Vincenz-Prozess im TickerHappiges Urteil: Gefängnisstrafe für Vincenz und seinen Partner
Das Bezirksgericht Zürich hat den ehemaligen Raiffeisen-Chef wegen Veruntreuung, ungetreuer Geschäftsbesorgung und Urkundenfälschung zu einer Freiheitsstrafe von 3,75 Jahren verurteilt. Vincenz-Anwalt Erni will Berufung einlegen.
Das Wichtigste in Kürze
Die 9. Abteilung des Bezirksgerichts Zürich unter dem Vorsitz von Richter Sebastian Aeppli hat Pierin Vincenz der mehrfachen Veruntreuung, mehrfachen qualifizierten untreuen Geschäftsbesorgung und der mehrfachen Urkundenfälschung schuldig gesprochen.
Vincenz wird zur einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die Strafe soll vollzogen, die Untersuchungshaft von 106 Tagen angerechnet werden.
Vincenz-Geschäftspartner Beat Stocker wird zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt.
Die Anklage hatte für die beiden Hauptbeschuldigten je sechs Jahre Freiheitsentzug gefordert. Die Verteidigung wollte einen Freispruch.
Das Urteil ist nach ersten Einschätzungen überraschend hart ausgefallen.
Vincenz-Anwalt Lorenz Erni hat bereits angekündigt, Berufung einzulegen
Der Komplex Investnet: Darum geht es
Der Teilbereich Investnet ist für den Vincenz-Prozess besonders wichtig, denn in diesem Komplex sind die höchsten Summen im Spiel. Investnet wurde 2009 von den Unternehmern Peter Wüst und Andreas Etter gegründet. Das Unternehmen sollte sich an aussichtsreichen KMU beteiligen.
Raiffeisen hatte mit der Tochter KMU Capital Ähnliches vor, doch kam nicht vom Fleck. Investnet hatte dagegen das Know-How im Bereich Beteiligungen, es fehlte aber an Kapital. Umgekehrt hatte Raiffeisen Geld, es fehlte aber an Fachwissen. Also kam es zu Annäherung von Investnet und Raiffeisen ab dem Jahr 2011.
War Stocker «Statthalter»?
2012 übernahm Raiffeisen über einen Aktientausch 60 Prozent der Investnet, den Rest hielten Wüst und Etter. Per Treuhandvertrag beteiligten sie Stocker mit einem Drittel daran, er bekam also 13,3 Prozent von Investnet. Laut Staatsanwaltschaft habe Stocker wiederum Vincenz die Hälfte seines Anteil gegeben. Stocker sei «Statthalter» von Vincenz, so die Anklage.
Von Anfang an spielte Beat Stocker bei dem Deal eine Schlüsselrolle. Laut Anklage bekam er seine Beteiligung dafür, dass er und Vincenz ihren Einfluss geltend machen, damit Raiffeisen Investnet übernimmt. Die Verteidigung Stocker widerspricht, die Beteiligung sei für seine Dienste zum Aufbau des Geschäfts gewesen. Und für die Beteiligung von Vincenz gäbe es keine Belege.
Raiffeisen verpflichtete sich dann per Vertrag, die Minderheitsaktionäre von Investnet schrittweise auszukaufen. 2015 floss erstmals Geld. Wüst und Etter bekamen unter dem Strich 18 Millionen Franken. Ein Drittel davon – also rund 6 Millionen – zahlten sie Stocker.
Warum bekam Vincenz 2,9 Millionen?
Im Juli 2015 überwies Stocker dann 2,9 Millionen Franken auf ein Konto von Pierin Vincenz bei der Raiffeisen Lugano. Der Betrag entspricht 50 Prozent des Erlöses von Stocker aus dem Investnet-Deal. Die Staatsanwaltschaft sieht in der Zahlung den Beleg für Vincenz heimliche Unterbeteiligung.
Falsch, entgegnen die Verteidiger von Vincenz und Stocker: Das Geld sei ein Darlehen, damit Vincenz eine Immobilie im Tessin kaufen konnte.
2016 machte der Blog «Inside Paradeplatz» die Zahlung von Stocker an Vincenz publik - und die ganze Affäre nimmt ihren Lauf.
