Aus dem Zürcher Obergericht Eskalierte der Erbstreit in einem Brandanschlag?
Ihr Bruder hat im Keller ihres Hauses Feuer gelegt. Davon ist die 75-jährige Frau fest überzeugt. Das Obergericht konnte sich dieser Überzeugung nicht anschliessen.
Es ist ein Sonntag im Februar 2018, kurz nach vier Uhr morgens, als eine Zeitungsverträgerin einen Brand im Keller einer Liegenschaft im Stadtzürcher Friesenbergquartier entdeckt. Das dort wohnende Ehepaar, heute 75 und 67 Jahre alt, kann sich geschockt, aber unverletzt, rechtzeitig ins Freie retten.
Die alarmierte Feuerwehr kann Schlimmeres verhindern. Der verursachte Schaden ist nicht beziffert. Laut Anklage entstand durch Feuer, Rauch und Russ eine «sehr erhebliche, aber nicht genau quantifizierbare Einwirkung resp. Substanzveränderung resp. Beschädigung» diverser Gegenstände und Hausteile.
Diverse Indizien, aber keine Beweise
Wie sich das Ganze abgespielt hat, bleibt unklar. Über sechs Jahre nach dieser Februarnacht, nach mehreren Beschwerdeverfahren und insbesondere zwei Strafprozessen scheint immerhin festzustehen: Mit einem Hammer wurde die Kellerscheibe eingeschlagen. Dann wurden «auf nicht bekannte Art und Weise» die dort lagernden Papiertaschen, Kartonschachteln, Zeitschriften und Bücher in Brand gesetzt.
Wer dafür verantwortlich ist, war dem in der Liegenschaft wohnenden Ehepaar schnell klar: Es muss der Bruder der 75-jährigen Frau gewesen sein. Für die Täterschaft des bald 70-Jährigen gibt es keinen einzigen direkten Personen- oder Sachbeweis. Aber diverse Indizien schienen diesen Verdacht zu erhärten.
Vier gewichtige Indizien
Erstes Indiz: Am Hammer, der am Tatort zurückgelassen wurde, fand man die DNA des Bruders. Problem: Der Bruder hat einen Zwillingsbruder, der als Spurengeber auch nicht ausgeschlossen werden kann. Zudem wimmelt es im beruflichen Umfeld des Beschuldigten von Hämmern, zu denen eine Vielzahl von Personen Zugriff haben. Und: Wer ist so blöd und lässt das Tatwerkzeug am Tatort zurück?
Zweites Indiz: Eine zur Tatzeit vorbeikommende Zeitungsverträgerin, dank der die Feuerwehr schnell aufgeboten und grösserer Schaden verhindert werden konnte, sieht einen Geländewagen mit einem tiefen Autokennzeichen davonbrausen, in dem ein älterer Mann sitzt. Problem: Zwar besitzt der Beschuldigte ein solches Fahrzeug. Doch die Frau kann ihn Jahre später auf Fotos nicht identifizieren. Und: Eine direkte Gegenüberstellung gab es nie.
Jahrelanger erbitterter Streit
Drittes Indiz: Der Beschuldigte hatte einen Tag nach dem Brandanschlag unter anderem eine Brandverletzung an der Hand. Problem: Er sagt, die Verletzungen stammten von einem Schweissunfall. Ein Gutachten und die ihn behandelnden Ärzte bestätigen, dass die kreisrunden Narben an den Händen tatsächlich von einem solchen Unfall stammen können. Und: Bei einem Abendessen mit Freunden, am Vorabend des Brandanschlags, sei der Schweissunfall Thema gewesen.
Viertes Indiz: Zwischen dem Beschuldigten und seiner Schwester herrscht seit dem Tod des Vaters vor fast zwanzig Jahren ein erbitterter Erbschaftsstreit. Es geht um sehr viel Geld. Gerichtsurteile füllen Hunderte von Seiten, allein die Gerichtsgebühr eines einzigen Urteils, das fast 400 Seiten dick ist, beläuft sich auf über zwei Millionen Franken. Der Brandanschlag sei ein Racheakt, weil die Schwester dafür gesorgt habe, dass der Beschuldigte aus einer Organisation, die hier nicht näher beschrieben werden soll, hinausgedrängt wurde.
«Im Zweifel für den Beschuldigten»
Das Obergericht kam zum gleichen Schluss wie bereits das Bezirksgericht. Es sprach den bald 70-Jährigen nach dem Grundsatz «im Zweifel für den Beschuldigten» von Schuld und Strafe frei. Jedes Indiz sei letztlich unklar geblieben. Und auch das Gesamtbild aller Indizien könne «rechtserhebliche Zweifel» an der Täterschaft des Beschuldigten nicht beseitigen.
Der Unternehmer erhält für seine Verteidigung eine Entschädigung von gut 80’000 Franken. Dafür muss der Steuerzahler aufkommen. Zynisch betrachtet, müsste man ergänzen: Ein Mehrfaches davon, nämlich Millionenbeträge in Form von Gerichtsgebühren, fliessen in die Staatskasse wieder zurück, wenn der Erbschaftsstreit noch länger vor Gericht ausgetragen wird.
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