«Blackout stoppen»-InitiativeAKW-Freunde kaufen Unterschriften im grossen Stil
Gemäss einer fehlgeleiteten Rechnung beschafft sich das Komitee Unterschriften über eine undurchsichtige Stiftung. Kostenpunkt: 7.50 Franken pro Stück. Involviert ist einer der reichsten Schweizer.
Die Empfängerinnen und Empfänger staunen, als sie vor ein paar Wochen den Anhang zu einer E-Mail öffnen. Sie bekommen eine Rechnung zu sehen, wie sie ein breiteres Publikum noch nie zu sehen bekam. Gestellt hat sie der Schweizer Marktführer im professionellen Sammeln von Unterschriften für Volksinitiativen: Incop Suisse aus Lausanne. Die Organisation verlangt 75’390 Franken für 10’000 Unterschriften. Das macht 7.50 Franken pro Unterschrift.
Die Rechnung ist am falschen Ort gelandet. Innert kürzester Zeit verbreitete sie sich in Politkreisen und liegt dieser Zeitung vor. Als Adressat ist eine «Stiftung für eine sichere Stromversorgung», kurz SSS, in Zürich aufgeführt. Das Rechnungsdatum: 6. Dezember 2022, zufällig der Vortag von Albert Röstis Wahl in den Bundesrat. Der neue Energieminister hat zwar nichts mit der Rechnung zu tun – aber einiges mit den Leuten, die dahinterstehen.
Doch wer ist die SSS? Die Stiftung hat keine Website, und von ihr sind kaum öffentliche Informationen zu finden – ausser, dass das Komitee der «Blackout stoppen»-Volksinitiative über sie Spenden sammelt: Auf der offiziellen Website der Volksinitiative ist die Bankverbindung der SSS als Spendenkonto angegeben.
Das Initiativkomitee will eine sichere und klimaschonende Energieversorgung erreichen, seit August 2022 sammelt man Unterschriften. Das Umstrittene bei «Blackout stoppen» ist, dass zur Zielerreichung insbesondere auch neue Atomkraftwerke dienen sollen.
Albert Rösti war auch dabei
Begriffe wie «Kernkraftwerke» oder «Atomenergie» sucht man im Initiativtext allerdings vergebens. «Die Erklärung dafür ist einfach», sagt Vanessa Meury. Die Präsidentin der Jungen SVP Solothurn vertritt das Komitee nach aussen. «Wir wollen Technologieoffenheit. Da macht es keinen Sinn, eine einzelne Technologie in die Verfassung zu schreiben. Wir machen aber kein Geheimnis daraus, dass wir erreichen wollen, dass man über neue Kernkraftwerke reden darf.»
Meury präsidiert auch den Energie-Club Schweiz, der als offizieller Träger der Initiative auftritt. 2018 gegründet, hat der Club heute gemäss Meury über 450 Mitglieder. Darunter war auch Albert Rösti, dessen Mitgliedschaft mit der Wahl in den Bundesrat aber «automatisch sistiert» worden sei, sagt Meury.
Einige Mitglieder dürften dank Rösti im Verein sein. Der heutige Bundesrat war einst Präsident der Aves, einer anderen Atomlobby-Organisation. Als diese sich 2018 auflöste, empfahl Rösti seinen Mitgliedern ausdrücklich den Beitritt zum Energie-Club.
Für die AKW-kritische Energiestiftung ist der Verein «alter Wein in neuen Schläuchen». «Dahinter verstecken sich seit Jahren bekannte Figuren der Atomlobby, die in der Abstimmung 2017 zur Energiestrategie 2050 unterlegen sind», sagt Sprecher Markus Unterfinger. «Es ist naheliegend, dass diese Atomlobby nun mit viel Geld versucht, eine Initiative und danach eine Abstimmung zu kaufen.»
«Radioaktive Muttermilch»
Der Energie-Club Schweiz setzt sich zusammen aus einer alten Garde, die sich schon im vergangenen Jahrhundert für die Kernkraft starkmachte und nun einen «Expertenbeirat» bildet. Im Vorstand sitzen wiederum eher junge Menschen wie die 25-jährige Vanessa Meury. Aktiv ist aber auch eine mittlere Generation, zu der neben Rösti und anderen bürgerlichen Politikern auch Daniel S. Aegerter gehört.
Der 53-jährige Investor ist einer der reichsten Schweizer, gemäss «Bilanz» beträgt sein Vermögen 500 bis 600 Millionen Franken. Aegerter hat, wie er selber einmal witzelte, «vielleicht schon radioaktive Muttermilch» getrunken. Seine Mutter und sein Vater sind Physiker und engagieren sich seit Jahrzehnten politisch für die Kernenergie.
