Mit explosivem Material an BordAls die «schwimmende Bombe» am Hafen von Beirut anlegte
Wie ein Schiff mit explosiver Ladung aus Geldnot in der Hauptstadt des Libanon anlegen musste – und indirekt zu einer verheerenden Katastrophe beigetragen haben könnte.
Über die Ursache der heftigen Explosion im Hafen Beiruts herrscht bis dato noch Ungewissheit. Klar ist: Es gab ein Feuer und anschliessend mehrere kleinere Explosionen und eine grosse, womöglich durch im Hafen gelagertes Ammoniumnitrat ausgelöst (lesen Sie hier, wieso Ammoniumnitrat so gefährlich ist). Mehr als 130 Menschen verloren ihr Leben, Tausende wurden verletzt. Noch immer suchen Einsatzkräfte unter den Trümmern der libanesischen Hauptstadt nach Vermissten.
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Langsam lichtet sich jedoch der Schleier der Ungewissheit. Bereits am Dienstag berichteten libanesische Medien über ein Frachtschiff, welches vor etwa sieben Jahren mit 2750 Tonnen Ammoniumnitrat am Hafen von Beirut anlegte. Nun zeigen neu aufgetauchte Briefe, wie Zollbeamte über Jahre hinweg libanesische Gerichte vergebens um Rat bei der Lagerung der Materialien gebeten haben.
Insgesamt sechs Briefe habe er an die Behörden gesandt, ohne eine Antwort zu erhalten, sagte der Direktor der libanesischen Zollbehörde, Badri Daher, gegenüber dem US-Nachrichtensender CNN. Gemäss Medienberichten schlugen die Zollbeamten unter anderem vor, das Ammoniumnitrat der libanesischen Armee oder einer Sprengstofffabrik zu verkaufen. «Die Hafenbehörde hätte dem Schiff nicht erlauben dürfen, die Chemikalien im Hafen zu entladen», sagte er CNN. «Die Chemikalien sollten ursprünglich nach Moçambique und nicht in den Libanon gehen.»
Tatsächlich war die Fracht des unter moldauischer Flagge fahrenden Schiffes für eine Sprengstofffabrik im südostafrikanischen Staat vorgesehen gewesen. Die etwa 2750 Tonnen Ammoniumnitrat wurden vom Banco Internacional de Moçambique für die Fábrica de Explosivos de Moçambique, ein örtlicher Hersteller von Sprengstoff, erworben und sollten über den Seeweg bis nach Batumi in Georgien geschifft werden. Rund eine Million Dollar habe Igor Gretschuschkin, der Ex-Besitzer des Frachters, für den Transport erhalten, behauptete der damalige Kapitän Boris Prokoschew gegenüber der «New York Times».
Besatzung durfte Schiff nicht verlassen
Die Schifffahrt verlief alles andere als vorhersehbar. Unterwegs ging Gretschuschkin das Geld aus, die Crew musste zwei Monate nach dem Start der Reise in Beirut anlegen. Gretschuschkin, welcher sich dazumal in Zypern aufhielt, habe seine Besatzung bei einem Telefonanruf dazu angehalten, in Beirut zusätzliche Fracht aufzunehmen, um Geld zu verdienen, sagte Prokoschew.
Im Hafen von Beirut befand die staatliche Hafenkontrolle das Schiff wegen «grober Verstösse beim Betrieb eines Schiffes», nicht bezahlter Gebühren für den Hafen sowie Beschwerden der Besatzung jedoch für seeuntüchtig, wie die russische Vereinigung der Seefahrer gegenüber CNN schilderte.
Das Schiff durfte nicht mehr weiterfahren und wurde von den örtlichen Behörden beschlagnahmt. Sechs Besatzungsmitglieder konnten das Schiff verlassen und nach Hause zurückkehren. Der Kapitän sowie drei ukrainische Crewmitglieder mussten auf Geheiss der örtlichen Behörden jedoch an Bord ausharren – ohne Geld für Nahrung und zusammen mit 2750 Tonnen explosivem Material. Nicht ohne Grund nannte der russische Journalist Michail Woytenko die Rhosus auch eine «schwimmende Bombe».
Um sich rechtlichen Beistand leisten zu können, habe die Crew Treibstoff verkauft, erklärte Kapitän Prokoschew in einem Radiointerview. Die angeheuerten Anwälte versuchten zuerst erfolglos, den Besitzer des Frachtschiffs zu kontaktieren. Danach wandten sie sich an einen libanesischen Richter und forderten mit Hinweis auf die Freiheitsrechte die Freilassung der Schiffsbesatzung. «Nachdruck wurde auf die unmittelbare Gefahr gelegt, welcher die Besatzung angesichts der ‹gefährlichen› Art der noch in den Schiffsladeräumen gelagerten Fracht ausgesetzt wird», schrieben die Anwälte in einem Bericht aus dem Jahr 2015.
Ladung hätte offenbar versteigert werden sollen
Nach über elf Monaten an Bord der Rhosus erteilten die örtlichen Behörden den Besatzungsmitgliedern im August 2014 die Bewilligung, das Schiff zu verlassen. Die libanesischen Behörden nahmen sich nun des verlassenen Schiffs und dessen explosiver Ladung an. Diese wurde in ein Lager gebracht, wo sie trotz Anfragen um eine Verschiebung von den Behörden toleriert wurde. «Nichts passierte», sagte der Manager des Hafens, Hassan Koraytem, in einem Interview. «Uns wurde gesagt, dass die Ladung versteigert werden würde. Aber die Versteigerung fand nie statt, und die Justiz unternahm nichts.»
Der Ex-Schiffsbesitzer Gretschuschkin sieht sich nach der schweren Explosion im Hafen von Beirut nicht in der Verantwortung. Wie er gegenüber der russischen Tageszeitung «Iswestija» sagte, hatten die libanesischen Behörden sein Schiff wegen fehlender Dokumente und wegen Bedenken hinsichtlich der Transportbedingungen beschlagnahmt. Dadurch sei sein Geschäft lahmgelegt gewesen. Er habe Strafe zahlen müssen und sei deshalb bankrottgegangen, behauptete der Geschäftsmann. Er wisse nicht, wer danach für die Rhosus verantwortlich gewesen sei.
sho
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