Messerattacke in LuganoMutmassliche Attentäterin wurde 2017 an syrischer Grenze gestoppt
Die 28-jährige Schweizer Konvertitin hatte sich in einen jihadistischen Kämpfer verliebt. Nach der Rückreise in die Schweiz wurde sie in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen.
Bereits vor rund drei Jahren tauchte die mutmassliche Attentäterin, die in einem Warenhaus in Lugano gestern zwei Frauen verletzte, auf dem Radar der Polizei auf. Gemäss der Bundeskriminalpolizei Fedpol versuchte die Frau damals, nach Syrien zu reisen, nachdem sie sich über soziale Medien in einen Mann, einen jihadistischen Kämpfer, verliebt hatte. An der türkisch-syrischen Grenze wurde sie jedoch von der Türkei angehalten und zurück in die Schweiz geschickt, teilte das Fedpol am Dienstag auf Twitter mit.
«Es gab polizeiliche Ermittlungen», erklärte auch Fedpol-Sprecherin Cathy Maret auf Anfrage. Die Bundesanwaltschaft bestätigt, «dass sie im Zusammenhang mit einem vorhergehenden Auslandaufenthalt der verhafteten Person im März 2018 einen Ermittlungsbericht von Fedpol erhalten hat». Darin seien aber keine strafbaren Handlungen aufgezeigt worden. Mangels Tatverdacht eröffnete die Bundesanwaltschaft kein Strafverfahren.
Die Frau soll damals gemäss Fedpol an psychischen Problemen gelitten haben und nach ihrer Ankunft in der Schweiz in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen worden sein. Seit 2017 sei die Person nicht mehr in Ermittlungen mit terroristischem Hintergrund aufgetaucht.
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Am Dienstag nach 14 Uhr lancierte die 28-jährige Schweizer Konvertitin im Luganeser Manor, einem der bekanntesten Läden im Tessin, ihren Angriff (lesen Sie hier, wie Lugano zum Islamisten-Hotspot der Schweiz wurde). Sie packte eine Frau an der Kehle, eine andere verletzte sie schwer am Hals mit einem Messer. Das Opfer befindet sich laut Angaben der Polizei aber ausser Lebensgefahr. Die Täterin wurde von einem beherzten Paar schnell gestoppt und später von der Polizei verhaftet. Norman Gobbi, Tessiner Staatsrat, dankte dem herbeigeeilten Paar bei einer improvisierten Pressekonferenz für das mutige Eingreifen, mit dem möglicherweise weiteres Blutvergiessen verhindert worden sei.
Eine Zeugin sprach gegenüber dem italienischsprachigen Radio- und Fernsehsender RSI von einer «schrecklichen Szene». Sie habe einen Knall gehört, als sie den fünften Stock des Manor-Warenhauses betrat, sagte die Frau. «Ich drehte mich um und sah zwei Frauen am Boden.»
Zuerst habe sie gedacht, es handle sich um einen Streit. Dann habe sie aber bemerkt, dass eine der Frauen stark blute und die andere ein «riesiges Messer» habe, das offenbar aus dem Warenhaus gestammt habe. «Die Frau auf dem Boden schrie und versuchte mit beiden Armen, sich zu verteidigen.» Dann habe die Angreiferin von ihr abgelassen und sei auf eine Verkäuferin losgegangen. Gemäss dem Newsportal Tio.ch soll die mutmassliche Täterin «sono dell'Isis» (dt.: «Ich bin vom Isis») gerufen haben.
Parallelen zu Tat in Morges
Die Tatumstände sind noch ziemlich unklar. Nicoletta della Valle, Chefin des Bundesamts für Polizei (Fedpol), meinte, es sei noch zu früh, um Schlussfolgerungen zu ziehen. Sie verglich die Tat aber mit der Messerattacke eines Islamisten in Morges VD, bei der im September ein Mann zu Tode kam.
Der Angriff in Lugano habe sie nicht überrascht, sagte della Valle bei der Pressekonferenz in Bellinzona über einen Videolink. Solche Taten gebe es überall auf der Welt. Das Fedpol vermutet einen terroristischen Hintergrund, ebenso wie beim Mord in Morges. Sollte sich dies bestätigen, hätte die Schweiz innerhalb weniger Wochen zwei islamistische Terrorattentate erlebt.
Die Gefahrenlage in der Schweiz verändert dieses Attentat jedoch voraussichtlich nicht. Wie der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) mitteilt, bleibt die Terrorbedrohung erhöht. «Dem NDB liegen derzeit keine Hinweise auf konkrete Anschlagsplanungen in der Schweiz vor», heisst es vonseiten der Behörde. Die Terrorbedrohung in der Schweiz ist seit 2015 erhöht.
