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Deutscher Liedermacher
Nazis und die DDR, AfD und Wagenknecht – Wolf Biermann rechnet ab

27.11.2021, Hamburg: Wolf Biermann, Musiker, spricht während der Veranstaltung ·Wolf Biermann & Freunde - eine musikalische Geburtstagsfeier zum 85.· auf der Bühne im Thalia Theater. Foto: Georg Wendt/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ (KEYSTONE/DPA/Georg Wendt)
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Es muss verstörend sein für einen 87-jährigen Deutschen, der sowohl unter den Faschisten wie dem DDR-Regime gelebt hatte, den Haltungen aus jener Zeit bei jungen Parteien zu begegnen. Denn offensichtlich trägt die Alternative für Deutschland (AfD) totalitäre Züge, genauso wie sich Sahra Wagenknecht unkritisch mit Russland verbündet.

«Ich finde beide Parteien zum Kotzen, beide sind ein gefährlicher Schaden für die Demokratie», sagt der Liedermacher im Gespräch mit dem «Spiegel». Den AfD-Kadermann Björn Höcke mit seinem faschistischen Umbauprogramm nennt er einen «Second-Hand-Nazi» und wirft der linken Kampfpolitikerin Sahra Wagenknecht vor, noch reaktionärer sein zu wollen als die AfD und so kommunistisch wie ihr Mann Oskar Lafontaine.

Und weil für ihn Text und Musik zusamengehören, unterbricht Wolf Biermann das Interview mit der Aufführung eines Liedes, das von den falschen Erinnerungen handelt, vom nachträglichen Umbau der eigenen Biografie: «Du willst nicht wissen, wer du bist», singt er – und nennt es seine eigene Lebenslüge, dass er sich zu DDR-Zeiten als richtiger Kommunist gefühlt habe, anders als die Parteileute der SED.

Eine beschädigte Biografie

Man muss Wolf Biermann zugestehen, dass er sich mit dem Leben in Extremen auskennt. Im Interview erinnert er sich daran, wie die Mutter mit ihm durch den Hamburger Nordkanal schwamm, während die alliierten Bomber seine Heimatstadt abbrannten. Später in der DDR ging man mit Überwachung, Zensur, Berufsverboten und anderen Behinderungen gegen Renitente vor. 1976 wurde Biermann wegen seiner Kritik am Regime ausgebürgert.

Sein Vater, ein kommunistischer Jude, wurde 1943 in Auschwitz umgebracht, einer von Biermanns Söhnen lebt in Tel Aviv und muss befürchten, eingezogen und nach Gaza geschickt zu werden. Und natürlich leidet Wolf Biermann an beidem, dem Massaker der Hamas an israelischen Zivilisten und den Angriffen der israelischen Armee in Gaza, bei denen sie zivile Opfer als Kollateralschaden hinnimmt. Biermann schützt sich vor dem Grauen mit einem Satz von Antonio Gramsci, dem marxistischen italienische Philosophen: Er sei für den Pessimismus der Intelligenz und für den Optimismus der Tat.

«Ich bin für diesen Krieg»  

Letzteres brachte Biermann auch schon in Schwierigkeiten. Als die US-Regierung von George W. Bush im März 2003 den Irak angriff, begann Wolf Biermann in der «Zeit» seinen Essay mit den Worten: «Bindet eure Palästinensertücher fester, Freunde. Ich bin für diesen Krieg.» Seine Solidarisierung erwies sich als katastrophal.

Zwar vermochten die Amerikaner Saddam Hussein als Diktator abzusetzen. Aber sie handelten sich damit jahrelange Bürgerkriege ein, von denen ausgerechnet der Iran profitierte, ein erklärter Gegner Israels. Die US-Armee zerstörte die Zivilgesellschaft im Irak und alimentierte den Terrorismus. Die Behauptung, der Irak besitze Massenvernichtungswaffen, erwies sich als Lüge.

Verständlich, dass Biermann sein damaliges Engagement bereut und heute sagt: «Ich bin ein lebenslänglicher Zweckpessimist. Aus Selbstschutz, damit ich nicht hysterisch werde im falschen Hoffen.» Denn was sonst passieren kann: Er hat es an sich selber erleben müssen.