Altersforschung im TierreichDas sind die Geheimnisse der ältesten Tiere
Grönlandhaie haben oft bereits ein paar Hundert Jahre auf dem Buckel, eine bestimmte Mini-Quallenart gilt sogar als unsterblich. Ein Experte ordnet für die Serie «Forever Young» die neun bizarrsten Alters-Rekordhalter ein.
Nacktmulle sehen zwar nicht so sexy aus, sind aber bis ins hohe Alter fruchtbar. Doch damit nicht genug: Die schrumpeligen Tiere bekommen auch keinen Krebs und werden anders als die meisten Nagetiere nicht nur zwei oder drei Jahre alt, sondern 30. Allerdings ist dies nichts im Vergleich zum Glasschwamm aus dem Golf von Mexiko, der sogar über 11’500 Jahre alt werden kann.
Und der Mensch? «Bei uns liegt auch unter den besten Bedingungen und genetischen Voraussetzungen das maximale Alter derzeit nicht höher als bei ungefähr 120 Jahren», sagt Joris Deelen, Forschungsleiter am Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns. Die Gene spielen dabei keine Hauptrolle und sind wahrscheinlich nur für ungefähr 15 Prozent dafür verantwortlich, wie lange wir leben. Der Rest sind die Umwelt und das individuelle Verhalten.
Wer sich gesund ernährt, wenig Alkohol trinkt, sich viel bewegt, gut schläft und nicht unter Dauerstress leidet, steigert seine Chancen, auch im hohen Alter noch fit zu sein. «Von den neuen Erkenntnissen der Forschung langlebiger Tiere lassen sich für den Menschen vor allem für die Prävention und die Therapie von altersbedingten Krankheiten Rückschlüsse ziehen, um lang gesund zu bleiben», betont Deelen. Deshalb lohnt sich ein Blick auf die Tiere mit der längsten Lebensspanne.
Seychellen-Riesenschildkröte: 190+
Jonathan, der auf der Insel St. Helena im Südatlantik zu Hause ist, hat letztes Jahr offiziell seinen 190. Geburtstag gefeiert. Er gehört zu den Seychellen-Riesenschildkröten (Aldabrachelys gigantea hololissa) und ist vermutlich das älteste lebende Landtier, wie ein Eintrag im «Guinnessbuch der Rekorde» zeigt. 1882 wurde er von den Seychellen im Alter von etwa 50 Jahren in die britische Kronkolonie gebracht.
Doch was ist sein Geheimnis? Riesenschildkröten haben einen recht langsamen Stoffwechsel und sind ziemlich resistent gegen spezifische Formen von Stress. Zudem weisen sie im Vergleich zu anderen Tierarten auch längere Schutzkappen an den Enden der Chromosomen auf, den sogenannten Telomeren. «Aufgrund ihres Panzers haben sie auch nur wenige natürliche Feinde», sagt Deelen. Im Prinzip stelle nur der Mensch eine Gefahr für die Existenz dieser langlebigen Reptilien dar.
Grönlandwal: 200+
Auch Grönlandwale (Balaena mysticetus) werden uralt und kennen eigentlich keine grosse Action in ihrem Leben. Die bis zu 100 Tonnen schweren Tiere ziehen eher gemütlich durch den Ozean und brauchen ihre Nahrung nur aus dem Wasser zu filtern. Die genaue Lebensspanne dieser arktischen und subarktischen Giganten ist zwar nicht bekannt. Nach Angaben der National Oceanic and Atmospheric Administration (Noaa) gibt es aber Hinweise, dass sie sogar mehr als 200 Jahre alt werden können.
Wie schaffen sie dies? Wie eine Studie von der University of Liverpool in der Fachzeitschrift «Cell Reports» zeigte, haben Grönlandwale aufgrund von Mutationen mehrere genetische Anpassungen, die vor altersbedingten Krankheiten wie Krebs besser schützen. Gleichzeitig haben sie auch relevante Veränderungen in ihrem Erbgut, die für die Thermoregulation, die sensorische Wahrnehmung, die Ernährungsanpassung und die Reaktionen des Immunsystems mitverantwortlich sind. «Kurzum haben sie eher kein aufregendes Leben, dafür aber ein langes», fasst Deelen zusammen.
Grönlandhai: 272+
Die rund 7 Meter langen Grönlandhaie (Somniosus microcephalus) halten sich tief in den arktischen und nordatlantischen Ozeanen auf. Gemäss einer 2016 in der Fachzeitschrift «Science» veröffentlichten Studie können sie eine Lebenserwartung von mindestens 272 Jahren haben. Das Alter hatte der Forscher Julius Nielsen von der Universität Kopenhagen anhand von Proteinen in der Augenlinse bestimmt. Er geht davon aus, dass Grönlandhaie sogar bis zu 512 Jahre alt werden können.
Der Grund für das hohe Alter? «Kein Beutetier jagt und frisst ihn, da er mit seiner Grösse am Ende der Nahrungskette steht», sagt Deelen. Welche genauen Mutationen oder auch nützliche Extrakopien eines Gens für seine Langlebigkeit von Bedeutung seien, sei aber weiterhin noch unklar.
Röhrenwurm: 300+
Zum Club der Meeres-Methusalems gehört der Röhrenwurm (Escarpia laminata), der seinen Lebensraum auf dem Ozeanboden im Golf von Mexiko in 1000 bis 3300 Metern Tiefe hat. Um die Lebensdauer und das Alter der Würmer zu bestimmen, beobachtete die Meeresbiologin Alanna Durkin von der Temple University in Philadelphia zusammen mit Kollegen ein Jahr lang, wie schnell die Tiefseebewohner wuchsen. Mithilfe dieser Daten bestimmten sie die durchschnittliche Wachstumsrate der Spezies und konnten auf diese Weise auf das Alter einzelner Exemplare schliessen. Demnach musste ein rund 50 Zentimeter langes Individuum bereits rund 200 Jahre alt sein und noch grössere Exemplare sogar älter als 300 Jahre.
