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Corona-Hilfe mit Prämiengeldern
500 Franken für jeden und jede

500 Franken für jede und jeden, das fordert der Gewerkschaftsbund, weil die Krankenkassen zu viele Reserven angehäuft haben.
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Die Forderung klingt gut, unverschämt gut fast schon. Mindestens 500 Franken für jede Schweizerin und Schweizer. Kaufkraftimpuls nennt sich das. Wer kann da schon dagegen sein? Vor allem in diesen Zeiten?

Reto Wyss fordert genau das. Der Zentralsekretär des Gewerkschaftsbunds hat gerechnet und ist zu einem überraschenden Schluss gekommen. Die Reserven der Krankenkassen haben auch dieses Jahr zugenommen, trotz Corona, trotz höherer Kosten in der Grundversicherung in der Höhe von 430 Millionen Franken (mehr dazu hier). Ein Grund dafür ist das gute Börsenjahr 2020; ein anderer, dass die Versicherer systematisch zu hohe Prämien verlangen. «Das kann es nicht sein», sagt Wyss.

Reto Wyss ist Zentralsekretär des Gewerkschaftsbunds und will fünf Milliarden Krankenkassenreserven auflösen.

Ihn stört es, dass seit Jahren die Reserven steigen. Anfang 2019 hatten alle Versicherer zusammen Reserven von 9,5 Milliarden Franken, 2020 waren es 11,3 Milliarden und nun betragen sie gemäss Wyss’ Kalkulation 12,7 Milliarden – offizielle Zahlen sind noch nicht veröffentlicht. «Womöglich ist der Zuwachs noch höher, ich habe konservativ gerechnet», sagt er.

Die Reserven sind nun doppelt so hoch wie gesetzlich notwendig. Eklatant sei dieser Überschuss. Dysfunktional das System, findet Wyss. Er und der Schweizerische Gewerkschaftsbund wollen darum die Reserven um 5 Milliarden reduzieren und an die Bevölkerung verteilen. 500 Franken für alle.

Maillards Traum

Die Auszahlung der Reserven, es ist seit Jahren ein politischer Wunschtraum von Gewerkschaftspräsident Pierre-Yves Maillard (SP), dem ehemaligen Gesundheitsdirektor der Waadt.

In diesen Tagen bekommt dieser Traum eine neue Dringlichkeit. Die Kantone Tessin, Genf, Jura, Freiburg und Neuenburg fordern eine Anpassung des Krankenversicherungsaufsichtsgesetzes. Die Versicherer sollen übermässige Reserven abbauen und zu hoch eingeschätzte Prämien im Nachhinein ausgleichen müssen.

Darum Geld fürs Volk. Doch wie sinnvoll ist das? Vor allem in diesen Zeiten?

«Versicherungsökonomisch ist das der dümmste aller dummen Momente.»

Willy Oggier, Gesundheitsökonom

Willy Oggier ist Gesundheitsökonom. Er findet eine Reservenreduktion in der Pandemie keine gute Idee, aus Prinzip. «Versicherungsökonomisch ist das der dümmste aller dummen Momente.» Er meint die Unsicherheiten, die mit Corona einhergehen. Es könnte eine dritte Welle geben, man weiss noch wenig über Long-Covid-Patienten, zudem würden nun viele Operationen aus dem vergangenen Jahr nachgeholt. Kurz: Potenziell lauern da noch hohe Kosten. «Wenn man nun die Reserven kappt, sorgt das für unnötige Instabilität.» Das Schlimmste wäre, wenn einzelne Krankenkassen in der Pandemie Insolvenz anmelden müssten. Oggier würde darum mit einer Auszahlung noch ein, zwei Jahre warten.

«Wenn man nun die Reserven kappt, sorgt das für unnötige Instabilität», sagt Gesundheitsökonom Willy Oggier.

Oggier stört noch ein anderer Aspekt. «Ich bin der Meinung, dass die Politik nicht an den Reserven rumfingern soll.» Das führe meist zu Prämiensprüngen. Er denkt an die Bundesräte Dreifuss, Couchepin, Burkhalter und Berset, alle haben oft in Wahljahren die Reservensätze nach unten zu schrauben versucht, um die Prämien tief zu halten. Die Folge: In den darauffolgenden Jahren schossen die Prämien in die Höhe.

Die Krankenkassen sind sich uneins

Auch der Kassenverband Santésuisse hält einen Reservenabbau in der aktuellen Gesundheitskrise für fahrlässig. Die heutige Regelung habe sich bewährt, sagt Santésuisse-Sprecher Matthias Müller. Versicherer könnten Rückzahlungen leisten, wenn es der Reservestand erlaube. Von dieser Möglichkeit machten bereits heute viele Versicherer Gebrauch. Gerade in unsicheren Zeiten wie jetzt sei es jedoch wichtig und im Interesse der Prämienzahler, dass die Versicherer über genügend Reserven verfügten.

Allerdings sieht der Konkurrenzverband Curafutura, dem die Branchenriesen Helsana und CSS angehören, durchaus Spielraum zum Reservenabbau. Curafutura fordert vom Bundesrat eine flexiblere gesetzliche Regelung, damit die Kassen die grossen Reserven zur Senkung der Prämien verwenden dürfen.

Die Verteilung der Überschüsse ist eine linke Idee, doch sie hat Unterstützer auch auf bürgerlicher Seite – zumindest in ihren Ansätzen. Der Walliser FDP-Nationalrat Philippe Nantermod will Reserven in Form von Prämienreduktionen umverteilen, falls eine Versicherung 150 Prozent der gesetzlichen Reserven überschreitet. Die Variante der Gewerkschaften hält er aber für untauglich, weil diese die Reserven an alle verteilen wollen, unabhängig davon, ob die Begünstigten etwa Prämienverbilligung erhalten haben oder ob sie bei einer Versicherung sind, die keine zu hohen Reserven hat.

Gewerkschafter Reto Wyss hat Sympathien für Nantermods Idee, findet aber, dass diese zu wenig weit gehe und zu wenig Gelder ausschütte. Er weiss auch einen Ausweg, falls man unversehens merkt, dass man zu viele Reserven verteilt hat. Ganz einfach: die Prämien erhöhen.