Den Investnet-Gründern Wüst und Etter wirft die Staatsanwaltschaft «Gehilfenschaft zu Betrug» vor. Sie fordert eine bedingte Freiheitsstrafe von zwei Jahren. Peter Wüst ist indes wegen Krankheit Verhandlungsunfähig, gegen ihn wird es kein Urteil geben. Andreas Etter hatte am 9. Februar sich den Fragen des Gerichts gestellt und die gegen ihn erhobenen Vorwürfe abgestritten.
Heute plädieren die Anwälte der beiden Investnet-Gründer.
Der Prozesstag endet
Blattmann schliesst sein Plädoyer ab. Ein langer Prozesstag endet damit.
Am 8. März geht es mit den Plädoyers von den Anwälten der Beschuldigten Wüst und Etter weiter.
Stocker-Anwalt Blattmann lobt Unternehmer Stocker
Ein Unternehmer der ins Risiko ging, sein eigenes Geld investierte und mit seiner Beratungstätigkeit angeschlagene Firmen vorwärts brachte und dafür einen grossen Aufwand leistete, das alles sei Stocker gewesen, als er sich bei Unternehmen engagiert habe. Das habe besonders für die angeschlagene Eurokaution gegolten.
Stocker habe Teils habe er sogar Schreibfehler in Mails des Eurokautions-Managements korrigieren müssen. Er habe einen grossen Aufwand geleistet, um die Firma voranzubringen, um so den Wert der Firma zu steigern.
Die Geschichte hinter den Deals
Blattmann geht die einzelnen Beteiligungen durch. Er beschreibt bei jeder, wie sie aus der Sicht von Stocker stattgefunden haben. Bei Eurokaution fragt er: Was wissen wir wirklich? Die Credit Suisse brachte das Thema Mietkaution bei Aduno ins Spiel. Die Firma Swisscaution, ein erstes verlockendes Ziel, konnte aber nicht gekauft werden.
Die Eurokaution kam dann im Sinne einer Partnerschaft auf den Tisch. Aber von der Aduno-Geschäftsleitung, Stocker trat dabei nicht in Erscheinung. Bei dieser Transaktion kam Stocker keine Rolle zu, so Blattmann. Er habe niemanden versucht zu beeinflussen und war nicht in die Verhandlungen involviert.
Das Beratungsunternehmen EY habe dann vorgeschlagen, die Eurokaution zu kaufen. Denn das Geschäftsfeld erschien lohnenswert. Hätte sich Stocker dagegen gestellt, hätte er der Aduno geschadet.
Stocker-Anwalt Blattmann zerpflückt Anklage
Stocker-Anwalt Blattmann seziert in seinem Plädoyer die Anklageschrift. Dabei geht er viele vermeintliche Belege der Staatsanwaltschaft durch. Die Schlussfolgerungen der Ermittler seien nur Spekulation.
Er verweist auf die vielen Mails, welche die Staatsanwaltschaft zitiert hat und bettet sie in einen anderen Kontext. Dadurch erhält die Geschichte einen völlig anderen Dreh. Die Staatsanwaltschaft mache einen doppelten Fehler: sie interpretiere die Aussagen von damals im Widerspruch zum Kontext und sie ziehe ihre Schlüsse im Rückblick.
Stocker-Anwalt nimmt den Faden auf
Stocker-Anwalt Blattmann setzt sein Plädoyer von vor zehn Tagen fort. Die Zahlung von Stocker an Vincenz über 2,9 Millionen Franken ist ein Darlehen, so Blattmann. Es gebe Belege dafür. Es bestehe ein Vertrag, darin ist die Rückzahlung und die Verzinsung geregelt. Wieso brauchte Vincenz das Geld? Pierin Vincenz habe Liquiditätsprobleme gehabt, dabei habe ihm Stocker geholfen, so Blattmann. Auch wenn das die Staatsanwaltschaft nicht glauben will.
Ab Mitte 2014 brauchte er Geld. Projekt K kostete rund 2 Millionen Franken. Hinzu kam sein Abschied bei Raiffeisen und damit der Wegfall des Lohn und dann war da noch die Idee bei Investnet einzusteigen. Er brauchte Geld für die Tänzerin S.O. (35'000 Franken im Monat), hatte weniger Lohn und brauchte Geld für den Einstieg bei Investnet. Vincenz wusste, dass Stocker grosse Zahlungen aus Investnet zustanden. Stocker versprach ihm auszuhelfen. Für die Geldflüsse gab es konkrete Gründe. Vincenz wollte ein Haus im Tessin kaufen.