Der Sohn setzt die Familientradition nun fort und wendet dafür auch einen Teil seines Vermögens auf. «Jede Energieform hat Vor- und Nachteile», sagt Aegerter. Doch für ihn ist klar: «Im Vergleich schneidet Atomstrom am besten ab, denn er garantiert klimaneutrale Versorgungssicherheit zu einem tiefen Preis. Im Jahresbericht vom KKW Gösgen werden die Kosten pro Kilowattstunde mit 4,3 Rappen ausgewiesen, inklusive Rückstellungen für Entsorgung.»
Sein politisches Engagement bezeichnet Aegerter als «Zivilcourage». Für ihn begeht Deutschland «Selbstverstümmelung», indem es seine AKW stilllegt. Er versucht, zu verhindern, dass die Schweiz dasselbe tut. «Zum Glück», sagt Aegerter, «hat die Schweizer Bevölkerung 2016 den vollständigen Ausstieg aus der Atomenergie bis 2029 abgelehnt, sonst hätten wir jetzt ein kaum zu bewältigendes Problem.»
Um weiteres Unheil auch im Ausland abzuwenden, hat Aegerter auch mindestens zwei Stiftungen gegründet. Beide als Unterstiftungen der Zürcher Dachstiftung «Fondation des Fondateurs». Beide verfolgen ähnliche Ziele wie der Energie-Club und das Komitee «Blackout stoppen». Eine davon, «Energy for Humanity», hat angekündigt, dass sie ihre Aktivitäten suspendiert, bei der zweiten, der «Emergency Reactor Foundation», fällt vor allem die Projektleiterin auf, eine Britin namens Zion Lights. Die frühere Lokalpolitikerin der Green Party und Sprecherin von Extinction Rebellion ist heute für die Labour-Partei aktiv und macht bunte Pro-Atom-Proteste. Ebenfalls bei der «Fondation des Fondateurs» domiziliert ist die SSS, an welche die 75’000-Franken-Rechnung adressiert war.
Die «Fondation des Fondateurs» ist eine Organisation, die den ihr angeschlossenen Unterstiftungen – es sind über fünfzig – den administrativen Kleinkram abnimmt. Auf der Website der Dachstiftung taucht die SSS aber – anders als die meisten der Unterstiftungen – nicht auf. Der Geschäftsführer der «Fondation des Fondateurs», Matthias von Orelli, sagt zur fehlenden Transparenz: «Es liegt im Ermessen der Stifterinnen und Stifter, ob sie ihren Stiftungsfonds auf der Website der ‹Fondation des Fondateurs› nennen wollen.»
Intransparente Stiftung
Die SSS selber behält für sich, wer ihre Stifterinnen oder ihre Stifter sind. Wer sich nach involvierten Personen erkundigt, landet wieder bei Vanessa Meury, die mitteilt, dass sie Stiftungsrätin sein. «Die Namen der anderen Mitglieder geben wir nicht bekannt», sagt sie. «Daniel Aegerter ist nicht Mitglied, unterstützt aber die Initiative als Privatperson, weil die Versorgung unseres Landes mit klimaneutralem Strom äusserst wichtig ist.»
Die SSS ist laut Meury gegründet worden, um den Energie-Club Schweiz zu unterstützen und «damit Spenden abzugsfähig sind, wie dies auch bei WWF, Greenpeace, Energiestiftung oder Heks der Fall ist, die alle politisch grossen Einfluss nehmen».
Die Steuerbefreiung – das ist der ganz grosse Vorteil des Konstrukts mit der SSS. Gemäss Eigenwerbung der «Fondation des Fondateurs» geniessen alle ihre Unterstiftungen «umgehende Steuerbefreiung» – ohne den «bei einer selbstständigen Stiftung üblichen, aufwendigen Steuerbefreiungsprozess». Denn es prüft nicht, wie sonst üblich, die Zürcher Steuerverwaltung, sondern die Dachstiftung gleich selber.
Wenn also die SSS eine Rechnung wie jene über 75’000 Franken begleicht, kann der Geldgeber oder die Geldgeberin dahinter seine Zahlungen von den Steuern abziehen. Im Kanton Zürich sind das pro Jahr bis zu 20 Prozent des Nettoeinkommens.
