Zwei Bücher über die Berner BandSeit 40 Jahren ist Züri West «e Maschine, wo louft und louft»
1000 Seiten Bandgeschichte: Züri West veröffentlicht zwei dicke Bücher mit Fotografien und Songtexten.

- Züri West veröffentlichen zwei Bildbände über die Bandgeschichte mit allen Songtexten und 1200 Fotografien.
- Die Zukunft der Berner Band ist nach Erkrankung des Frontmanns unsicher. Das letzte Konzert ist sechs Jahre her. 2023 erschien die CD «Loch dür Zyt»
- Frontmann und Texter Kuno Lauener interessiert sich in seinen Texten immer wieder für Zwischenmenschliches und die Abgründe des Alltags.
- Wir haben sieben eher weniger bekannte Songtexte Laueners aus allen Schaffensphasen ausgewählt, um dem Meister der Verknappung und der starken Bilder auf die Spur zu kommen.
Vor einem Jahr, im Dezember 2023, haben Züri West ihre 16. CD «Loch dür Zyt» herausgebracht. Gleichzeitig erschien der sechsteilige Podcast «8424 Züri West», der in sechs Episoden die 40 Jahre umfassende Bandgeschichte aufrollte. Jetzt, ein Jahr später, legt die Berner Band nach mit einem Paket voller Bilder und Texte, das fast fünf Kilo wiegt.
Es ist eine zweiteilige Bandgeschichte in über 1200 Fotografien – Konzert- und Bandbilder, Aufnahmen aus der Garderobe und aus dem Studio – und mit allen Songtexten von Frontmann Kuno Lauener aus vier Jahrzehnten.

Mit den beiden Büchern im Schuber wird am Vermächtnis der Band gearbeitet, der Blick geht in die Vergangenheit, derweil die Zukunft der Band ungewiss ist. Vor gut sechs Jahren, am 15. September 2018 in Stäfa, standen Züri West zum bisher letzten Mal auf der Bühne. Ein Jahr zuvor, einen Tag vor dem umjubelten Auftritt am Gurten-Festival 2017, hatte Frontmann Lauener die Diagnose «multiple Sklerose» erhalten.
Im zweiten, mit dem launig-verspielten Titel «Klauener» versehenen Band sind die Songtexte in klassischer Schreibmaschinenschrift gesetzt und reich illustriert mit Zeichnungen und Collagen von Kuno Lauener.

Kuno Lauener hat sich nie als Chronist des Politischen verstanden und war immer mehr an den feinstofflichen Territorien des Zwischenmenschlichen, am Abgründigen auch interessiert. Wir haben sieben Songtexte ausgewählt und dabei bewusst auf Hits wie «I schänke dir mis Härz» (1994) oder «Mojito» (1999) verzichtet. Auch in der nachfolgenden Auswahl mit Songs des Beobachtungskünstlers ist alles vorhanden: seine Kunst der Verknappung und Rhythmisierung, die lieber auf Wiederholung setzt als auf Verwässerung der Essenz, das Spiel mit Reimen und Gleichklängen, der Einsatz von starken Bildern und Metaphern.
«Züri West» – Loch dür Zyt (Demos, 1984)

«Mir frässe üs es Loch dür d Zyt / mit üsem Tag für Tag.» Als gerade einmal 22-Jähriger schrieb Kuno Lauener im Frühling 1983 den Song mit dem Titel «Züri West», als es die Band dieses Namens noch gar nicht gab. Der Song wurde in den damals noch jungen Lokalradios oft gespielt und zu einem unverhofften Renner. Einer steht in Bern am Fenster, während «d Sunne grad im Meer versinkt». Ein Stimmungsbild wird entworfen mit falschen Träumen, diffusem Fernweh, Schein und Sein («Modeschou uf em Bäreplatz») und einem leichten Frösteln auch im heissen Sommer. Fast vier Jahrzehnte später hat Lauener den Text, den er in seinen frühen Zwanzigern schrieb, überarbeitet und aktualisiert (siehe unten).
«Wenn i nid drbii bi» (Sport und Musik, 1987)

Auf dem Debütalbum wird die Ballade «7:7» ein Hit, mit der Matter-Adaption «Dynamit» und mit «Hansdampf» positioniert sich die Band als musikalischer Teil der Jugendbewegung, in «Wenn i nid drbii bi» ist die Ich-Figur ein scheinbar unwiderstehlicher Platzhirsch, dem alle Frauen zu Füssen liegen. Lauener thematisiert Schattenseiten des Ruhms und spielt diese Vorstellungen, an einen anonymen Adressaten gewandt, von Sex, Drugs und Rock ’n’ Roll ebenso selbstironisch wie genüsslich durch: «Säg emau, bisch niidisch uf mi / I gloube fasch, du liidisch e chli.» Ein besonders raffinierter Kniff besteht darin, dass sich sogar das personifizierte Glück vor diesem tollen Hecht in den Staub legt: «Ligt das Glück am Bode u winslet, wüu äs weiss / dass es nume mi git.» Hier muss sich eine Projektionsfigur mit Typen herumschlagen, die sich einer intimen Nähe zum Star brüsten: «U du weisch so viu, du weisch no meh aus i / ds verzeue über mi – wenn i nid drbii bi.»
«Prinz» (Züri West, 1994)