Praktisch veranlagt
Am Tisch von Verteidiger Erni und dem Beschuldigten Vincenz fehlt der Strom. Der Staranwalt und der Ex-Raiffeisen-Chef legen Hand an. Richter Aeppli fragt: «Brauchen sie Hilfe? Soll ich jemanden rufen, der für Strom sorgt?»
Es geht, sagen Erni und Vincenz. «Dafür stelle ich dann auch Rechnung», scherzt Vincenz. Er bezieht sich offensichtlich auf die Aufforderung von Richter Aeppli an Anwalt Dörig, seine Rechnung dem Gericht zu schicken.
Unterdessen geht es mit dem Plädoyer von Stocker-Anwalt Andreas Blattmann weiter. Dieses wurde vor zehn Tagen unterbrochen.
Aeppli schreitet ein
Auf das Plädoyer von Dörig kann neben der Staatsanwaltschaft (sehr kurz) auch die Nebenklägerin Raiffeisen antworten.
Ein Stapel Papier wird verteilt. «Ich frage mich schon, wieso sie jetzt neun Seiten einreichen», so Richter Aeppli zu Raiffeisen-Anwalt Urs Freuler. Eine Replik ist in der gebotenen Kürze, so Aeppli. Und weiter: «Die Idee ist, dass sie darauf eingehen, was sie heute gehört haben.»
«Wir haben antizipiert», sagt Raiffeisen-Anwalt Feller. Er beginnt in der Folge SMS von Richterich, Vincenz und Stocker vorzulesen.
Es geht nicht lange, da schreitet Aeppli ein. «Es ist sehr heikel, was sie hier machen», so Aeppli. «Das ist keine Replik, sie hatten zwei Wochen Zeit sich vorzubereiten. Lesen sie die SMS nicht vor.»
«Ok», sagt der Anwalt kleinlaut und kürzt ab.
Beschuldigter Richterich: «Ich sehe mich als Opfer des Ehrgeizes der Staatsanwaltschaft»
Markus Dörig, der Anwalt des mitbeschuldigten Kommunikationsberaters Christoph Richterich, sagt eine Stunde für sein Plädoyer an. Er fordert einen Freispruch für seinen Mandanten. Bei den Vorwürfen gegen ihn, geht es nur um einen Nebenaspekt, nämlich um die Abrechnung einer Geschäftsreise.
Richterich wurde von Vincenz auf eine Golfreise eingeladen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, die Kosten dafür über rund 18'000 Franken seien auf Spesen von Raiffeisen gegangen. Als erster Anwalt in diesem Prozess hat Dörig zu seinem Plädoyer gleich eine Medienmitteilung verschickt. Darin führt er aus, dass die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft nicht belegt seien. Sie habe keine Hinweise für ihre Vorwürfe.
Zudem habe Richterich Raiffeisen schon im Jahr 2018, also über ein Jahr vor der Untersuchung transparent über die Details der Reise informiert, so Dörig. Er habe der Raiffeisen auch angeboten, seinen Teil der Reise umgehend zurückzuzahlen, falls es bei der Abrechnung fehler gegeben habe. Dennoch hatte die Staatsanwaltschaft wegen angeblich «neuer Erkenntnisse» ein Verfahren gegen ihn aufgenommen.
Richterich lässt sich in der Medienmitteilung folgendermassen zitieren: «Die Staatsanwaltschaft wollte um jeden Preis die Dubai Reise plakativ und medienträchtig zum Spesenthema verwenden können. Ich sehe mich als Opfer des undifferenzierten Ehrgeizes der Staatsanwaltschaft, in diesem medienträchtigen Fall Schuldsprüche zu erwirken.“
Das sind die Menschen hinter dem Vincenz-Prozess
Diese 24 Menschen spielten in der Raiffeisen-Saga eine wichtige Rolle. Ob als Angeklagte, Gegenspieler oder auch ungewollt in Nebenrollen – gestapelt als praktische Karteikarten.
