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Expertengruppe präsentiert Vorschläge
Bahn, Strasse, Kita: So soll der Bund Milliarden einsparen

Serge Gaillard, Praesident der Expertengruppe, ehemaliger Direktor EFV, Mitte, spricht neben Christoph Schaltegger, Professor fuer Politische Oekonomie, Universitaet Luzern, Jacques Bourgeois, Alt Nationalrat, Aymo Brunetti, Professor fuer Volkswirtschaftslehre, Universitaet Bern, Ursula Schneider Schuettel, Alt Nationalraetin, von links, waehrend einer Medienkonferenz der Expertengruppe zur Aufgaben- und Subventionsueberpruefung des Bundes, am Donnerstag, 5. September 2024 in Bern. (KEYSTONE/Anthony Anex)
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Warum muss der Bund überhaupt «sparen»?

Der Bund wird in den nächsten Jahren deutlich mehr Geld ausgeben – insbesondere für die Armee und für die AHV. Weil aber in der Schweiz die Schuldenbremse gilt, muss der Bundesrat dafür sorgen, dass anderswo Geld eingespart wird oder der Bund mehr einnimmt. Für dieses und das nächste Jahr hat er schon selbst Vorschläge gemacht, mit denen er zwei Milliarden Franken einsparen will. Diese fokussieren auf die sogenannten ungebundenen Ausgaben – also Kosten, die nicht gesetzlich vorgeschrieben sind. Dort sind Kürzungen am einfachsten möglich. Für die Jahre ab 2026 steigen die Ausgaben aber noch stärker an.

Wer hat die Vorschläge ausgearbeitet?

Der Bundesrat hat – auf Vorschlag Finanzministerin Karin Keller-Sutters – schon vor einem halben Jahr vier Finanzexperten und eine -expertin damit beauftragt, die Bundesfinanzen zu analysieren. Sie sollten herausfinden, wo es Sparpotenzial gibt. Leiter der Gruppe ist der frühere Gewerkschafter Serge Gaillard, der bis Januar 2021 Direktor der Finanzverwaltung des Bundes war.

Daneben waren in der Gruppe vertreten: Ursula Schneider Schüttel, die bis letzten Dezember Nationalrätin der SP war; Jacques Bourgeois, früherer FDP-Nationalrat;  Aymo Brunetti, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bern – und Christoph Schaltegger, Professor für Politische Ökonomie Universität Luzern.

Serge Gaillard, Direktor Eidgenoessische Finanzverwaltung EFV, spricht waehrend einer Medienkonferenz des Bundesrates ueber die Vernehmlassung zur Teilrevision des Postorganisationsgesetzes, am Freitag, 5. Juni 2020 in Bern. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)

Am Donnerstag stellte die Gruppe ihre Vorschläge der Öffentlichkeit vor. Und Gaillard sagte: «Ich freue mich, dass wir uns auf 60 Massnahmen einigen konnten.» Die fünf Experten seien bei fast allen Massnahmen einer Meinung gewesen. Nur in drei Fällen habe es Uneinigkeit gegeben, woraufhin eine Mehrheit entschieden habe.

In welchen Bereichen soll nun konkret gespart werden?

Eine Auswahl der wichtigsten Massnahmen, welche die «Gruppe Gaillard» vorschlägt:

Asylpolitik:

Sie soll stärker auf die Integration in den Arbeitsmarkt ausgelegt sein. Das Ziel: Die Menschen sollen schneller finanziell unabhängig sein. Der Bund soll nicht mehr länger als vier Jahre für vorläufig Aufgenommene und Flüchtlinge Geld an die Kantone bezahlen müssen. 

Klimapolitik:

Hier schlägt die Gruppe Gaillard weniger Subventionen vor, etwa für Hausbesitzer oder Firmen. Sie argumentiert, dass die sogenannten Mitnahmeeffekte dabei gross seien – weil etwa Private oft ohnehin Solaranlagen bauen würden, auch ohne Geld vom Bund. Stattdessen will sie mehr Lenkungsabgaben und Vorschriften.

Bahn und Strassen:

Hier soll es weniger Projekte geben, die nur einzelnen Regionen helfen. Die Experten kritisieren das Parlament: Es habe Beiträge oft unnötig erhöht. Der Bund soll seine Einlagen in die Fonds für Bahn und Strasse reduzieren. Geplante Projekte sollen «neu priorisiert» werden.

