Hirschis nächster ExploitAls wäre WM-Bronze völlig normal
Vom Favoritenstatus unbeeindruckt, fährt der 22-Jährige ein starkes Rennen. Im Schlusssprint agiert er nicht seinem Alter entsprechend.
Als er ins Autodromo Internazionale Enzo e Dino Ferrari einbiegt und die Ziellinie langsam näherrückt, hat Marc Hirschi nur noch ein Ziel: Er will ans Hinterrad von Wout Van Aert. Gegen den Belgier zogen an der Tour de France selbst die Sprinter zwei Mal den Kürzeren, er ist damit in diesem Endspurt um Silber und Bronze der klare Favorit.
«Ich dachte mir: Wenn ich einigermassen sein Hinterrad halten kann, kann ich Dritter werden», sagt Hirschi und zeigt damit einmal mehr, wie abgebrüht er in solchen Situationen agiert.
Es wird ein langer Sprint, und Michal Kwiatkowski kommt Hirschi sehr nahe. Der getraut sich nicht zu jubeln, so knapp ist es, dabei müsste er nur die Miene des Weltmeisters von 2014 sehen, um zu realisieren, dass es gereicht hat für WM-Bronze – mit kaum zehn Zentimetern Vorsprung.
Lange im Energiesparmodus
Dann steht er auf dem Podium, das Lächeln so breit, dass es anhand seiner zusammengekniffenen Augen trotz Maske gut erkennbar ist. Er sagt: «Dieser Erfolg bedeutet mir sehr viel. Nach der Tour de France noch einmal zu bestätigen, dass ich dieses Level habe, um ganz vorne mitfahren zu können, das gibt mir auch Selbstvertrauen für die Zukunft.»
Als hätte es ihm noch an diesem gefehlt! Hirschi zeigt mit 22 ein Rennen wie ein Routinier. Bei der Teambesprechung am Samstag sagt er klar, wie ihn das Schweizer Team unterstützen soll: indem es ihn so lange wie möglich aus den Positionskämpfen im Feld heraushält, er kann so die ersten Rennstunden im Energiesparmodus verbringen.
Die Schweizer führen darum das Feld früh und lange an. Die Folge davon: Bei der 200-Kilometer-Marke hat Hirschi nur noch Enrico Gasparotto bei sich. Vielleicht hat der Berner auch deshalb gewisse Zweifel. Jedenfalls erklärt Hirschi in der vorletzten Runde Gasparotto, dem gebürtigen Italiener, der mit 38 Jahren für die Schweiz seine erste Rad-WM bestreitet, dass er sich nicht ganz so top fühle und vielleicht Gasparotto auf ein Resultat fahren müsse …
«Am Schluss brauchte es gar keine richtigen Angriffe, so kaputt waren alle.»
Es kommt dann doch anders. Gasparotto fällt wenig später wegen eines Schaltproblems zurück, Hirschi ist nun auf sich gestellt. Das ist nicht weiter schlimm. Denn das Tempo ist mittlerweile so hoch, dass sowieso nur noch die Stärksten vorne dabei sind. Hirschi inklusive.
Auf der Schlussrunde ist er es, der die Favoritengruppe sprengt, wenngleich er seinen Vorstoss nicht als Angriff taxiert: «Der Parcours machte die Selektion. Am Schluss brauchte es gar keine richtigen Angriffe, so kaputt waren alle. Und Alaphilippe war einfach stärker.»
Der Franzose attackiert oben an der letzten Steigung, auf seinen Antritt kann niemand reagieren. Hirschi bleibt in der exklusiven Verfolgergruppe, konzentriert sich auf den Sprint um die weiteren Medaillen – und reüssiert.
Zweiterfolgreichste WM der Geschichte
Es ist die zweite Bronzemedaille im Strassenrennen in Serie, nach Stefan Küngs 2019 in Yorkshire, und erst die 15. für die Schweiz insgesamt. Das macht Nationaltrainer Marcello Albasini stolz. «Wir schafften nun zwei Mal in Folge, was zuvor 20 Jahre vergeblich versucht wurde», sagt er mit Blick auf die lange Medaillendurststrecke.
Die Elite-WM von Imola geht mit den drei Medaillen (neben Hirschi gewannen im Zeitfahren Marlen Reusser Silber und Stefan Küng Bronze) als zweiterfolgreichste in der Geschichte von Swiss Cycling ein. Nur 1996 in Lugano war man mit vier Medaillen noch erfolgreicher gewesen.
Eine grosse Feier ist aber nicht drin für Marc Hirschi. Noch am Sonntagabend flog er nach Belgien, am Mittwoch folgt der Flèche Wallonne, am Sonntag Lüttich–Bastogne–Lüttich. «Es geht mir auch etwas schnell», sagt er. «Aber in zwei Wochen habe ich Ferien.»
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