Beschuldigter Etter: «Ich hatte auch keine Lust, ihm das Geld zu bezahlen»
Der Prozesstag begann mit der Befragung des Mitbeschuldigten Andreas Etter durch Richter Sebastian Aeppli. Etter ist Mitgründer der Beteiligungsgesellschaft Investnet. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft lautet, dass sich Ex-Raiffeisen-Chef Vincenz schon früh verdeckt an der Firma beteiligt habe. Etter weisst das zurück: “Ich wäre damals nie auf die Idee gekommen, dass Vincenz in der ersten Phase unterbeteiligt gewesen sein könnte.” Er habe alles gemacht, um das zu verhindern.
Die Artikel auf “Inside Paradeplatz” ihm Jahr 2016 hätten ihn aufgeschreckt. Nach den ersten Artikeln habe sein Geschäftspartner Peter Wüst Kontakt mit Vincenz und Stocker aufgenommen. Wüst habe ihm dann gesagt, die umstrittene Zahlung über 2,9 Millionen Franken an Vincenz seien für den Hauskauf im Tessin. “Ich ging davon aus, dass Raiffeisen die Sache geprüft hat. Für mich war die Sache damit erledigt”, so Etter.
“Ich fühle mich unschuldig und weiss auch heute nicht, wie ich mich hätte korrekter hätte verhalten können”, so Etter.
Raiffeisen fordert von Etter und Wüst die Wiedergutmachung des Schadens ein. Etter versteht nicht, wie Raiffeisen einen Schaden feststellen kann. 2015 sei Raiffeisen bei Investnet eingestiegen. Raiffeisen haben den Aktien zwischen 40 und 100 Millionen Franken Wert zugemessen - je nach Zielerreichung. “Wir haben alle Ziele erreicht, also Aktien für 100 Millionen verkauft, aber nur 40 bekommen und jetzt will Raiffeisen noch eine Entschädigung dafür? Das gibt höchstens einen Kreativitiätspunkt”, so Etter.
Referent Rok Bezgovsek wollte wissen, wie er darauf komme, dass der Preis von Raiffeisen festgelegt worden sei? Die verwendete Bewertungsmethode sei sehr einfach, so Etter. “Wenige Parameter entscheiden. Die konnten nur von Raiffeisen festgesetzt werden”.
Aber die Bewertungen waren doch unsinnig, hat Bezgovsek nach. “Nein, die Werte waren nicht unsinnig”, so Etter. Sie hätten sich bestätigt.” Ich bestreite nicht, dass uns die Höhe der Werte überrascht hat. Das lag aber daran, dass die Firmen sich so gut entwickelt haben”, so Etter. Wir haben damals eine Rendite von rund 40 Prozent erreicht. Was ich nicht weiss, ob wir das langfristig gehalten hätten.
Im November 2012 sei die Beziehung zu Stocker zerbrochen. Er war als Chef von Investent vorgesehen. Doch habe Stocker einen Konkurrenten geschaffen. “Er kannte alle Internas von Investnet, da hat er sich mit einem anderen ins Bett gelegt, da war ich richtig sauer.”
“Haben sie geglaubt, dass sie Stocker fest einbinden können?”, will Bezgovsek wissen. “Ja, das habe ich wirklich geglaubt.” Etter sei danach dagegen gewese, dass er operativ bei Investnet einsteige.
“Wieso haben sie ihm trotzdem noch 12 Millionen Franken bezahlt”, fragt Staatsanwalt Staatsanwälte Marc Jean-Richard-dit-Bressel. “Ich war sauer und hatte keine Lust das Geld zu bezahlen. Aber wir hatten einen gültigen Vertrag, daher musste ich das Geld bezahlen”, so Etter.
Darum geht es - der Fall kurz geklärt
Die Blitzanalyse zur Verteidigung von Pierin Vincenz
Von Holger Alich
Vincenz' Verteidiger Lorenz Erni kann einige Punkte machen, aber ein Durchmarsch ist es nicht. Erni hat klar herausgearbeitet, dass es keine echten Beweise dafür gibt, dass Vincenz an den Firmen GCL, Eurokaution und Investnet vorab beteiligt war. Es gibt Indizien, mehr nicht. Um den Gegenbeweis anzutreten, also, dass Vincenz nicht beteiligt war, beruft sich Erni aber überwiegend auf Ausführungen und Belege der Mitbeschuldigten. Das wirkte weniger überzeugend.
