Roms neuer BürgermeisterAls Erstes will er die Stadt putzen lassen
Der Sozialdemokrat Roberto Gualtieri regiert nun das unregierbare Rom. Er nennt sich selber einen «stolzen Streber».
Respekt ist eine gesunde Grundhaltung, gerade wenn eine grosse Aufgabe ansteht. Bei Roberto Gualtieri, dem neuen sozialdemokratischen Bürgermeister Roms, ist es etwas mehr. In der Stunde seines Triumphs, als sich die römische Piazza dei Santi Apostoli füllte mit der Prominenz seiner Partei und mehr oder weniger interessierten Gratulanten, besann sich Gualtieri einer Passage in der viel zitierten «Göttlichen Komödie». Dante erzählt da Vergil, wie er voller Angst vor der Wölfin steht, und sagt, je nach Übersetzung: «Mir zittern Puls und Adern.» – Oder: «Mir bebt das Blut in allen Adern.» Beben und Zittern also.
Rom, um bei Dante zu bleiben, ist ein mittleres Inferno aus tausend ungelösten Alltagsproblemen, urbeherrscht von mächtigen Seilschaften dies- und jenseits des Tiber, eine höllische Herausforderung für einen Bürgermeister. Die Stadt ist fast unregierbar. Gualtieri weiss das, er ist selbst Römer, 55 Jahre alt, aufgewachsen in San Giovanni, einem alten Arbeiterviertel im Zentrum. Aber Rom ist natürlich auch eine grandiose Bühne für einen Politiker, gerade jetzt.
Es kann eigentlich nur besser werden, nach fünf Jahren mit den Cinque Stelle und ihrer Bürgermeisterin Virginia Raggi. Die hat dem Zerfall der Hauptstadt Italiens einfach untätig zugeschaut: den Problemen mit dem Müll und dem öffentlichen Verkehr. Raggi hätte versuchen können, wenigstens eines der beiden zu lösen, am besten den Abfall. Am Ende wurde das Wildschwein zum Sinnbild ihrer Amtszeit, wie es durch die Kehrrichtberge zieht, selbstbewussten Schrittes. Raggi schaffte es nun nicht einmal in die Stichwahl.
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Die gewann Gualtieri viel deutlicher als ursprünglich erwartet gegen seinen Kontrahenten der Rechten, den Postfaschisten Enrico Michetti, einen kleinen Tribun am römischen Lokalradio mit undiskutablen politischen Ansichten: 60,2 zu 39,8 Prozent.
Immer nur die Höchstnote
Gualtieri studierte Literatur und Geschichte, seine Doktorarbeit handelte vom Marshallplan und vom Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg. Später sollte er Professor für Gegenwartsgeschichte an der römischen Universität La Sapienza werden. Schon früh engagierte er sich in der Studentensektion des damaligen Partito Comunista Italiano, dem PCI, wurde für eine Weile deren Chef. Er sei immer ein Streber gewesen, sagte er neulich in einem Interview – ein «stolzer Streber» jedoch, immer nur Höchstnote 30. Im Wahlkampf erzählte er gerne von seiner Leidenschaft für die klassische Gitarre und die brasilianischen Klänge der Bossa nova. In der Jugend habe er auch auf der Strasse gespielt und in der Pariser Metro. Die Geschichte mit der Gitarre sollte seinem grauen Auftritt etwas Farbe geben.
Von 2009 bis 2019 war Gualtieri Europaparlamentarier des Partito Democratico. Weil er so gut war mit Zahlen und Bilanzen, wählten ihn die Kolleginnen und Kollegen in Brüssel zweimal in Folge zum Präsidenten der Kommission für wirtschaftliche und monetäre Probleme in der EU. Ein Streber, auch beim Studieren der Dossiers. Vor zwei Jahren, als sich in Rom die Cinque Stelle mit den Sozialdemokraten zusammentaten, holte man Gualtieri als Minister für Wirtschaft und Finanzen. Er sollte dafür sorgen, dass Italiens Wirtschaft in der ersten, tragischen Phase der Pandemie nicht kollabierte. Ein Beben und Zittern.
Müllabfuhr reformieren
Gualtieri will nun als Erstes «Rom putzen», wie er sagte, alle Gassen, alle Piazze. Sofort, am ersten Tag seiner Amtszeit. Und das Gras soll auch mal wieder geschnitten werden, es spriesst aus allen Ritzen. Mancherorts steht es so hoch, dass es den Bäumen Konkurrenz macht. Die städtische Müllabfuhr, die unselige AMA, wird die neue Regierung in fünfzehn Kleinunternehmen aufteilen, eine für jeden Bezirk, damit sie endlich effizient arbeitet und für jede ungeputzte Ecke direkt verantwortlich gemacht werden kann. Das ist vielleicht ein guter Anfang, eine erste Aufhübschung, fürs Selbstwertgefühl der geprüften Römer.
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