibt bestehen.
Unter dem Strich ist das aber gar kein Vorteil mehr, wenn man das Geld im Alter dann doch wie eine gewöhnliche Rente versteuern muss.
Doch, es bleibt ein Vorteil. Im Alter hat man oft ein geringeres Einkommen, wodurch die Steuerprogression niedriger ist und man weniger Steuern zahlt als in Jahren, in denen man erwerbstätig ist.
Für die AHV und teilweise für die Pensionskasse stimmt das. Aber das Geld aus der dritten Säule wird nicht als Rente, sondern als Kapital bezogen – und genau dort sollen jetzt die Steuervorteile wegfallen.
Auch hier bleiben die Vorteile. Sie ziehen Ihre Ersparnisse vom steuerbaren Einkommen ab, und Sie bezahlen während des ganzen Erwerbslebens keine Steuern auf Zinsen und Dividenden. Und am Schluss wird der Kapitalbezug gemäss unserem Vorschlag zum gleichen Prozentsatz wie beim Rentenbezug versteuert. Auch dieser ist normalerweise wegen des geringeren Einkommens im Alter tiefer als der Steuersatz, den man im Erwerbsleben hatte. Das gleiche Prinzip soll auch für Kapitalbezüge gelten.

Ist es nicht trotzdem ein Vertrauensbruch, wenn jemand mit einem Einkommen von 130’000 Franken und einem Alterskapital von 300’000 plötzlich statt 5000 fast 14’000 Franken Steuern zahlen muss?
Ja, das ist eine Mehrbelastung. Aber man muss sie in Relation setzen: Bei einem Kapitalbezug von 300’000 Franken erscheint der Steuerbetrag auf den ersten Blick hoch. Aber er liegt immer noch unter fünf Prozent.
Nochmals: Verstehen Sie, dass viele Menschen Ihren Vorschlag als Verstoss gegen Treu und Glauben empfinden?
Das kann ich gut nachvollziehen. Die Frage nach Treu und Glauben stellt sich immer bei Gesetzesänderungen. Meistens löst man dies mit einer gestaffelten Einführung oder einer Übergangsfrist.
Müsste man nicht noch weiter gehen und das Gesetz so anpassen, dass der Wegfall der Steuerprivilegien nur für Gelder gilt, die nach Inkrafttreten der neuen Regelung eingezahlt werden?
Das wäre eine Möglichkeit. Allerdings muss bedacht werden, dass mit unserem Vorschlag eine schwer zu begründende Steuerermässigung beseitigt würde: Der Kapitalbezug sollte im Vergleich zum Rentenbezug nicht zu Steuerersparnissen führen. Man sollte beides gleich behandeln.
Das Problem: Mit Übergangsfristen würde es lange dauern, bis die Massnahme greift und der Bund mehr einnimmt. Dabei ist das Ziel doch, die Bundesfinanzen kurzfristig zu stabilisieren.
Das ist ein wichtiges Argument. Ziel ist die Entlastung des Bundeshaushaltes. Die Regelung hätte aber auch mit Übergangsfristen bereits vom ersten Tag an eine Wirkung: Denn der Anreiz, Pensionskasseneinkäufe in den letzten 10 Jahren vor der Pensionierung ausschliesslich zur Steueroptimierung zu tätigen, würde wegfallen. Es würden vermutlich ab sofort weniger Gutverdiener hohe steuerbefreite Nachzahlungen in die Pensionskasse leisten.
Wieso genau?
Heute werben viele Vermögensberater mit der Möglichkeit, die zweite Säule als Instrument zur Steueroptimierung zu nutzen. Wer gut verdient, kann in den 10 bis 15 Jahren vor der Pensionierung die Spielräume für steuerbefreite zusätzliche Einzahlungen nutzen, um das Geld später wieder mit dem Kapitalbezug steuerbegünstigt zu beziehen. Wie gross die entsprechenden Spielräume sind, hängt von den Pensionskassenreglementen ab.
Wer profitiert?
Von den Steuererleichterungen dürften vor allem Haushalte mit sehr hohen Einkommen profitieren. Wir hatten in der Expertengruppe die Zeit nicht, uns alle Zahlen zu beschaffen. Es wird deshalb interessant sein, die Vernehmlassungsunterlagen des Bundes anzuschauen.
Sie schreiben im Bericht der Expertenkommission, dass nach der Umsetzung Ihres Vorschlags möglicherweise weniger Menschen in die zweite und dritte Säule einzahlen. Rütteln Sie da nicht am Grundprinzip unserer Altersvorsorge?