Gleichwohl: Erni verwies auf interne, private Notizen von Stocker, in dem dieser tatsächlich mehrmals von «Darlehen» an Vincenz sprach und eben nicht schrieb, dass es hier um Gewinnbeteiligungen geht. Am Ende wird es auch darauf ankommen, ob das Gericht den Ausführungen Ernis glaubt, ob Vincenz' Finanzaufstellung von 2014, indem es um Geldflüsse rund um Investnet geht, tatsächlich erst 2015 erstellt wurde – und damit zu einer Zeit, in der Vincenz offiziell an Investnet beteiligt war. Dafür, dass es sich hier um einen Datumsfehler handeln soll, konnte Erni auch keinen klaren Beweis liefern.
Bei Commtrain ist dagegen die Beteiligung von Vincenz unbestritten. Hier versucht Erni daher, die angeschuldigten Punkte in die Verjährung zu retten. Falls das nicht gelingt, zweifelt er an, ob Vincenz die Verkaufserlöse aus seiner Commtrain-Beteiligung der Aduno hätte herausgeben müssen. Auch das überzeugt nicht wirklich.
Überhaupt nicht überzeugend wirkt, dass Verteidiger Erni die Bar- und Cabaret-Besuche von Vincenz als geschäftsbedingt zu deklarieren versucht. Auch wenn bei Raiffeisen die Kontrollen offenbar total versagt haben – inklusive der Aufsicht durch den damaligen Verwaltungsratspräsidenten Rüegg-Stürm – heisst das noch nicht, dass solche Ausgaben als Spesen abgerechnet werden können. Das hatte Rüegg-Stürm in seiner Einvernahme ebenfalls klar gesagt.
Fazit: Erni zeigt auf die wackeligen Punkte der Anklage. Kann die Staatsanwaltschaft das Gericht nicht davon überzeugen, dass Vincenz an den fraglichen Firmen beteiligt war, fällt die Anklage in sich zusammen. Bei den Spesen konnte auch Starverteidiger Erni keine Wunder vollbringen. Die Faktenlage scheint hier erdrückend.
Doch all das muss am Ende das Gericht entscheiden – sein Fazit kann ganz anders aussehen.
Erni zu den Spesen: «Herr Vincenz wird diese Rechnung selbstverständlich bezahlen»
Jetzt wendet sich Verteidiger Lorenz Erni den Spesen zu. Zu den Anwaltsrechnungen aus dem Jahr 2014. Damals hatte Lorenz Erni den Konflikt mit einer Freundin von Vincenz moderiert und die Rechnung für seine Arbeit dann an Raiffeisen geschickt. Das sei ein Fehler gewesen, so Erni. «Herr Vincenz wird diese Rechnung selbstverständlich bezahlen», so der Anwalt.
Der Kostenstelle des Raiffeisen-CEO Pierin Vincenz seien in der fraglichen Zeit von 2010 bis 2015 ganze 4400 Transaktionen belastet worden. In der Zeit seien allein Beraterhonorare von 5,5 Millionen Franken abgerechnet worden.
Bei dieser hohen Zahl an Rechnungen verböte es sich, Vincenz bei der fehlerhaften Abrechnung der Anwaltsrechnung böse Absicht zu unterstellen.
Zu «irrtümlichen Belastungen» kam es auch bei den Reisen. Einige Reisen von Vincenz' Töchtern wurden Raiffeisen belastet, andere nicht. Das seien Fehler gewesen, es bestand keine Bereicherungsabsicht, so Erni.
Dasselbe gilt auch für die Renovierungskosten des Hotelzimmers im Zürcher Hyatt. Die Rechnung wurde pauschal eingesandt, ohne Aufschlüsselung der einzelnen Positionen. Sprich, im Wust der korrekten Hotelrechnungen ging der Posten für die Renovierung schlicht unter.
Vincenz-Verteidiger Erni beharrt darauf, dass die Reisen nach Dubai geschäftliche Gründe hatten. Es sei darum gegangen, langjährigen Geschäftspartnern ein «Dankeschön» zu erbringen.
Auch die Trips mit Vincenz' Koch-Club «Fleur de Tigre» hätten geschäftliche Hintergründe gehabt. Die Clubmitglieder seien Kunden der Raiffeisen gewesen, er habe das Netzwerk für neue Geschäfte genutzt.