Die Platin-Platte der Superlative hatte mit «I schänke dir mis Härz» einen Song, der vom Publikum als Liebeslied missverstanden wurde, obwohl es sich eigentlich um eine himmeltraurige Geschichte im Milieu käuflicher Liebe handelte. In «Prinz» wird dagegen ein vergleichsweise realistisches Liebeskonzept vertreten. In einer Kneipe erteilt der Sprecher einem Gegenüber, das offensichtlich gerade von seiner grossen Liebe verlassen worden ist, ziemlich konkrete Lektionen in Endlichkeit, Vergänglichkeit und darin, dass alles immer in Veränderung begriffen ist: «D Schtifu wo du dinne steisch, si irgendwenn e Chue gsii / u d Fläsche uf em Tisch isch vorhär 17 Jahr zu gsii.» Die ersten vier Zeilen enden allesamt auf «gsii» – eine unbarmherzige Aufzählung, mit dem rhetorischen Mittel der Epipher, bei der die Zeilen mit dem gleichen Wort enden. Eine überwältigende Liste wird hier angeführt für die Einsicht, dass nichts für immer ist und dennoch das (private) Glück keine Illusion sein muss: «We d’e Prinz wosch, muesch haut villech zersch no zwe, drei Frösche küsse.»
«Mittufinger» (Hoover Jam, 1996)

Der Songtitel evoziert den Stinkefinger, eine dezidierte Absage an jemanden, eine Grenzziehung mit der Botschaft: «Du kannst mich mal.» Doch der Mittelfinger wird hier zu einer Chiffre nicht für Auflehnung oder Wut, sondern für das Gegenteil: Resignation und Eskapismus. Eine Beziehung liegt in den letzten Zügen, man hat sich nichts mehr zu sagen. Hier ist es eine Frau, die jeden Sonntagabend im Fernsehen eine Soap-Opera schaut; sie ist mit allen Figuren dort vertrauter als mit realen Menschen oder mit dem namenlosen Mann neben ihr: «Är het d Scheiche uf em Tischli und sie chnüblet am ne Hütli / näbem Mittufingernagu ume.» Es hat pfiffige Binnenreime in diesem Text («u sie kennt aui Zämehäng wie ihri Vorhäng»), und auch das rhetorische Stilmittel von Alliteration und Assonanz setzt Lauener gekonnt ein, um mit dem Gleichklang der Vokale das Einerlei der Soap-Dramaturgie formal abzubilden. Ziemlich unübersichtlich ist nämlich, «wär scho mit wäm u weli nümm u wele weli früecher mau».
«Aues vo mir» (Super 8, 1999)

Im Beziehungskosmos wird weiter an der Eskalationsschraube gedreht: «Aues vo mir» ist ein kurzer Text über bedingungslose Liebe oder, je nach Blickpunkt, auch über Abhängigkeit und Unterwerfung. Das vampiristische Motiv mit dem Blutegel oder der Fledermaus weist schon auf das Toxische dieser von Selbsterniedrigung und Unterwerfung geprägten Beziehung: «I bi grüen, i bi blau, i bi schwach und dumm.» Die gewählte Farbpalette verweist auch auf körperliche Gewalt. Die Redewendung «ds Schwänzli wädlet mit em Hung» beschreibt eine Situation, in der eine Person von jemandem kontrolliert wird, der eigentlich viel weniger mächtig ist. Und doch ist die Figur nicht wehrlos, sie stellt Fragen zum Absolutheitsanspruch, der hier erhoben wird: «U säg wie lang sich für immer u wie / glii isch jitz oder nie.»
«Krieg und Frieda (Havarie 1)» (Haubi Songs, 2008)

Die Anspielung im Titel auf den grossen historischen Roman von Leo Tolstoi wird mit dem Klammerzusatz «Havarie 1» auf die Beziehungsebene heruntergebrochen. Kleinere Havarien, also eigentlich durch einen Unfall verursachte Schäden an Schiffen und Flugzeugen, führen dazu, dass dieses Paar nicht mehr zum Fliegen kommt; es läuft andauernd auf Grund. Dieser Text wirkt wie ein pessimistisches Konzentrat vieler Beziehungssongs von Züri West (es gibt auch andere Beispiele). Grossartig, wie Lauener die Abnutzung und Ernüchterung in dieser Beziehung mit dem umgedrehten Gebrauch von Maske und Gesicht zeigt. Sie zeigen einander nicht die wahren Gesichter, vielmehr wird das Gesicht im Laufe der Zeit maskenhaft, «e regigslosi Schicht /mit dir drhinger».
«Loch dür Zyt» (Loch dür Zyt, 2023)

Nach fast vierzig Jahren hat Kuno Lauener den Songtext «Züri West» von 1983 wieder hervorgenommen, umgeschrieben und unter dem Titel «Loch dür Zyt» aktualisiert. Das Selbstporträt des jungen Mannes weicht dem des Mannes an der Schwelle zum Alter. In vier Jahrzehnten sind Lebenserfahrung, Erfolge, Niederlagen, Schicksalsschläge dazugekommen. «Es ewigs Uf und Ab» ist es immer noch, immer noch gibt es das Gefühl, «mänge Zug verpasst» zu haben, immer noch liegt man in der Nacht schlaflos im Bett, «irgend es Gwüsse, wo mi plagt». Die Sonne versinkt immer noch im Meer, «wenn i z Bärn am Fänschter stah». Alles Überflüssige, Zeitbedingte aus der ersten Version wird weggelassen. Das einsame Herz schmerzt nicht mehr, es «chlopfet u chlopfet» dafür: immer noch in Erwartung, immer noch am Leben, immer noch mit Herzklopfen.
Züri West: «40 Jahre Züri West», zwei Bände im Schuber. Wigra Sound Service, 2024. 156 Fr.
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