Als Mutter plötzlich von Ängsten geplagt
Wann wird aus einem normalen «sich sorgen» ein krankhaftes «sich ängstigen»?
Immer mal wieder frage ich mich, ob ich eigentlich normal bin, «normal» im Sinne von «gesund». Denn immer wieder beeinflussen, ja beherrschen meine Ängste meinen Erziehungsstil. Bin ich damit schon eine Helikoptermutter? Habe ich eine Angststörung, oder gehört diese Panik einfach dazu?
Ich wünschte mir manchmal eine App, die mir sagt, ob meine Ängste angebracht sind oder nicht: «Alles normal», «beruhigen Sie sich, Sie übertreiben» oder «ab zum Psychiater». Da es so etwas leider nicht gibt, habe ich mich probeweise in verschiedenen Angstsituationen reflektiert.
Teenager auf Reisen
Situation 1: Mein Sohn ist mit meinem Ex-Mann auf Städtereise. Ich könnte all die freien Stunden geniessen. Endlich ein bisschen Zeit für mich, für meinen Partner, für meine Tochter. Keine Teenie-Allüren, keine Handyzeit-Streitereien. Stattdessen sucht mich am Abreisetag die Angst heim, das Flugzeug könnte abstürzen. Oder der Sohn könnte seinen Vater im Getümmel der Stadt verlieren. Auch wenn es mir zwischendurch gut gelingt, abzuschalten – richtig ruhig bin ich erst wieder, als er nach Hause kommt.
Das sagt meine innere App: Beruhige dich! Die Verantwortung liegt jetzt beim Vater, du hast im Grunde nichts zu sagen. Da musst du einfach loslassen. Weil es dir zwischendurch gelungen ist, die freie Zeit auszukosten, hast du die Kurve gerade noch gekriegt.
Das Kind in der Röhre
Situation 2: Als meine Tochter zehn Monate alt ist, schiebt man sie in eine Röhre: ein MRI unter Sedierung. Die Ärzte können eine Stoffwechselerkrankung oder «etwas im Gehirn» nicht ausschliessen. Gegenüber meiner Tochter und den Ärzten bleibe ich ruhig. Die Vorstellung, mein Kind könnte todkrank sein, jagt mir jedoch unheimliche Angst ein. Ich kontrolliere nächtelang ihren Atem. Ich habe Angst, die Anästhesistin könnte einen Fehler machen, die Sedierung schiefgehen.
Das sagt meine innere App: Alles normal, natürlich bist du verängstigt. Deine Ängste ändern aber nichts an der Situation und beeinflussen auch nicht die Diagnose. Die Ärzte im Krankenhaus sind Profis, und ein MRI ist eine Routineuntersuchung. Habe Vertrauen.
Was in der Schwangerschaft alles schiefgehen kann
Situation 3: Meine zweite Schwangerschaft und das erste Jahr danach sind für mich ein einziger Thriller. In der Frühschwangerschaft fürchte ich eine Fehlgeburt. Im zweiten Trimester bin ich panisch, wenn ich das Kind eine Stunde nicht spüre, und unter der Geburt atme ich mich aus Angst halb in Ohnmacht, da die Ärztin sagt, das Fruchtwasser sei grün, was kein gutes Zeichen wäre. Die ersten Tage nach der Geburt kann ich das Baby kaum abgeben, da ich Angst habe, es komme nicht zurück zu mir. Verschluckt es sich beim Trinken an der Brust, sehe ich mich schon auf der Notfallstation.
Das sagt meine innere App: Ziehe sofort die Notbremse, du steuerst in ungesunde Ebenen. Brauchst du mehr Entlastung? Hast du zu viel Besuch? Schalte auf jeden Fall einen Gang runter und höre auf deine Bedürfnisse.
Bevor ich Kinder hatte, kannte ich Ängste auch: Ich fürchtete mich, nach der Party alleine nach Hause zu laufen, und litt unter meiner Spinnenphobie. Aber so richtig Angst? Diese stechenden Verlustängste, diese bedrückenden, existenziellen Ängste, wie sie mich heute an manchen Tagen heimsuchen? Damit kam ich erst durch meine Kinder in Kontakt.
Die Grenze zwischen normal und überängstlich zu ziehen, zwischen gelassen und verantwortungslos, ist auch mit einer inneren App schwierig für mich. Bin ich mir zu unsicher, spreche ich mit meinem Partner oder mit Freunden darüber. Im Wochenbett holte ich mir Hilfe von einer Therapeutin. Das hat geholfen – bis zum nächsten Schreckmoment.
Welche angstvollen Situationen haben Sie erlebt, liebe Leserinnen und Leser? Und wie beurteilen Sie diese?
Dieser Artikel wurde erstmals am 15. Mai 2018 publiziert und am 22. Juli 2023 in dieses Redaktionssystem übertragen.
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