Der damalige Verwaltungsratspräsident Rüegg-Stürm habe in einer Aussage anerkannt, dass Vincenz der «Chefverkäufer» von Raiffeisen war und einen «intensiven Dialog» mit Kunden, Medien und Politik gehalten habe. Das starke Engagement von Vincenz sei «sehr willkommen» gewesen. Da Bank-Produkte austauschbar seien, sei die Kommunikationsarbeit von Vincenz für Raiffeisen so wertvoll. «Er gab der Bank ein Gesicht», zitiert Erni den damaligen Verwaltungsratspräsidenten.
Vincenz, so der Anwalt, verstand das Netzwerken «sehr breit». Dazu gehörten auch «Spontaneinladungen», wenn er beim Reisen oder bei Barbesuchen erkannt worden sei.
«Man muss schon einen gehörigen Hang zur Erbsenzählerei haben», wenn man diese Ausgaben als Geschäftsschädigung werten würde.
Sprich: Spesen in Bars und Cabarets sind für Vincenz' Verteidiger Teil der Netzwerkpflege. Spannend wäre zu wissen, ob Anwalt Lorenz Erni solche Spesen seinen eigenen Mitarbeitern genehmigen würde.
Zu den Club-Ausgaben sagt Anwalt Erni: Es sei üblich, nach einem anstrengenden Abend einen Geschäftspartner nach einem Essen auch noch in einen Club einzuladen.
Spannend: Laut Erni sei Vincenz auch nach Sitzungen mit anderen Verwaltungsratsmitgliedern in Clubs und Bars gewesen. Er sagt nicht, ob dies Verwaltungsräte von Aduno oder Raiffeisen waren.
Entscheidend sei nicht, in welches Lokal eine Einladung erfolgte, sondern nur, ob man hierbei Geschäftskontakte dabei gehabt habe, argumentiert Erni. Auch daher fordert Erni bei diesem Punkt einen Freispruch.
Vincenz Spesen seien vom Verwaltungsratspräsidenten kontrolliert worden. Da von dieser Seite nie eine Beanstandung gekommen sei, hätte er davon ausgehen können, dass seine Ausgaben in Nachtclubs in Ordnung waren. Es sei nicht so gewesen, dass die Clubs jeweils mit einer unverfänglichen Rechnungsadresse auf den Abrechnungen erschienen, so Erni.
Fazit von Erni: «Herr Vincenz ist von allen Anklagepunkten freizusprechen.»
Am Ende fordert der Verteidiger, dass die Kosten des Verfahrens der Staatskasse zu belasten seien. Und: Vincenz müsse eine «angemessene» Genugtuung zugesprochen werden.
So sei ein Gesamtaufwand von 1750 Honorarstunden angefallen. Ferner müsse Vincenz eine Genugtuung für die Untersuchungshaft von 106 Tagen à 200 bis 300 Franken je Tag erhalten. Auch die Vorverurteilung in den Medien müsse bei einer Genugtuung berücksichtigt werden.
Ernis Plädoyer ist damit beendet.
Nach Erni folgt das Plädoyer von Andreas Blattmann, dem Anwalt des zweiten Hauptbeschuldigten Beat Stocker. Der Verteidiger hat allerdings einen schwereren Stand als sein Vorredner: Das Plenum ist ermattet, kaum ein Journalist schreibt seine Worte noch mit. Auch Blattmann betont, dass es kein Dokument gäbe, welches die Beteiligung von Vincenz an der Investnet belegt.
Stockers Anwalt präsentiert – wie schon Erni – eine alternative Erzählung zu dem Wust an Mails, Chats und Dokumenten, welche die Staatsanwaltschaft präsentiert hatte.
«Was bleibt nun von der behaupteten Einflussnahme von Beat Stocker übrig? Nichts», sagt Blattmann. Stockers Anwalt beendet am Freitagabend um 17:30 sein Plädoyer.
Weiter geht es im Februar und März
Damit endet auch die erste Woche des lange erwarteten und grossen Wirtschaftsprozesses vor dem Zürcher Bezirksgericht. Am 9. Februar geht es mit der Befragung des Investnet-Gründers Andreas Etter weiter. Weitere vier Verhandlungstage sind im März vorgesehen, der letzte am 22. März. Wann das Urteil gesprochen wird, ist laut Richter Sebastian Aeppli noch offen.
