Langzeitfolgen von Corona73’000 Menschen in der Schweiz sind von Long Covid betroffen
Für die bisher umfassendste globale Analyse haben Forschende eine neue Berechnungsmethode angewandt. Besonders betroffen sind Frauen und Junge.
Sie sind so etwas wie das pandemische Damoklesschwert: die Langzeitfolgen einer Covid-19-Erkrankung. Auch drei Monate oder länger nach einer Infektion mit Sars-CoV-2 leiden viele Menschen noch an Symptomen wie starker Müdigkeit, Atembeschwerden, Herzrasen, Schlafstörungen oder einem vernebelten Gehirn. Die meisten Studien – ganz aktuell auch eine Auswertung der US-Gesundheitsbehörde CDC – kamen bislang zum Schluss, dass das Risiko, nach einer durchgemachten Corona-Infektion an Long Covid zu erkranken, etwa bei 20 Prozent liegt.
Nun wirft eine umfassende globale Studie einen neuen Blick auf diese Zahlen. Demnach erkrankten weltweit in den Jahren 2020 und 2021 – also noch vor den Omikron-Wellen – rund 145 Millionen Menschen an Long Covid, das sind «nur» 6,2 Prozent aller Corona-Infizierten mit Symptomen. Diese Werte sind allerdings noch mit einer grossen Unsicherheit behaftet, wie die Autoren der aktuellen Studie einräumen: Es könnten im besten Fall nur 55 Millionen sein (2,4 Prozent), im schlechtesten Fall 312 Millionen (13,31 Prozent). Für die Schweiz berechneten die Studienautoren, dass in den beiden Jahren rund 73’000 Menschen an Long Covid erkrankten.
Zürcher Studie massgeblich beteiligt
Für die Studie, die noch nicht von Fachleuten begutachtet ist und erst als Preprint vorliegt, analysierte ein Konsortium von über 100 Forschenden alle weltweit zugänglichen Daten und Studien zu Long Covid. Daraus berechneten sie mit aufwendigen Modellierungen die globale Krankheitslast von Long Covid, den sogenannten Global Burden of Disease (GBD). Dieser Wert soll verschiedene Krankheiten miteinander vergleichbar machen. Gemäss der aktuellen Studie ist der GBD von Long Covid ähnlich gross wie jener von schweren Nackenschmerzen oder der chronischen Darmentzündung Morbus Crohn. Zum Vergleich: Der GBD von Herzinfarkt, Schlaganfall oder auch Diabetes ist sehr viel grösser.
In die globale Long-Covid-Analyse mit eingeflossen ist auch die Zürcher Kohortenstudie. «Unsere Daten waren mit die wichtigsten», sagt der Epidemiologe Milo Puhan, Direktor des Instituts für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention (EBPI) an der Universität Zürich und Leiter der Zürcher Coronavirus-Kohorte. Der Grund: «In unserer Bevölkerungsstudie hatten wir die ganze Breite, von den Asymptomatischen bis zu den Hospitalisierten.» Die meisten anderen Untersuchungen hätten nur hospitalisierte Patienten angeschaut.
Die Frage bleibt: Warum kommt die neue Studie zum Schluss, dass die Long-Covid-Häufigkeit deutlich tiefer ist, als vorangegangene Untersuchungen nahegelegt haben? Dafür gibt es laut Puhan zwei Gründe: Zum einen basieren die Berechnungen nicht wie in den anderen Studien auf bestätigten Infektionen (rund 500 Millionen weltweit bislang), sondern auf Hochrechnungen aufgrund von Übersterblichkeitsraten und Dunkelziffern. Das Forscherkonsortium kommt dabei auf eine Zahl von fast 4 Milliarden Infektionen weltweit. «Das ist sehr realistisch», sagt Puhan.
Zum anderen fokussierte die aktuelle globale Analyse auf drei Leitsymptome von Long Covid: starke Müdigkeit (Fatigue), Atembeschwerden und kognitive Beeinträchtigungen. Andere Symptome wie Schlaflosigkeit, Verlust des Geruchssinns oder Herzrasen wurden nicht berücksichtigt. Man habe die drei Symptome so gewählt, weil sie in den Studien relativ gut erfasst worden seien, sagt Puhan. Zudem gehörten diese drei Symptome in Bezug auf den GBD zu den wichtigsten.
Die beiden Faktoren – die viel höhere Zahl an totalen Infektionen sowie die Beschränkung auf drei Symptome – sind laut Puhan die Hauptgründe, warum die Häufigkeit von Long Covid nun auf 6 Prozent geschätzt wird – und nicht wie in anderen Studien auf rund 20 Prozent. Die wichtigsten Erkenntnisse der Studie sieht Puhan aber nicht in dieser Prozentzahl (die sowieso eine grosse Unischerheitsspanne aufweist), sondern im «Versuch, die Long-Covid-Belastung global abzuschätzen und mit anderen Krankheiten zu vergleichen».
Die aktuelle Analyse liefert noch weitere interessante Resultate:
Das Long-Covid-Risiko hängt von der Schwere der Covid-19-Erkrankung ab. Patienten, die auf der Intensivstation behandelt wurden, erkranken mit 43 Prozent am häufigsten an Long Covid, Hospitalisierte haben ein Long-Covid-Risiko von 27,5 Prozent und Nicht-Hospitalisierte eines von 5,7 Prozent.
63 Prozent der Long-Covid-Fälle betreffen Frauen.
Die am stärksten betroffene Alterskategorie sind die 20- bis 29-Jährigen.
50 Prozent der Long-Covid-Patienten mit milderen Covid-Verläufen haben nach vier Monaten keine Beschwerden mehr; bei den Hospitalisierten dauert es 8,8 Monate, bis die Hälfte symptomfrei ist.
Nach zwölf Monaten hat «nur» noch knapp einer von sieben Betroffenen Long-Covid-Symptome. Das sind weltweit aber immer noch 21 Millionen Menschen.
Gerade der letzte Punkt, nämlich, dass bei den meisten Betroffenen die Symptome innert Monaten verschwinden, gebe Anlass zu Hoffnung, schreibt das Forscherkonsortium. Es sei allerdings noch nicht klar, ob sich Long Covid bei einem kleineren Anteil der Betroffenen zu einer chronischen Krankheit entwickeln könnte. Dafür brauche es längere Nachfolgestudien.
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