Kitas, familienergänzende Kinderbetreuung:

Hier soll der Bund künftig gar nichts mehr bezahlen. In den letzten Jahren wurde die sogenannte Anstossfinanzierung mehrmals verlängert. Sie sollte dafür sorgen, dass in allen Kantonen zusätzliche Kitas gebaut werden und die Zahl der Betreuungsplätze steigt. Aber weil die externe Kinderbetreuung eigentlich eine Aufgabe der Kantone ist, will die Gruppe Gaillard, dass der Bund alle Gelder streicht.

Finanzausgleich:

Der sogenannte soziodemografische Lastenausgleich soll reduziert werden – oder, wenn es nach der Expertengruppe geht, gleich ganz gestrichen. Mit diesem Instrument bezahlt der Bund Geld an die städtischen Zentren, die hohe Ausgaben haben für die soziale Wohlfahrt, weil überdurchschnittlich viele Leute auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. «Wir können nicht fünf Prozent der Ausgaben streichen, ohne dass das die Kantone spüren», so Gaillard vor den Medien.

AHV:

Der Bund zahlt einen Beitrag an die AHV. Festgelegt ist dieser als Anteil der AHV-Ausgaben. Das heisst, wenn mehr Leute ins Pensionsalter kommen, muss der Bund mehr bezahlen. Neu soll der Beitrag an die Mehrwertsteuer gebunden sein, sodass der Bundesbetrag nicht stärker wächst als die Einnahmen.

Armee:

Das Verteidigungsdepartement hat der Expertengruppe mitgeteilt, dass es bis 2030 500 Millionen Franken im Betrieb einsparen will. Dieses Geld soll stattdessen für den Kauf von Rüstungsmaterial eingesetzt werden können.

Bundespersonal:

Die Ausgaben für Bundesangestellte sind in den letzten Jahren stark gestiegen. Deshalb schlägt die Gruppe bis 2028 eine Kürzung um 600 Millionen Franken beim Eigenaufwand des Bundes vor – mehr als die Hälfte davon soll beim Personalaufwand gestrichen werden.  Für neue Aufgaben soll es in den nächsten Jahren keine zusätzlichen Ressourcen geben. Und das Budget für die Personalkosten soll höchstens noch an die Teuerung angepasst werden.

Weitere Kürzungsvorschläge:

Freiwillige Beiträge an internationale Organisationen sollen um 10 Prozent gekürzt werden, Finanzhilfen für die Sportförderung ebenfalls. Daneben sind diverse weitere Kürzungen geplant, so auch bei der indirekten Presseförderung.

Wie hoch sollen die Kürzungen ausfallen?

Die «goldenen Jahre» sind zu Ende – so steht es im Bericht der Expertengruppe. Von 2006 bis 2020 sei in der Schweizer Finanzpolitik alles gut gelaufen. Man verzeichnete Überschüsse. Aber dann kam die Covid-Pandemie, und die Schulden, welche die Schweiz 15 Jahre lang abgebaut hatte, wurden in kurzer Zeit erneut angehäuft. Nun drohen hohe Defizite.

Dies liegt unter anderem daran, dass das Armeebudget bis 2035 schrittweise angehoben wird, auf 1 Prozent des Bruttoinlandprodukts, und dass der Bundesrat wegen der 13. Rente künftig mehr in den AHV-Topf bezahlen muss. Deshalb hat sich der Bundesrat ein «Entlastungsziel» gesetzt: 3 bis 3,5 Milliarden Franken pro Jahr bis 2030, danach sogar 4 bis 4,5 Milliarden Franken pro Jahr. Die Expertengruppe übertrifft diese Ziele. Sie schlägt Kürzungen von rund 4,9 Milliarden Franken ab 2030 vor. «Fast alle diese Sparmassnahmen sind nach 15 Jahren Wachstum gut begründet», so Gaillard.

Welche Kriterien waren für die Auswahl der Vorschläge entscheidend?

Einerseits hat die Gruppe die Aufgaben des Bundes überprüft – und sich dabei die Frage gestellt, wo Kantone eigentlich in der Hauptverantwortung wären. Andererseits hat sie sich die Subventionen angeschaut und überlegt, ob die politischen Ziele, die hinter diesen Ausgaben stehen, mit weniger Geld erreicht werden könnten. Und sie hat analysiert, welche Budgetposten am stärksten wachsen – und zwar so stark, dass sie andere Aufgaben verdrängen. Die Expertengruppe hat insgesamt 70 Milliarden Franken an Ausgaben durchleuchtet.