Das Who-is-who des Prozesses: Die Raiffeisen-Kartei
Wer ist Lorenz Erni?
Der Zürcher Strafverteidiger ist kein Freund der Öffentlichkeit. Obwohl er kaum zu den Medien spricht, ist Erni einer der wenigen Anwälte, die in den Prozessberichterstattungen jeweils namentlich genannt werden; wobei sein Name meist vom Attribut Staranwalt begleitet ist. Seine mediale Zurückhaltung begründete Erni einst folgendermassen: «Es gehört zu meinem Berufsverständnis, vor Gericht und nicht in den Medien zu plädieren.»
In der Mediendatenbank sind unzählige Prominente aufgeführt, die Erni in den letzten 40 Jahren vor Zürcher Gerichten vertreten hat, wobei sein bekanntester Klient wohl der wegen Vergewaltigungsvorwürfen in Zürich verhaftete Regisseur Roman Polanski war. Die Namen der von Erni verteidigten Klienten lesen sich wie ein «Who is who»: der Winterthurer Unternehmer Rolf Erb, der russische Investor Viktor Vekselberg, Ex-Bildungsdirektorin Regine Aeppli (SP) im Fall Mörgeli, die ehemalige Zürcher Regierungsrätin Dorothée Fierz (FDP) im Zusammenhang mit Amtsgeheimnisverletzung, der frühere Swissair-Chef Philippe Bruggisser, der wegen Mordes verurteilte Dübendorfer Tierarzt Gabor Bilkei oder die Ex-Freundin von René Osterwalder.
In einem der ganz wenigen Interviews, die der Strafverteidiger 2012 gab, beschrieb er sich als Einzelkämpfer: «Das Vertrauen leidet, wenn ein Mandant immer wieder mit einem anderen Anwalt zu tun hat.» Wichtig sei, dass ein Beschuldigter keine Aussagen machen soll, bevor er sich mit seinem Anwalt beraten hat. Die Triebfeder des Strafverteidigers sei der Zweifel: «Er muss alles hinterfragen und darf sich nicht vom ersten Eindruck blenden lassen.» Letztlich müsse er auch beim Gericht Zweifel säen.
Vor Gericht argumentiert Erni mit dem Florett, nicht mit dem Zweihänder. Sachlich, konkret und präzise, wie Erni selber sagt. Man sollte nicht um den Brei herumreden und schon gar nicht Luftschlösser bauen. Als unaufgeregt, effizient und ohne Allüren beschreibt eine ehemalige Klientin den Anwalt.
(Aus einem Porträt von Stefan Hohler)
Der Mitbeschuldigte Ferdinand Locher
Im Prozess um Pierin Vincenz steht auch Immobilienunternehmer Ferdinand Locher vor Gericht. Der Name des Stadion-Mitinvestors weckt in Thun viele Erinnerungen. Autor Michael Gurtner war in Thun auf Spurensuche.
Vergleich mit Retrozessionen bei den Banken
Hat Vincenz Aduno dadurch geschädigt, dass er mit seiner Privatbeteiligung verhindert hat, dass Aduno früher die Commtrain hätte kaufen können?
Nein, argumentiert Anwalt Erni. So habe Ständerat Baumberger zunächst Vincenz nur um ein Darlehen gefragt, ein Verkauf war damals kein Thema. Zumal Baumberger die Commtrain so aufstellen wollte, damit das Unternehmen seinem Sohn eine berufliche Plattform bieten könne. Auch das zeige, dass beim Einstieg von Vincenz ein Gesamtverkauf der Commtrain kein Thema gewesen sein.
Jetzt wendet sich Vincenz-Verteidiger Erni der Kernargumentation der Staatsanwaltschaft zu: Dass der Fall Vincenz Parallelen zu Retrozessionen aufweise. Laut dem Bundesgericht müssen Finanzdienstleister Vorteile und Gelder, die sie im Zuge von Kundentransaktionen von anderen Finanzdienstleitern erhalten, dem Endkunden aushändigen.
Der Zürcher Prof. Thomen kommt laut Erni aber in einem Gutachten zum GCL-Deal zum Schluss, dass dieses Bundesgerichts-Urteil zu Retros nicht auf den Fall Vincenz anzuwenden sei.