Der NDB warnt hingegen vor «kurzfristig radikalisierten oder psychisch instabilen» Nachahmungstätern sowie Vergeltungsaktionen durch «gewalttätige Rechtsextreme». Eine Herausforderung seien insbesondere die Radikalisierung in Gefängnissen und der Umgang mit radikalisierten Haftentlassenen. In der Schweiz hat der NDB Kenntnis von rund 50 Personen, die sich entweder im Gefängnis radikalisiert haben oder wegen Straftaten im Zusammenhang mit Terrorismus rechtskräftig verurteilt wurden.
Den Behörden bekannt
Bei der Täterin von Lugano handelt es sich laut Recherchen dieser Zeitung um eine radikalisierte Konvertitin mit einem im Nahen Osten und im Maghreb gebräuchlichen Nachnamen. Sie lebt in der Region Lugano und war den Behörden bekannt. Die Bundesanwaltschaft, die auch für Terrorismus zuständig ist, hat inzwischen ein Strafverfahren gegen die Frau eröffnet.
Wie bei der möglicherweise ähnlich gelagerten Tat in Morges werden die Ermittler zu prüfen haben, aus welchem Motiv die 28-Jährige gehandelt hat und ob es Mitwisser oder gar Mittäter gab. In Morges handelte es sich um einen Täter mit psychischen Problemen, der zuvor schon auf stümperhafte Weise versucht hatte, eine Tankstelle in Brand zu stecken und dabei gescheitert war.
Österreich an der Seite der Schweiz
Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz verurteilte das «islamistische Terrorattentat» von Lugano auf Twitter und drückte sein Mitgefühl aus. Österreich stehe in diesen schwierigen Stunden an der Seite der Schweiz. Zusammen werde man den islamistischen Terrorismus bekämpfen. In Wien hatte ein IS-Terrorist Anfang November vier Personen auf offener Strasse erschossen. Er selber wurde von der Polizei getötet. Zwei Islamisten aus Winterthur hatten den Attentäter noch im Sommer in Wien besucht. Die beiden wurden kurz nach dem Attentat verhaftet. Die Ermittler beider Länder arbeiten in diesem Fall eng zusammen.
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Ob es bei der Tat von Lugano ebenfalls Verbindungen zur islamistischen Szene in anderen Landesteilen oder im Ausland gibt, ist noch unbekannt. Beim Attentat von Morges deutete am Anfang vieles auf einen Einzeltäter hin, doch vermuten Ermittler inzwischen, dass es möglicherweise einen Mitwisser gab. Bei den meisten «einsamen Wölfen» stellt sich mit der Zeit heraus, dass sie in eine entsprechend radikalisierte Szene eingebettet waren. Dass Frauen Terrorattentate verüben, ist ebenfalls nicht ungewöhnlich.
«Als Terroristinnen sind Frauen dem IS gut genug»
Es gehöre sehr wohl zum IS, dass Frauen eine wichtige Rolle als Terroristinnen spielten, meinte die Islamismus-Expertin Saïda Keller-Messahli im Interview mit «20 Minuten». «Als Terroristinnen sind die Frauen dem IS wieder gut genug.» Die Expertin vermutet, dass es sich bei der mutmasslichen Täterin um eine (unfreiwillige) Konvertitin gehandelt haben könnte: «Hat sie einen erzkonservativen muslimischen Mann geheiratet, kann davon ausgegangen werden, dass sie zum Islam konvertieren musste und dass er sie radikalisiert hat. Solche Profile gibt es zuhauf.»
Von der Schweiz erwartet Keller-Messahli mehr Einsatz im Kampf gegen Terrorismus. «Die Politik muss sich überlegen, wie vorzugehen ist, um künftig zu verhindern, dass undemokratische Länder – im Namen der Religionsfreiheit, die sie bekämpfen – uns ihren politischen Islam, der nur Hass und Intoleranz verbreitet, aufzwingen», sagte die 63-Jährige. Als Vorbilder nennt die Expertin Länder wie Frankreich und Österreich, die ihrer Meinung nach strenger gegen politischen Islam vorgehen.
Der Islamische Zentralrat der Schweiz (IZRS) verurteilte die Tat in einem Communiqué, warnte aber vor «voreiligen Schlüssen und Reaktionismus». «Es ist darauf hinzuweisen, dass auch unter muslimischen Tatverdächtigen (…) psychische Erkrankungen nicht weniger häufig auftreten, als dies bei allen anderen Menschen der Fall ist.» Letztlich hätte also nicht die mutmassliche IS-Affinität, sondern «eine akute oder latente psychische Erkrankung bzw. ein anderes Motiv wie Habgier, Hass oder Eifersucht» die Frau zur Tat bewegen können.
Mitarbeit: Sven Hoti
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