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Neue Präsidentin der Reformierten
Zum ersten Mal wird eine Frau eine nationale Kirche leiten

Zwinglianerin gegen Calvinistin: Rita Famos (links) und Isabelle Graesslé wollen beide Präsidentin der Reformierten werden. 
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Rita Famos gegen Isabelle Graesslé: eine Deutschschweizerin gegen eine Welsche, eine Zwinglianerin gegen eine Calvinistin, eine Seelsorgeleiterin gegen eine Gemeindepfarrerin. Eine der beiden Kandidatinnen wird heute Montag per E-Voting vom Parlament der Evangelischen Kirche Schweiz zu deren Präsidentin gewählt – zur Nachfolgerin von Gottfried Locher. Unabhängig davon, welche der beiden siegt: Die Wahl wird historisch sein. Erstmals in der Schweiz wird eine Frau an der Spitze einer grossen nationalen Religionsgemeinschaft stehen.

Die Zürcherin Rita Famos ist stolz auf ihre Kirche, die vor hundert Jahren als eine der ersten die Frauenordination eingeführt habe und auch jetzt beweise, dass sie fähig sei, die gesellschaftlichen Standards zu adaptieren. «Uns Reformierten wirft man vor, profillos zu sein, dabei sind wir als vielstimmige Kirche auf die Postmoderne vorbereitet und nicht gefährdet, an unseren Positionen zu zerbrechen.» Das sagt die 54-Jährige auch mit Blick auf die katholische Kirche, die sich apodiktisch gegen die Frauenweihe wehrt. Eine Frau an der Spitze der evangelischen Kirche werde auch den Katholikinnen Mut machen, die derzeit engagiert für Gleichberechtigung kämpften, ist Famos überzeugt.

Auch für die 61-jährige Isabelle Graesslé ist die Stunde der Frauen gekommen, «der kompetenten Frauen», wie sie betont. Die habilitierte Theologin ist erklärte Feministin und Humanistin und möchte jetzt umsetzen, worüber sie viele wissenschaftliche Beiträge geschrieben hat: gleiche Rechte für Männer und Frauen auch in der Kirche.

Ein anderes Frauenbild

Klar, dass Famos und Graesslé ein anderes Frauenbild vertreten als ihr Vorgänger Gottfried Locher, der wegen mutmasslicher Grenzverletzungen gegenüber kirchlichen Mitarbeiterinnen zurücktreten musste. Beide mögen sich nicht weiter zu den Vorfällen äussern, sind aber froh, dass die interne Kommission die Aufarbeitung des Skandals gut aufgegleist habe. Famos bestreitet entschieden, mit einem «Komplott von Frauen» Locher zu Fall gebracht zu haben.

«Calvin ist zweifellos in Glaubenssachen sehr streng gewesen, aber kein Diktator im modernen Sinne.»

Isabelle Graesslé, Theologin

Die beiden Frauen vertreten unterschiedliche Profile: Graesslé, zurzeit in der Nähe von Lausanne als Pfarrerin tätig, gilt eher als Intellektuelle. In der Deutschschweiz kennt man sie als frühere Direktorin des Internationalen Museums der Reformation in Genf. In den 90er-Jahren leitete sie die theologische Kommission des damaligen Kirchenbunds. Von 2001 bis 2004 war sie als erste Frau Moderatorin der Genfer Pfarrgesellschaft, eines von Calvin gegründeten Leitungsgremiums. Calvin, sagt sie, sei zweifellos in Glaubenssachen sehr streng gewesen, aber kein Diktator im modernen Sinne. Graesslé sieht sich eher als «reformiert» denn als «calvinistisch».

Rita Famos, einst Pfarrerin in Uster und Zürich-Enge, teils im Job-Sharing mit ihrem Mann, war auf praktisch allen kirchlichen Leitungsebenen tätig. Seit sieben Jahren Teil der operativen Leitung der Zürcher Kirche, führt sie die Abteilung Spezialseelsorge mit hundert Mitarbeiterinnen. Sie präsidierte die Arbeitsgemeinschaft der Christlichen Kirchen in der Schweiz. Von 2010 bis 2014 gehörte sie bereits zur Exekutive des damaligen Evangelischen Kirchenbunds. 2018 kandidierte sie überraschend für das Präsidium – «als Alternative zu Gottfried Locher», dem sie dann unterlag. Die Mutter von zwei erwachsenen Kindern sieht sich als emanzipierte und feministisch geprägte Frau. Sie betont, keiner Partei anzugehören – anders als ihr Mann Cla Famos, der FDP-Stadtrat in Uster ZH ist.

Zürich stärker als die Romandie

Bis jetzt ist Famos von keinem Journalisten der Westschweiz zu ihrer Kandidatur befragt worden. Zeichen dafür, dass die Konkurrenz von jenseits des Röstigrabens gefürchtet wird. Die von der Zürcher Kirche vorgeschlagene Theologin hat eine viel grössere Hausmacht als die von der Waadtländer Kirche portierte Graesslé. Die Zürcher Kirche allein hat 415’000 Mitglieder, während die gesamte Romandie nur 300’000 Reformierte zählt. Graesslé rechtfertigt den Anspruch der Welschen damit, dass diese in den letzten 34 Jahren das Präsidium den grossen Kirchen Bern und Zürich überlassen mussten. Kirchenpolitisch ist es offenbar kein Hindernis, dass Graesslé eine Französin ist. Seit 33 Jahren in der Schweiz lebend, lässt sich die Elsässerin erst jetzt einbürgern.

Als Präsidentin würde sie nach Bern ziehen, sagt Graesslé, die der EKS mehr Sichtbarkeit verschaffen und deren Schnittstelle mit der Gesellschaft deutlicher machen möchte. Sie sieht diese in einer Phase des epochalen Übergangs, ähnlich wie in der anbrechenden Neuzeit des 16. Jahrhunderts, was eine «Theologie des Übergangs» reflektieren müsse. Graesslé ist bekannt für ihre progressiven Positionen. Schon 2001, als die welschen Kirchen noch grosse Vorbehalte gegen die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare hatten, gab sie ein Buch über Kirche und Homosexualität heraus. Dezidiert stellt sie sich hinter die Konzernverantwortungsinitiative.

Rita Famos ihrerseits ist stolz, «dass die kirchlichen Hilfswerke geholfen haben, die Konzernverantwortung aufs politische Parkett zu bringen». Als EKS-Präsidentin möchte sie im Rahmen von Gesprächssynoden aktuelle theologischen Themen zur Diskussion stellen: etwa zu den Auswirkungen des liberalisierten assistierten Suizids auf die Seelsorge, zur Umsetzung der Ehe für alle in eine Trauung für alle, oder wie die Kirche das religiöse Desinteresse der Jugend auffangen kann.