Fazit von Erni: Stocker und Vincenz haben mit ihrer Beteiligung eigene Interessen verfolgt, aber der Viseca/Aduno keine Geschäftsidee weggeschnappt. Der spätere Verkaufspreis der Commtrain durch Aduno sei angemessen gewesen. Eine Herausgabe-Pflicht der Gewinne gebe es nicht. Und selbst für diesen Fall könnten die Beschuldigten einen Sachverhaltsirrtum gelten machen. Sie hätten nicht vorsätzlich gehandelt, «der Freispruch zwingend».
Verteidiger über Vincenz: Ein «juristischer Laie» kann nicht besser sein als Profis
Jetzt geht es um die rechtliche Würdigung. Der Fall Commtrain sei verjährt, argumentiert Erni.
Zunächst habe die Staatsanwaltschaft darauf abgestellt, dass Aduno zu viel für Commtrain bezahlt habe. Dann vollzog die Staatsanwaltschaft eine Kehrtwende, weil der Preis angemessen war.
Dann nimmt Erni das Argument der Staatsanwaltschaft auseinander, dass Vincenz eine Pflichtverletzung begangen haben soll, weil dieser den Gewinn aus dem Commtrain-Deal für sich behalten und nicht der Aduno herausgegeben hat.
Dazu ergänzt Erni, dass die Staatsanwaltschaft im August 2012 einen vergleichbaren Fall eingestellt hätte. Und dies ohne, dass sie eine Gewinnherausgabe gefordert habe.
Auch der Verwaltungsrat der Aduno habe im September 2016 keine Gewinnherausgabe gefordert, als sie von der Beteiligung von Vincenz an Commtrain erfuhr. Ebenso hätten dies die Aduno-Anwälte nicht gefordert, als sie 2017 die Anzeige gegen Vincenz einreichten.
Wenn selbst solche Profis nicht erkannt hätten, dass Vincenz die Commtrain-Gewinne hätte an Aduno abgeben müssen, so könne man von Vincenz als «juristischem Laie» nicht verlangen, dass er diese Herausgabe-Pflicht erkennen würde.
Vincenz habe einen Sachbeurteilungsfehler begangen, sei vom Vorwurf des Betrugs aber freizusprechen, folgert Erni.
Deal mit Stadion Thun für 20 Millionen Franken geplant?
«Wir kommen zur letzten Unternehmenstransaktion, die Arena Thun», beginnt Anwalt Erni nach der Mittagspause. Zum Verkauf des Stadiums an Raiffeisen ist es aber nicht gekommen.
Es ist unbestritten, dass diese Idee mit Raiffeisen besprochen wurde. Zu einem internen Übernahmeprojekt kam es aber nicht, denn die Fachabteilung hatte sich dagegen ausgesprochen. Vincenz selbst stand der Idee positiv gegenüber, so Erni. Doch es blieb bei der Idee.
Die Staatsanwaltschaft wirft Vincenz vor, Stadionbesitzer Ferdinand Locher soll Pierin Vincenz eine Provision von 2 Millionen Franken geboten haben, falls Vincenz es schafft, dass Raiffeisen das Stadion kauft.
«Das trifft nicht zu», so Verteidiger Erni. Es sei dagegen sehr wohl eine Provision für Stocker von Locher «einmal angesprochen» worden. Doch hätte sich nie auf Vincenz bezogen.
Die Staatsanwaltschaft bezieht sich auf einen Chat zwischen Stocker und Locher vom Sommer 2014. Dabei habe Locher geschrieben, dass er einen Gewinn von 7 Millionen machen würde, wenn das Stadion zu 20 Millionen Franken verkauft würde.
Locher habe Stocker gefragt, wie viel Provision für diesen Fall verlangt würde. Ferner schrieb er, die sei «für Euch».
Die Chats würden zwar belegen, dass Locher und Stocker über eine mögliche Provision gesprochen haben und sie dabei auch möglicherweise an Vincenz gedacht haben. Die Chats belegten aber nicht, dass Vincenz von dieser Diskussion, von diesen Gedankenspielen wusste. Und es gebe keinen Beweis, dass Vincenz solch einer Provisionszahlung je zugestimmt habe.
«Das Ergebnis ist hier eindeutig»: Die Staatsanwaltschaft konstruiert den Vorwurf, Vincenz habe mit Locher eine Provisionsverabredung getroffen.
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