Nein. Es lohnt sich weiterhin, im normalen Rahmen in die zweite und dritte Säule einzuzahlen. Was weniger attraktiv wird, ist der steueroptimierte Renteneinkauf mit 50 oder 55 Jahren – das ist ja auch nicht das Ziel der Altersvorsorge.
Woher wissen Sie so genau, dass so viel optimiert wird?
Die Kapitalbezüge haben in den letzten Jahren stark zugenommen. In der Pensionskasse des Bundes gab es kürzlich eine Umfrage dazu. Über die Hälfte der Befragten begründete den Kapitalbezug auch mit Steuerersparnissen.
Haben Sie kein Verständnis, wenn jemand mit 50 Jahren sicherstellen will, im Alter ein anständiges Einkommen zu haben?
Doch, natürlich. Es ist sinnvoll, sich frühzeitig solche Fragen zu stellen. Aber das Steuersystem sollte nicht dazu verleiten, mit 65 Jahren das Kapital statt eine lebenslange Rente zu beziehen, nur weil es steuerlich günstiger ist. Das birgt gesellschaftliche Risiken: Die Person könnte im hohen Alter oder bei einem Heimeintritt staatliche Unterstützung benötigen, wenn das Kapital aufgebraucht ist.
Es gibt viele Steuerprivilegien. Warum hat Ihre Kommission ausgerechnet jene bei der Altersvorsorge ins Visier genommen?
Wir haben nicht die Altersvorsorge ins Visier genommen. Wir schlagen einfach vor, Kapitalbezüge gleich zu besteuern wie Rentenbezüge. Damit wird die Grundidee der Altersvorsorge eher gestärkt. Im Übrigen haben wir dem Bundesrat auch andere Vorschläge auf der Einnahmeseite unterbreitet: zum Beispiel die Einführung einer Grundstückgewinnsteuer auf Bundesebene. Das ist eine vergleichbare einnahmeseitige Massnahme.
Der Vorschlag mit der Grundstückgewinnsteuer würde viermal mehr einbringen. Und nur wer sein Haus tatsächlich mit Gewinn verkauft, müsste diese zahlen. Wäre das nicht die bessere Alternative, um die Finanzen des Bundes zu stabilisieren?
Es gibt in der Tat gute Gründe, Gewinne aus der Veräusserung von Grundstücken auch auf Bundesebene zu besteuern. Andere Einkommen werden auch auf Gemeinde-, Kantons- und Bundesebene versteuert. Auch aus volkswirtschaftlicher Sicht würde nichts gegen eine solche sprechen: Weder der Arbeitsmarkt noch die Investitionstätigkeit würden beeinträchtigt. Schliesslich wäre auch hier der Erhebungsaufwand gering, weil auf den bestehenden Vollzug in den Kantonen aufgebaut werden kann.
Was vermuten Sie, warum hat der Bundesrat den Vorschlag einer Grundstückgewinnsteuer versenkt?
Das weiss ich nicht. Offenbar hat der Vorschlag mit den Kapitalbezügen der Altersvorsorge den Bundesrat mehr überzeugt.
Mit dem Entscheid, die Steuerprivilegien bei der Altersvorsorge anzutasten, greift Finanzministerin Karin Keller-Sutter ein Heiligtum ihrer eigenen Partei, der FDP, an. Waren Sie überrascht, dass sie diesen Vorschlag aufgreift?
Das ist nur einer von vielen Vorschlägen unserer Expertengruppe, die der Bundesrat übernommen hat. Dass die Steuervorteile beim Kapitalbezug eingeschränkt werden sollen, zeigt, dass er versucht, eine gewisse Opfersymmetrie zu wahren, bei der alle politischen Lager betroffen sind.
Ihre Kommission hat dem Bundesrat über 60 Vorschläge unterbreitet, gibt es eigentlich eine einzige Massnahme, die nicht kritisiert wurde?
Die meisten Massnahmen sind Sparvorschläge. Und überall, wo der Bund spart, gibt es Verlierer. Deshalb ist Kritik normal. Trotzdem sind die Einsparungen sinnvoll: Häufig lassen sich die angestrebten politischen Ziele mit weniger Steuergeld erreichen.
Glauben Sie, dass am Schluss überhaupt noch eine Massnahme mehrheitsfähig ist?
Ich gehe davon aus, dass eine Mehrheit der Bevölkerung ausgeglichene und stabile Bundesfinanzen will. Neben der höheren Mehrwertsteuer oder den höheren Lohnprozenten zur Finanzierung der 13. AHV-Rente ist der Spielraum für Steuererhöhungen beschränkt. Deshalb wird die Bevölkerung eher einem Paket zustimmen, das von allen gewisse Zugeständnisse abverlangt, als einzelnen Massnahmen, bei denen immer nur eine einzelne Gruppe betroffen ist.
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