Kolumne von Milo RauAls Glencore den Säntis sprengte
Wie es wäre, wenn das Rohstoffunternehmen die Ostschweiz kolonialisierte, weil dort wertvolle Bodenschätze entdeckt werden: Eine Satire.
Was in Firmenvideos des Schweizer Rohstoffgiganten Glencore später «der grösste Kobaltgürtel des Planeten» genannt werden sollte, wurde völlig zufällig entdeckt. Die Besitzerin eines Einfamilienhäuschens in Hundwil nahe des Alpsteins war nach Erdwärme bohrend auf kühl funkelndes Gestein gestossen. Schon eine erste Analyse ergab einen Kobaltanteil, wie er bisher für unmöglich gehalten worden war.
Es war, als würde ein Pferdedieb entdecken, dass in seinem Vorgarten die ganze Zeit edle Hengste geweidet hatten. Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet in der Schweiz, spezialisiert auf die Ausbeutung der Reichtümer anderer Länder, etwas von Wert gefunden werden würde? Warum weiterhin die Dritte Welt ausplündern, wenn es «Kobalt unterm Säntis» gab, wie die NZZ euphorisch titelte?
Trotzdem geschah erst mal von offizieller Seite gar nichts. Abgesehen von wilden Schürfern schien sich niemand fürs einheimische Edelerz zu interessieren, am wenigsten der Bundesrat. Doch nach nicht viel mehr als einem Jahr wurde offenbar, dass Glencore seine finanziellen Argumente hinter den Kulissen hatte spielen lassen. Überraschend wurde im Nationalrat ein Gesetz angenommen, in dem die mittelständischen Bergbau-Kooperativen um den Säntis für «konfliktuös» erklärt und geschlossen wurden.
Bundesrätin Karin Keller-Sutter erkannte «sofortigen Handlungsbedarf» und liess 90 Appenzeller Dörfer nach Zürich evakuieren.
Die Ostschweizer Bevölkerung begrüsste die Vertreibung der Kobalt-Schürfer, waren viele von ihnen ja sowieso Deutsche und Österreicher gewesen. Als aber publik wurde, dass Glencore sich die Alpstein-Konzession bereits vor Verabschiedung des Gesetzes gesichert hatte, erlosch die Begeisterung schnell. Es kam zu Aufständen, in denen ein Mitglied der Minenpolizei des Konzerns gefährlich am Auge verletzt und fünfzig Demonstranten erschossen wurden. Bundesrätin Karin Keller-Sutter erkannte in einer emotionalen Rede «sofortigen Handlungsbedarf» und liess 90 Appenzeller Dörfer nach Zürich evakuieren.
2025 erfolgte die Sprengung des Säntis. Als 2027 auch unter der St. Galler Innenstadt Coltan entdeckt und der Dom niedergerissen wurde, führte das zu Protesten weit über die Schweiz hinaus – vor allem als publik wurde, dass Mitglieder des St. Galler Stadtrats Glencore-Aktionäre waren. Erst als das barocke Wahrzeichen im Industriegebiet Zürich-Schwamendingen, wo der Grossteil der vertriebenen Ostschweizer mittlerweile lebte, in verkleinertem Massstab wiederaufgebaut wurde, zog Friede ein. Mit Geldern des «Glencore Cultural Fonds» konnte sogar die Olma in provisorisch aufgestellten Militärzelten stattfinden!
2028 wurden Glencore dank dem Einsatz Karin Keller-Sutters die Steuern komplett erlassen, die Ermittlungen wegen der Übergriffe der Minenpolizei im Alpsteingebiet eingestellt. Die engagierte Bundesrätin, besorgt um den Wirtschaftsstandort Schweiz, brachte es im grossen «Blick»-Interview anlässlich ihres 65. Geburtstags auf den Punkt: «Es wäre nichts anderes als kolonialistisch, würde Bern sich in die Politik der Ostschweiz einmischen.» So wurde der Ostschweiz, wie vielen anderen rohstoffreichen Gegenden zuvor, der eigene Reichtum zum Verhängnis.
Am 25. Oktober veranstaltet Milo Rau am Schauspielhaus Zürich unter dem Titel «Das Kongo Tribunal – Kolwezi Hearings» ein Tribunal gegen Glencore.
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