AboStreit um Corona-MassnahmenAeschi ist jetzt Fan von Balkanländern
Der SVP-Fraktionschef ist beeindruckt, wie die Staaten mit Corona umgehen. Die Forderung nach einer Markierungspflicht für Impfunwillige sorgt weiter für Aufregung.

Die Fronten in der Pandemie verhärten sich. Auf der einen Seite wurden letzte Woche Forderungen laut, Ungeimpfte mit einschneidenden Massnahmen unter Druck zu setzen. Jetzt verlangen bürgerliche Politiker trotz steigender Fallzahlen ultimativ die alten Freiheiten zurück.
Am weitesten geht die SVP. Obwohl Experten bereits wieder vor vollen Spitalbetten warnen, fordert Fraktionschef Thomas Aeschi, der Bundesrat müsse «die besondere Lage nun sofort aufheben». Es gebe fast keine Corona-Erkrankte auf den Intensivstationen. «Das Risiko einer Überlastung des Gesundheitssystems ist praktisch ausgeschlossen», sagt Aeschi. Eine Masken- und Zertifikatspflicht sei deshalb nicht mehr gerechtfertigt.
Masken habe er in den Ferien kaum gesehen, sagt Aeschi
Der SVP-Fraktionschef leitet das auch aus persönlicher Erfahrung ab. Er ist am Freitag von einer Reise durch 13 Länder des Balkans und Osteuropas zurückgekehrt, darunter Polen, Serbien und Albanien. Er ist sichtlich angetan vom Osten Europas, in dem er per Auto einen Roadtrip unternommen habe.
Imponiert hat Aeschi aber insbesondere der Umgang dieser Staaten mit Corona. Deshalb preist er sie jetzt als Vorbild für die Schweiz. «In all diesen Ländern ist man praktisch zur Normalität zurückgekehrt», sagt Aeschi. Sein Covid-Zertifikat habe er kein einziges Mal zeigen müssen. Einzig bei der Einreise nach Bosnien-Herzegowina habe der Grenzbeamte sein gelbes Impfbüchlein verlangt.
Auch Masken habe man im Osten Europas und in Balkanländern wie Serbien und Albanien kaum noch gesehen. «Weder beim Betreten von Restaurants noch in Hotellobbys haben die Menschen einen Mundschutz getragen», sagt Aeschi. Ausnahmen seien nur Kroatien und Slowenien gewesen.
Tatsächlich herrscht indessen auch etwa in Albanien offiziell noch immer eine Maskenpflicht. Trotzdem ist für Aeschi Osteuropa jetzt ein Musterbeispiel, was Corona betrifft.
Aber auch in der Mitte-Partei wollen einige wieder den alten Alltag ohne Zertifikate und Masken: «Wir müssen nun den Weg in die Normalität finden», sagt Nationalrat Alois Gmür. Die Risikogruppen seien geschützt. Man könne zwar eine erneute Überlastung der Spitäler nicht völlig ausschliessen. «Doch wir müssen ein Risiko eingehen», sagt Gmür. Ähnlich tönts aus der Wirtschaft: Gewerbeverbandschef Hans-Ulrich Bigler sagt: «Wir sind der Meinung, dass die Schweiz wieder in die normale Lage zurückgehen kann.»
In der Tat sind die Corona-Kennzahlen zurzeit im grünen Bereich: Die bestätigten Fälle sind zwar seit Ende Juni von täglich etwa 100 auf über 600 gestiegen. In den Spitälern liegen derzeit aber mit 132 Menschen vergleichsweise wenig Corona-Erkrankte, davon 25 auf Intensivstationen. Samira Hurst, Vizepräsidentin der Taskforce, warnte am Dienstag trotzdem: «Wir könnten in der Schweiz nochmals eine heftigere Welle erleben als im Herbst 2020.»
Selbst parteiintern öffnen sich Gräben
Verschiedene Politiker hatten diese Woche gefordert, man müsse Ungeimpfte unter Druck setzen, um die Impfquote zu erhöhen. GLP-Präsident Jürg Grossen verlangte in der SonntagsZeitung, dass sich ungeimpftes Pflegepersonal mit einem Sticker kennzeichnen muss. Andere, darunter Christoph Berger, Präsident der Impfkommission, wollen die Zertifikatspflicht nun auch am Arbeitsplatz und in Restaurants. FDP-Nationalrat Kurt Fluri schlug sogar vor, dass Menschen, die sich nicht schützen wollen, bei einer Corona-Erkrankung die Spitalkosten selbst zahlen müssen. Die Druckversuche von Berger, Grossen und Fluri sorgten für heftige Reaktionen. Während sie von der einen Seite grossen Beifall ernteten, stiess Fluri selbst Kollegen aus der eigenen Partei vor den Kopf: So findet FDP-Ständerat Damian Müller die Forderung, dass Impfverweigerer die Krankheitskosten selbst zahlen müssen, verwerflich: «Wir würden damit Grundprinzipien unserer Demokratie mit Füssen treten.»
Müller ist auch strikte gegen die Markierung des ungeschützten Pflegepersonals. Impfen sei wichtig. «Aber wir können nicht von Ungeimpften Solidarität fordern und selbst derart unsolidarische Massnahmen anwenden», sagt Müller.
Mitte-Fraktionschefin ist gegen Sticker
Auch gemässigte Mitte-Politiker können den Stickern nichts abgewinnen. Andrea Gmür, Fraktionschefin der Mitte, befürwortet zwar Druck auf Ungeimpfte durch eine Ausdehnung der Zertifikatspflicht, doch sie «will nicht mit Maske in einem Konzert sitzen müssen, nur weil sich Leute nicht impfen lassen». Aber nicht geimpftes Pflegepersonal zu verpflichten, sich mit einem Sticker zu markieren, geht der Mitte-Fraktionschefin zu weit. Ebenso die Forderung, dass Impfverweigerer die Spitalkosten selbst zahlen müssen.
Noch deutlichere Worte findet die SVP: «Die Art und Weise, wie derzeit auf Ungeimpfte Druck ausgeübt wird, finde ich unerhört», sagt Gesundheitspolitiker und SVP-Nationalrat Albert Rösti. Er sei «entsetzt, dass sich Politiker zur Forderung nach einer Markierungspflicht für ungeimpftes Pflegepersonal hinreissen lassen». «Das sind Brandmarkungsmethoden, die mich an dunkelste Epochen der Geschichte erinnern», sagt der SVP-Politiker.
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.