Leitartikel zur Klima-Abstimmung in ZürichWarum die Stadtklima-Vorlagen ein Ja verdienen – trotz Vorbehalten
Die Gegenvorschläge zu den Umverkehr-Initiativen in Zürich zielen in die richtige Richtung. Die Stadtregierung steht im Wort, bei der Umgestaltung des Strassenraums mit Augenmass vorzugehen.
Baustellenflut, Verkehrschaos, Parkplatzkahlschlag und hohe Kosten noch dazu: Es ist ein Schreckensszenario, das die b¨ürgerlichen Gegnerinnen und Gegner malen, falls die beiden Stadtklima-Vorlagen bei der Abstimmung vom 22. September angenommen werden.
An den beiden Vorlagen entzündet sich der ewige Grundsatzkonflikt um die Stadtzürcher Verkehrspolitik. Links-Grün pocht auf weniger Autos und mehr Gr¨ün im Namen des Klimaschutzes, Bürgerliche sprechen von überrissenen Forderungen und einem Frontalangriff auf Autofahrende.
Jahrelange Grossbaustelle?
Auslöser sind die zwei vom Verein Umverkehr eingereichten Volksinitiativen für eine Umgestaltung des Zürcher Strassenraums – einerseits zugunsten des Langsamverkehrs und des ÖV, andererseits zugunsten von Grünflächen und Bäumen. Für beide Initiativen haben der Stadtrat und das Stadtparlament Gegenvorschläge ausgearbeitet, worauf Umverkehr die Initiativen zurückzog.
Konkret verlangt der Gegenvorschlag zur «Gute-Luft-Initiative», dass die Stadt in den kommenden zehn Jahren 145’000 Quadratmeter Strassenfläche in Grünflächen und Flächen für Bäume umwandelt. Das entspricht 9-mal dem Sechseläutenplatz. Laut dem Gegenvorschlag zur «Zukunftsinitiative» soll die Stadt innert zehn Jahren 462¨’000 Quadratmeter Strasse für Fussgänger, Velofahrerinnen und den öffentlichen Verkehr freimachen. Das entspricht 29-mal dem Sechseläutenplatz.
Die stolzen Quadratmeterzahlen werfen die Frage auf, ob sich diese Zielvorgaben bei einem Ja überhaupt umsetzen lassen und ob sie nicht doch zu einer jahrelangen Grossbaustelle Zürich samt Verkehrschaos führen.
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang der Sinneswandel des Stadtrats. Anfänglich hatte er noch gewichtige Bedenken gegen die verlangten Flächenumnutzungen im grossen Stil vorgebracht. Auch aus ökologischen Überlegungen: «Eine Zunahme der Bautätigkeit über den Erneuerungsbedarf hinaus steht im Widerspruch zu den städtischen Netto-null-Zielen», hielt er fest.
Doch nach weiteren Berechnungen und Verhandlungen mit der Parlamentskommission revidierte der Stadtrat seine Haltung und schwenkte auf die von der links-grünen Parlamentsmehrheit erarbeiteten Gegenvorschläge ein. Prompt warfen ihm Bürgerliche vor, er habe sich über den Tisch ziehen lassen. Und sie erinnerten genüsslich daran, dass die heutige SP-Stadträtin Simone Brander bei der Lancierung der Stadtklima-Initiativen mitbeteiligt war.
Ambitioniert, aber machbar
Bei nüchterner Betrachtung wirkt die geplante Begrünung nicht so extrem, wie sie die Gegner im Abstimmungskampf darstellen. Zumindest wenn man den Berechnungen der Stadt glaubt.
So können die Fachleute darlegen, dass das Flächenprogramm zwar ambitioniert, aber machbar sei. Dies vor allem, weil sie auch Flächen von bereits geplanten oder in Umsetzung befindlichen Projekten miteinberechnen. Dazu gehören etwa die vom Volk bewilligten Velovorzugsrouten, die im kommunalen Richtplan vorgesehenen verkehrsberuhigten Quartierzonen oder auch Massnahmen im Rahmen der ebenfalls vom Volk gutgeheissenen «Stadtgrün»-Initiative. Zusammen mit weiteren sukzessiven Umbauten, einer Vielzahl neuer Bäume und dem seit längerem in Gang befindlichen Parkplatzabbau sollen so in zehn Jahren die geforderten Quadratmeter zusammenkommen.
In den Panikmodus zu schalten, wäre deshalb verfehlt. Zumal die Stossrichtung der Vorlagen stimmt, was selbst das Nein-Komitee einräumt: «Die Gegenvorschläge zu den Stadtklima-Initiativen verfolgen mit der Stadtbegrünung ein wichtiges Ziel – die Abkühlung in hitzigen Zeiten», ist auf der Website der Gegner an prominenter Stelle zu lesen. Allerdings halten sie die Umsetzung für unrealistisch.
Fortsetzung bisheriger Klimapolitik
Bei aller Skepsis: Die Gegenvorschläge stehen im Einklang mit den klimapolitischen Zielen der Stadt, denen die Stimmberechtigten 2022 klar zugestimmt haben. Ebenso decken sie sich mit dem vom Volk 2021 gutgeheissenen Richtplan. Die Umverteilung von bisher für Autos reservierten Strassenflächen auf umweltfreundlichere Verkehrsmittel ist durch Volksabstimmungen legitimiert. Und sie ergibt Sinn, um Lärm, Schadstoffe und Unfälle zu reduzieren.
Der grüne Stadtumbau lasse sich ohne übermässige Beeinträchtigung von Bevölkerung, Wirtschaft und Verkehrssystem umsetzen, versichern Stadt und Befürworter. Man wird sie beim Wort nehmen müssen, sollten die Vorlagen am 22. September Mehrheiten finden.
An der Stadtregierung liegt es dann, bei der Begrünung mit Augenmass vorzugehen und sowohl auf Anwohnende als auch Gewerbetreibende Rücksicht zu nehmen. Bei einer Umgestaltung mit der Brechstange läuft sie Gefahr, den Rückhalt für ihre Klima- und Verkehrspolitik zu verlieren. Genau darauf wird sie auch in Zukunft angewiesen sein. Denn der nächste Showdown zeichnet sich bereits ab. Soeben hat die SVP mit der Unterschriftensammlung für ihre Volksinitiative gegen den Parkplatz-Abbau in Zürich begonnen.
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