Bericht eines Holocaust-Überlebenden«Ab jetzt bin ich nicht mehr ich. Vielmehr nur eine Nummer»
József Debreczeni überlebte Auschwitz. Sein literarisch brillanter Bericht stellt sich der Entmenschlichung der Nazis entgegen. Die Warnung gilt auch heute.
Nackt und auf die Knochen abgemagert liegt József Debreczeni in einer tranceartigen Zwischenwelt im «kalten Krematorium», dem Krankenlager von Dörnhau. «Jetzt zu sterben, wäre empörend sinnlos», denkt er sich. Kurz darauf wird er, knapp 35 Kilogramm leicht, am 4. Mai 1945 von der Roten Armee befreit.
Debreczeni war ein erfolgreicher ungarischer Journalist und Schriftsteller. Er wurde 1944 nach Auschwitz deportiert und danach in verschiedene Lager von Gross-Rosen verlegt, die letzte Station war das Krankenlager in Dörnhau.
Dass sein literarisch brillanter Bericht bereits 1950 auf Ungarisch erschienen ist und erst jetzt auf Deutsch, ist zutiefst beschämend. Er kommt aber leider genau rechtzeitig in eine Welt, in der faschistisches Gedankengut wieder salonfähig ist und die heutige deutsche Kanzlerkandidatin der AfD Hitler als Kommunisten bezeichnet.
Der 27. Januar 2025, der 80. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz, ist die Gelegenheit, den Überlebenden noch einmal zuzuhören. Oder Zeugnisse Überlebender zu lesen und sich gewiss zu werden: Dieser Imperativ «Nie wieder» wird ausgehöhlt, wenn Auschwitz verharmlost oder geleugnet wird. Und wer «Nie wieder ist jetzt» sagt, muss wissen, was nie wieder geschehen soll.
Debreczenis «Kaltes Krematorium. Bericht aus dem Land namens Auschwitz» wird vom Kampf angetrieben, nicht zu verhungern. Manchmal kann der Autor sich ein Stück altes Brot ergattern oder einen Löffel Zucker gegen etwas alten Tabak tauschen. Die Gefangenen bekommen «Bunkersuppe», was keine Suppe ist, sondern lauwarmes Wasser, manchmal mit Kartoffelschalen drin.
«Unartikuliert brüllend wälze ich mich mit den anderen im Schlamm, um eine am Strassenrand gefundene Karotte kämpfend, stürze mich zähneknirschend auf jeden weggeworfenen Zigarettenstummel.» Wie diese Menschen zwischen Läuseplagen, Seuchen und Hunger überleben konnten, bleibt bis zum Schluss ein Wunder.
Systematische Entmenschlichung von monströsem Ausmass
Die SS-Leute geben ihnen gerade so viel zu essen, dass der Organismus erhalten bleibt. «Es geht um deren Erhaltung, nicht darum, dass sie nicht geschädigt werden.» In perfiden Experimenten wurde ausgerechnet, dass man sowieso nur von ein paar Monaten Lebensdauer und Arbeitskraft ausgeht. Auf jeden Toten folgt mit den nächsten Zügen «frische Menschenlieferung».
Auschwitz sei nur die Hauptstadt von «Todesland», schreibt Debreczeni. Überall sind weitere Lager entstanden. Das Gepäck, Fotos, Ausweise werden auf Lastwagen geworfen und allen ist klar: Von hier kommt keiner zurück. Die Sachen werden nicht mit Namen versehen, um zurückgegeben werden zu können, nein, barbarisch, aber simpel sei das Vorgehen.
Auf diese Weise wurden Millionen von Menschen ihrer Menschlichkeit beraubt. «Wie werde ich beweisen können, dass ich ich bin?» Er bekommt die Nummer 33’031. «Ab jetzt bin ich nicht mehr ich. Vielmehr nur eine Nummer als der zu lebenslanger Haft verurteilte Gefangene.» Wenn Debreczeni von seinen Mitgefangenen erzählt, nennt er ihre Namen und stellt sich in jeder Zeile der Entmenschlichung entgegen.
