Zugschubser vor ObergerichtStimmen im Kopf liessen ihn eine Frau aufs Gleis stossen
Das Obergericht verhandelt ab Dienstag die Tat eines jungen Eritreers. Eine Ärztin wäre seinetwegen fast vom Zug überrollt worden. Er bittet um eine letzte Chance.
Es war eine schockierende Tat, die sich im Mai 2021 im Zürcher HB zugetragen hatte. Ein heute 30-jähriger Mann aus Eritrea hatte damals eine Frau während der Einfahrt eines Zugs auf die Gleise gestossen. Die Frau wurden dabei nur leicht verletzt, mehrere Passanten hatten ihr wieder auf das Perron geholfen. Der Lokomotivführer hatte zudem eine Notbremsung eingeleitet.
Am Dienstag stand der Mann deshalb in zweiter Instanz vor dem Obergericht. Er gab zu, die Frau auf die Geleise gestossen zu haben. Er habe auf Stimmen in seinem Kopf gehört, sagte der psychisch kranke Mann dem Richter. Ihm sei nicht bewusst gewesen, dass ein Zug einfahre, hielt der Beschuldigte zudem fest.
Die Stimmen hätten ihm Befehle gegeben, er sei sehr gestresst gewesen. Zuvor sei er in Genf gewesen, wo er bei diversen Botschaften «reklamiert» habe, auch auf Befehl der Stimmen im Kopf. Er habe niemanden verletzen wollen, die Frau sei zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen – ein Zufallsopfer. Gutachter hatten beim Beschuldigten eine paranoide Schizophrenie und eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert.
In erster Instanz vor einem Jahr sah der Richter eine versuchte Tötung als erwiesen an. Die Frau hätte überrollt werden können, auch wenn der Zug nur mit 10 Kilometern pro Stunde unterwegs gewesen sei. Das Bezirksgericht hatte den Eritreer im November 2022 für dieses und weitere Delikte zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten sowie zu einer Geldstrafe und einer Busse verurteilt. Die Freiheitsstrafe wurde wegen der Krankheit zugunsten einer stationären Massnahme aufgeschoben.
Vor Obergericht stritt der Verteidiger den Vorwurf der versuchten Tötung ab, wie er es bereits vor dem Bezirksgericht getan hatte. Er sagte, sein Mandant habe die Frau nicht bewusst vor den Zug gestossen. Dieser sei noch genügend weit entfernt gewesen und habe eine Vollbremsung einleiten können. Beim Strafmass sei zudem zu wenig beachtet worden, dass sein Mandant an einer psychischen Störung leide und fast vollkommen schuldunfähig sei.
Gräueltaten erlebt
Zum Urteil wäre noch eine Landesverweisung von acht Jahren gekommen. Doch diese wurde bisher noch nicht erwirkt. Der Verteidiger und der Beschuldigte lehnten diese Strafe vor Obergericht erneut ab.
Der 30-Jährige sei in Eritrea gefährdet, als Deserteur und Geflüchteter, sagte der Verteidiger. Vor Gericht erzählte der Beschuldigte, er habe Gräueltaten miterleben müssen.
Schon als 11-Jähriger sei er ins Gefängnis gesteckt worden, mit 13 Jahren habe ihn das Militär eingezogen. Er habe mitansehen müssen, wie Kollegen getötet worden seien, und sei im Gefängnis gefoltert worden. Bis 2014 sei er im Militär gewesen. Seit 2016 lebt er in der Schweiz.
Für den Verteidiger war klar, dass sein Mandant aufgrund der Vorgeschichte ein Härtefall ist. Er mache zudem Fortschritte in der Klinik. Mit der richtigen Betreuung und Medikation für seine paranoide Schizophrenie stelle er keine Gefahr dar.
Bitte um letzte Chance
Neben dem Vorwurf der versuchten Tötung werden dem 30-Jährigen diverse andere Delikte zur Last gelegt. So soll er fahrlässig ein Feuer in seinem Zimmer entfacht und einen Gottesdienst gestört haben.
Er habe wegen seiner Krankheit so gehandelt, liess der Beschuldigte übersetzen. «Heute weiss ich, wie schlimm das für andere gewesen sein muss. Dafür will ich mich entschuldigen», sagte er. Die Richter bat er um eine letzte Chance, um in der Schweiz bleiben zu können.
Die Richter kamen am Dienstag nicht mehr dazu, ein Urteil zu fällen. Es dürfte im Januar mündlich eröffnet werden.
SDA/ema
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