Wie ist dies möglich? «Das extreme Alter dieser Röhrenwürmer-Art hängt wiederum damit zusammen, dass in dem abgelegenen Tiefsee-Habitat wenig Gefahren lauern», sagt Deelen. Die Tiere können somit ungestört leben und langsam ohne irgendein grosses Risiko heranreifen.
Islandmuschel: 507+
Eigentlich stand die Muschel Ming, die britische Forscher um Paul Butler 2006 vom Meeresboden vor Island herausholten und deren Jahresringe sie zählten, bereits mit einem Alter von mindestens 405 Jahren im «Guinnessbuch der Rekorde». Doch als Butler nochmals Mings Wachstumsringe wegen einer anderen Studie genau untersuchte, kam er zum Schluss, dass sie sogar 507 Jahre alt war, als sie aus dem Wasser geholt wurde.
Vielleicht wäre sie dort unten am Ozeangrund ja auch noch sehr viel älter geworden? Fakt ist jedoch, dass dort aufgrund der kälteren Gewässer der Stoffwechsel und das Wachstum langsamer sind. Denn in der deutlich wärmeren Ostsee beträgt ihre Lebenserwartung nur rund 40 Jahre.
Schwarze Koralle: 4200+
Solche ungewöhnlichen Korallen wachsen in der Dunkelheit am Meeresboden. Vor Hawaii sammelte Brendan Roark mit seinen Kollegen von der Universität von Stanford in Kalifornien in einer Tiefe von 400 bis 500 Metern mithilfe von Tauchbooten lebende Stücke der Schwarzen Koralle Leiopathes ein. Sie wächst in Kolonien aus zigtausend winzigen Einzelorganismen, sogenannten Polypen. Alle Tiere stehen miteinander in Verbindung und bilden so eine einzige grosse lebende Einheit, die in ihrer Struktur an einen Baum erinnert und mehrere Meter gross werden kann. Das Alter der Koralle wurde mit Radiokarbon-Datierung auf über 4200 Jahren bestimmt, wie das Forscherteam im Fachmagazin «PNAS» berichtet.
Wie kann man so steinalt werden? Dies hänge sicherlich mit dem sehr langsamen Wachstum zusammen, erklärt Deelen. Pro Jahr legen die Korallen der Gattung Leiopathes durchschnittlich vier Mikrometer zu, was weniger als die Grösse eines Staubkorns entspricht.
Glasschwamm: 11’500+
Kaum jemand denkt bei einem Schwamm an ein Tier. Doch manche dieser skurrilen Geschöpfe sind Tausende von Jahren alt. Ähnlich wie Korallen bestehen Schwämme aus Kolonien von Tieren. Glasschwämme gehören zu den am längsten lebenden Arten der Erde und haben ein glasähnliches Skelett.
Eine vor mehreren Jahren in der Fachzeitschrift «Chemical Geology» veröffentlichte Studie ermittelte das Alter eines Glasschwamms (Monorhaphis chuni), der aus einer Tiefe von 1100 Metern im Ostchinesischen Meer stammte. So berechneten die Forscher um Klaus Peter Jochum vom Max-Planck-Institut in Mainz und Torsten Vennemann von der Universität Lausanne anhand der Analyse des Skeletts, dass der Glasschwamm maximal sogar etwas mehr als 11’500 Jahre alt sein könnte. «Über die molekularen Ursachen dieses bizarren Rekordhalters weiss man bisher allerdings nichts», sagt Deelen. Wahrscheinlich spiele auch hier erneut das langsame Wachstum eine Rolle.
Turritopsis dohrnii: Forever young
Für immer jung ist die nur zwei bis vier Millimeter winzige, farblose oder rosafarbene Qualle. Die winzige Hydrozoen-Art Turritopsis dohrnii kommt vor allem im Mittelmeer etwa um Mallorca vor. Sie kann sich durch genetische Besonderheiten in ihrem Lebenszyklus ständig selbst verjüngen – und ist damit quasi unsterblich. Darüber berichteten spanische Forschende der Universität Ovieda letzten Sommer in der Fachzeitschrift «PNAS».
Doch wie geht das überhaupt? «Als ausgewachsene Meduse kann sie sich auf einzigartige Art und Weise zurück in ihr jugendliches Selbst, einen Polypen, verwandeln, wenn ihr Körper beschädigt ist», erklärt Deelen. So entkomme sie immer wieder von neuem dem Tod. Zudem besitze sie überdurchschnittlich viele Gene, die Spuren des Alterns reparierten – von abgenutzten Telomeren bis zu Zellschäden durch oxidativen Stress.
Hydra: Potentiell unsterblich
Dieses einfach gebaute Nesseltier kann beschädigte Zellen unbegrenzt durch neue ersetzen. Der Süsswasserpolyp Hydra vermehrt sich nämlich ungeschlechtlich durch Knospung und altert dadurch nicht.
Wie ist das möglich? «Der Trick ist, dass die Tiere grösstenteils aus Stammzellen bestehen, die sich ständig regenerieren und nicht altern», sagt Deelen. Unter natürlichen Bedingungen würden die Winzlinge aufgrund von Bedrohungen wie Raubtieren und Krankheiten jedoch auch sterben.
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