Die Menschen geraten in einen selbstmörderischen Wahn
Wer die Zwangsarbeit unterbricht, um sich wegen der Läuse blutig zu kratzen, riskiert den Knüppel oder wird beim «Appell» direkt erschossen. Die anderen müssen dieser sadistischen Willkür zuschauen. Wenn die Häftlinge zehn Stunden einen unterirdischen Tunnel bauen müssen, fällt es niemandem auf, wenn sich Arbeiter vor ein Fahrzeug werfen. «Eine schnellere und einfachere Möglichkeit zum Selbstmord gibt es nicht.»
Eine der widerlichsten Szenen im Buch ist die, als ein SS-Hauptsturmführer des Lagerkomplexes Gross-Rosen, ein «einarmiger Despot», nach dem besten Mann der Gruppe fragt. Dieser springt aus der Grube und nimmt die Mütze vom Kopf.
Der Nazi fragt den Häftling nichts, zückt eher träge seine Waffe und erschiesst ihn. Der Getötete kippt nach vorne und schlägt dumpf in der Grube auf. Das sei eine kleine Demonstration gewesen, findet der Einarmige, «um zu veranschaulichen, dass selbst der beste Jude krepieren muss». József Debreczeni kommentiert: «Was für ein Kitsch. Das Grauen ist immer kitschig. Selbst wenn es Wirklichkeit ist.»
Die Männer sterben nackt im eigenen Kot
Im Krankenlager Dörnhau sind die Männer dann ganz nackt. Wenn Decken verteilt werden, machen sich die Aufseher einen Spass daraus, einem Häftling zwei Decken, einem anderen keine zu geben. Oder sie von denen, die schlafen oder schon tot sind, wegzuziehen und den geschundenen Körper auszulachen.
Viele sterben an Durchfall. «Fast immer kommt der Eimer zu spät und die Liegenden entleeren sich auf oder noch öfter vor die Pritschen. Alle haben Durchfall. Daher die grauenvollen gelben Bäche entlang der Bettreihen.» Später kommt das Fleckfieber dazu: «Bergman fühlt sich nicht anders als sonst. Erzählt gerade etwas und stirbt mitten im Satz.»
Die Männer sterben nacheinander weg, andere trinken den eigenen Urin, um nicht zu verdursten. Die «toten Knochenmenschen» werden für die Brotausgabe aufrecht hingesetzt, die Brotration nimmt sich der Siechende neben dem Totengespenst.
Schlaf finden die Häftlinge nicht, «der leere Magen schluckt die Träume», und die Kraft, um wach zu bleiben, schwindet. József Debreczeni gleitet immer wieder ab. Nahe an der Ohnmacht kann er sich am Leben halten. «Ich glaube einfach nicht, was ich sehe.» Er zieht sich die Decke des Toten neben sich über den Kopf: «In der Dunkelheit suche ich nach Licht, baue hinter den geschlossenen Lidern die verlorene Wirklichkeit wieder auf.»
Dieser Bericht ist eine Warnung
Es ist unvorstellbar, wie der vom Hunger gezeichnete und von einem Trauma unvorstellbaren Ausmasses gequälte Mann sich überhaupt so gut an all das erinnern und es in dieser literarischen Präzision aufschreiben konnte. Er hat etwas Gelassenes in seinem Ton. Kein ergebener Ton, nein, aber man spürt keine blanke Wut. Dafür ist der Erzähler zu klug und zu humorvoll, wenn er schreibt: «Drecksjudenbande, aufstehen! Was glaubt ihr, wo ihr seid? In der Synagoge? Das war bereits unverfälschter Auschwitzer Lokalkolorit.»
Dieses Buch lässt einen auch erahnen, wie stark die Schuld der Überlebenden ist. Warum mussten andere sterben und ich habe überlebt? Es war eher Zufall, ob das Herz bis zum Schluss stark genug war oder man nicht aus einer Nazi-Laune heraus erschossen wurde.
Wer diesen literarischen Bericht liest, wird nicht als dieselbe Person herauskommen, als die sie hineingezogen wurde. Es ist ein Zeugnis des bestialischen Grauens der Nationalsozialisten und es ist eine Warnung, die es gilt, ernst zu nehmen.
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