Aufsichtsbericht veröffentlichtAls Epstein sich im Gefängnis tötete, schauten die Wärter im Netz Möbel an
Vor dem Suizid des Sexualstraftäters in einer New Yorker Haftanstalt ereigneten sich viele Mängel. Das zeigt ein Untersuchungsbericht – und findet keinerlei Hinweise auf einen Mord.

Tova Noel und Michael Thomas sollten besonders gut auf den prominenten Sträfling Jeffrey Epstein aufpassen. Kurz zuvor hatte der Multimillionär, unzähliger Sexualverbrechen verdächtigt und später verurteilt, sich das Leben zu nehmen versucht. Doch statt alle halbe Stunde in Epsteins Zelle im Metropolitan Correctional Center in New York zu gucken, sahen sich die beiden Gefängnisaufseher in Internetshops Möbel und Motorräder an und gönnten sich zwischendurch ein zweistündiges Nickerchen.
Um 6.30 Uhr wurde der 66-Jährige tot in seiner Zelle gefunden. Das war am 10. August 2019. Nun, vier Jahre später, listet ein Aufsichtsbericht die «zahlreichen und schweren Fehler» auf, die den Suizid ermöglicht haben – wie jene von Noel und Thomas.
128 Seiten langes Sündenregister
127’000 Dokumente hat der Generalinspektor des US-Justizministeriums durchforstet, 128 Seiten lang ist das Sündenregister, das nun vorliegt. Der Angeklagte war etwa allein eingesperrt, obwohl er nach seinem ersten Versuch einen ständigen Zellengenossen haben sollte.
Epsteins Zelle wurde nicht täglich durchsucht, ebenso wenig wie die der anderen Insassen in dem Bundesgefängnis, und die Wärter fälschten entsprechende Einträge in den Kontrollbüchern. So konnte der Angeklagte Decken, Bettzeug und Kleider horten, womit er sich erhängen sollte. Auch das Videoüberwachungssystem funktionierte nicht richtig: Es lieferte zwar Livebilder, zeichnete diese aber nicht auf.
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Eine Spezialbehandlung genoss Epstein in dem Gefängnis in vielerlei Hinsicht. Der Bericht liefert dafür keine Erklärung, erwähnt aber, dass Epstein den Aufsehern mit seinem Anwalt drohte, wenn sie seine Wünsche nicht erfüllten. Wie auf Eiern hätten sie sich um ihn herum bewegt, wird ein anderer Insasse zitiert.
Die schweren Mängel sind ein Dünger für allerlei Verschwörungsmythen rund um Epsteins Tod.
Unter anderem durfte der 66-Jährige am Abend vor seinem Tod ein Telefongespräch führen, das entgegen den Vorschriften weder überwacht noch aufgezeichnet wurde. Den Wärtern gaukelte er vor, seine Mutter anrufen zu wollen, die 14 Jahre vorher verstorben war. Stattdessen liess sich Epstein mit einer Frau in Belarus verbinden, deren Anwalt zu Protokoll gab, sie hätten über Bücher, Musik und Hygiene im Gefängnis geredet.
Ähnliche Ungereimtheiten in der Behörde für die Bundesgefängnisse hat der Generalinspektor des Justizministeriums schon bei früheren Untersuchungen kritisiert, die er als «lang anhaltende operative Herausforderungen» und «weitverbreitetes Missachten» interner Vorschriften zu beschreiben pflegt.
In Jeffrey Epsteins Fall sind diese schweren Mängel ein Dünger für allerlei Verschwörungsmythen. Daran dürfte auch der Befund des Generalinspektors nichts ändern, wonach Epstein Suizid begangen hat und keine Hinweise auf ein Verbrechen vorliegen, eine Schlussfolgerung, zu der zuvor auch der New Yorker Gerichtsmediziner und die Bundespolizei FBI gelangt waren.
Epsteins Geist aus dem Internet
Diesen Darstellungen der Behörden schenken zahlreiche Anhänger von Donald Trump keinen Glauben. Der schwerreiche Wallstreet-Manager Jeffrey Epstein soll mithilfe seiner Freundin Ghislaine Maxwell, die in Florida eine 20-jährige Gefängnisstrafe absitzt, einen Ring zur sexuellen Ausbeutung von Dutzenden minderjährigen Mädchen betrieben haben. Und er hatte ein Netzwerk an Beziehungen mit Reichen und Mächtigen, das vom britischen Prinzen Andrew über Bill Gates und Bill Clinton bis zu Donald Trump reichte. (Doku über Ghislaine Maxwell – Sie hielt das System Epstein am Laufen)
Verschwörungsfanatiker haben daraus eine Erzählung über ein internationales Pädophilennetzwerk von Politikern gedrechselt, das nur ein Einziger stoppen könne: Donald Trump, ausgerechnet. Ein Teil seiner Fangemeinde sieht allen Ernstes darin den Grund dafür, dass Trump nun von der US-Justiz angeklagt worden ist. Und einen Grund, warum Trump 2024 wieder zum Präsidenten gewählt werden müsse. Epsteins Geist aus dem Internet wird noch lange umgehen, Untersuchungsberichte hin oder her.
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