Sind auch Bereiche betroffen, in denen schon Kürzungen beschlossen sind?

Bisher hatte der Bundesrat vor allem bei den ungebundenen Ausgaben Kürzungen vorgeschlagen, weil er dort am meisten Handlungsspielraum hat. Auch in diesem Bereich schlägt die Gruppe erneut Massnahmen vor. So sollen etwa in der Entwicklungszusammenarbeit die Ausgaben bis 2030 eingefroren werden und der Betrag für Innosuisse und Nationalfonds um 10 Prozent gekürzt werden.

Sind Einsparungen der einzige Vorschlag?

Der Hauptvorschlag der Gruppe Gaillard lautet: sparen, sparen, sparen. Alle geplanten höheren Ausgaben werden durch Kürzungen in anderen Bereichen kompensiert. Die Experten schlagen sogar noch höhere Kürzungen vor: Das soll es der Regierung ermöglichen, selbst Prioritäten zu setzen.

Aber: Die Gruppe präsentiert auch ein Szenario, in dem die Armeeausgaben langsamer wachsen. In dieser Variante steigen die Kosten für Panzer und Soldaten nicht auf 1 Prozent des BIP bis ins Jahr 2035. Die «NZZ am Sonntag» hat vorab über diese Option berichtet – was in Sicherheitskreisen bereits für wütende Reaktionen gesorgt hat.

Auch in diesem Szenario braucht es Kürzungen, sie fallen aber weniger hoch aus. Eine Reduktion der geplanten Zusatzausgaben für die Armee würde den Bundeshaushalt bis 2032 um rund 940 Millionen Franken entlasten.

Gaillard macht aber klar, dass dies grosse Implikationen hätte. Denn: Der Bundesrat müsste seine Position ändern, der Ständerat ebenfalls. Und die Armee hätte keine Planungssicherheit.

Als weitere Variante stellt die Gruppe Gaillard Überlegungen an, einen Teil der höheren Ausgaben mittels zusätzlicher Einnahmen zu kompensieren.

Kann die Schweiz nicht einfach mehr Schulden machen?

Das will die Expertengruppe nicht in Kauf nehmen. Sie argumentiert, die zusätzlichen Ausgaben seien nicht ausserordentlich. An den Klimawandel müsse man sich langfristig anpassen, das sei die neue Normalität. Desselbe gelte für die geopolitische Lage, die nach mehr Sicherheitsausgaben verlange. Die Schuldenbremse zu lockern, sei daher nicht richtig – und würde nur den Handlungsspielraum für die Zukunft einschränken.

Kann es sein, dass wir alle bald mehr Bundessteuern bezahlen müssen?

Nicht, wenn es nach der Expertengruppe geht. Oder jedenfalls nicht direkt. Im Vordergrund für das Szenario «mehr Einnahmen» stehen andere Optionen: Steuervergünstigungen streichen, etwa für Kapitalbezüge bei der Altersvorsorge aus der zweiten und dritten Säule. Bei der Mehrwertsteuer liesse sich ein einheitlicher Satz von 6,8 Prozent einführen – das heisst, es gäbe etwa für die Hotellerie keine Vergünstigungen mehr. Ein weiterer Vorschlag ist eine Grundstückgewinnsteuer auf nationaler Ebene. Diese neue Steuer war innerhalb der Expertengruppe umstritten. Insgesamt könnten mit diesen Massnahmen 2,5 bis 3,5 Milliarden Franken pro Jahr mehr eingenommen werden.

Wie geht es jetzt weiter?

Am Mittwoch hat sich der Bundesrat über die Vorschläge gebeugt und sie «begrüsst» – aber noch keine Entscheide gefällt. Der Plan ist, dass nun alle Parteien, die Sozialpartner und die Kantone zu den Vorschlägen Stellung nehmen können. Dazu finden runde Tische statt. Erst dann, Ende September, will die Regierung entscheiden, welche Vorschläge sie weiterverfolgt. Dazu wird sie im Januar 2025 eine Vernehmlassung eröffnen. Das bedeutet, dass die Vorschläge auf das Budget des nächsten Jahres noch keinen Einfluss haben. Sie sollen erst ab 2026 zur Anwendung kommen. Aber: Der Spardruck wird ab sofort in alle politischen Diskussionen hineinspielen.