Dass die Aufwendungen für Volksinitiativen steuerabzugsfähig sind, ist unüblich. «Wenn eine Organisation überwiegend politisch tätig ist, wird sie nicht als gemeinnützig anerkannt», sagt der Basler Rechtsanwalt und Stiftungsexperte Christoph Degen. «Gemeinnützige Organisationen dürfen aber innerhalb ihres Zwecks politisieren.» Komplizierter wird die Sache gemäss Degen, wenn eine Stiftung weitgehend oder ausschliesslich einen politischen Verein finanziert, der – wie der Energie-Club Schweiz – selber nicht als gemeinnützig anerkannt ist. «Einen solchen Fall müsste man genauer anschauen. Wenn eine gemeinnützige Stiftung ausschliesslich politische Aktivitäten unterstützt, kann das problematisch sein. Letztlich ist aber das Gesamtbild entscheidend.»
Der Geschäftsführer der Dachstiftung, Matthias von Orelli, verweist darauf, dass die SSS «keine Partei» sei und «keine Volksinitiative lanciert» habe. Bei der Gründung der SSS – gemäss von Orelli im November 2020 – habe eine Initiative nicht einmal zur Diskussion gestanden. Ein Jahr später war die Planung weit fortgeschritten, und der Text stand (lesen Sie hier mehr darüber).
Gekaufte Initiative?
«Blackout stoppen» ist bei weitem nicht die erste Initiative, die sich Unterschriften kommerziell beschafft. Viele Komitees von links bis rechts setzen auf professionelle Sammlerinnen und Sammler, allerdings meist erst, wenn im Schlussspurt die Zeit für die 100’000 erforderlichen Unterschriften knapp wird.
Auffällig bei «Blackout stoppen» sind drei Dinge: erstens die Steuerbefreiung der Spenden; zweitens der frühe Zeitpunkt, zu dem Unterschriften gekauft werden (die Sammelfrist läuft noch bis März 2025); drittens der hohe Preis pro Unterschrift. Er bewegt sich an der oberen Grenze einer von Incop-Chef Franck Tessemo genannten Spanne von einem bis 8 Franken.
«Unsere Initiative trifft den Nerv der Zeit.»
Falls ein Initiativkomitee die Unterschriftensammlung komplett auslagert, würde die Initiative so – mit Sicherheitsmarge und wegen ungültiger Unterschriften – bis zu eine Million Franken oder mehr kosten. Dass ein Initiativkomitee den Grossteil der Unterschriften so beschafft, ist laut Kennern des Geschäfts aber die Ausnahme. Kein Geheimnis daraus gemacht hat der Unternehmer Adrian Gasser, dessen Justizinitiative vor über einem Jahr abgelehnt wurde.
Vanessa Meury bestätigt die Zusammenarbeit «auch mit der Sammelorganisation Incop», will aber keine Auskunft geben, ob die 75’000-Franken-Rechnung bezahlt wurde und ob sie einmalig war.
«Natürlich steht das Initiativrecht allen zur Verfügung», sagt der Sprecher der AKW-kritischen Energiestiftung, Markus Unterfinger. «Doch wenn sich Einzelpersonen oder intransparente Organisationen mit Geld, aber ohne gesellschaftlichen Rückhalt Initiativen zu erkaufen versuchen, stellen sich demokratiepolitische Fragezeichen.»
Auf den Vorwurf, sie würden eine Initiative «kaufen», reagieren Komiteemitglieder gelassen. Meury verweist auf Online- und Versandaktionen und darauf, dass ihre Leute an Veranstaltungen und auf die Strasse gingen, doch die Zeit sei beschränkt: «Viele von uns sind berufstätig und können höchstens in der Freizeit sammeln.» Das Sammeln durch professionelle Organisationen sei «grundsätzlich unproblematisch und wird von vielen Komitees gemacht – jüngst etwa für die Trinkwasserinitiative, die SP-Transparenzinitiative oder die Individualbesteuerung». Alle Unterschriften müssten durch die Gemeinden beglaubigt werden, «und am Schluss kann die Bevölkerung über ein Anliegen von Bürgerinnen und Bürgern abstimmen».
Daniel Aegerter sagt: «Unsere Initiative trifft den Nerv der Zeit. Die Leute, die unterschreiben, tun dies aus freien Stücken und weil sie unser demokratisches Anliegen aus Überzeugung unterstützen.» Wichtig sei, dass beim Unterschriftensammeln «alles korrekt abläuft».
Schon auf die Sommersession hin will das «Blackout stoppen»-Komitee seine Bögen im Bundeshaus abliefern.
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