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Mindestlohn in Zürich
Zürcher Linke feiert «historischen» Entscheid – doch es gibt ein Problem

Schluss mit Hungerlohn: Mit jeweils überwältigender Mehrheit haben die Städte Zürich und Winterthur einen Mindestlohn eingeführt.
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Stadtrat Raphael Golta ist zufrieden. SP-Co-Präsident Oliver Heimgarter ist zufrieden. Und sehr viele Zürcherinnen und Zürcher sind zufrieden.

«Es ist ein schöner Erfolg», sagt Golta, während er am Sonntagabend in einer hohen Halle des Stadthauses vor sich hinschwitzt. «Einer, bei dem die Stadt kein Geld dazuschiessen muss.» 

Mit jeweils überwältigender Mehrheit haben die Städte Zürich und Winterthur einen städtischen Mindestlohn eingeführt. Leute, die in Zürich arbeiten, werden künftig mindestens 23.90 Franken pro Stunde verdienen. 69,4 Prozent der Stadtbevölkerung stimmten dem am Sonntag zu, die Stimmbeteiligung lag bei 46,8 Prozent.

In Winterthur gilt neu ein Mindestlohn von 23 Franken pro Stunde. Das haben die Winterthurer mit 65,5 Prozent Ja-Stimmen beschlossen.

Stadtrat Golta erklärt sich die hohe Zustimmung mit einem zentralen Argument der Gegner: «Es hiess immer, Mindestlöhne machten nur lokal Sinn, weil die Lebenskosten überall verschieden seien. Hier haben wir unsere lokale Lösung.» 

Die SP ist in Feierlaune

Obwohl schon fünf Kantone einen Mindestlohn kennen, sind die Entscheide in Zürich und Winterthur ein Novum. Bisher gab es nämlich nur kantonale Mindestlöhne. 

Dass nun zwei Städte einen Mindestlohn einführen, ist auch Oliver Heimgartner zu verdanken. Der Co-Präsident der Stadtzürcher SP ist «mega zufrieden» mit dem Resultat. «Es ist mega mega cool, dass uns die Zürcher Bevölkerung gefolgt ist», sagt Heimgartner euphorisch. «Ich freue mich vor allem für die rund 20’000 Betroffenen, die 2024 eine Lohnerhöhung bekommen werden.» 

Tatsächlich soll der Mindestlohn bereits im Januar kommenden Jahres in Kraft treten. Oder eher: sollte. Denn es gibt ein Problem. Der Gewerbeverband der Stadt Zürich hat beim Zürcher Bezirksrat im April einen Rekurs gegen den kommunalen Mindestlohn eingereicht. Dieser stellt die rechtliche Zulässigkeit der Vorlage infrage.

SP-Co-Präsident Oliver Heimgartner glaubt, dass der Gewerbeverband die Einführung des Mindestlohns nur verzögern möchte.

«Es kann sein, dass der Rekurs die Einführung des Mindestlohns verzögert», gibt Heimgartner zu. «Aber der Rechtsstreit wird chancenlos sein.» Das Komitee, welches die städtischen Initiativen lanciert hat, habe im Vorfeld ein Gutachten bei zwei Rechtsprofessoren an der Universität St. Gallen in Auftrag gegeben, um genau diese Frage zu klären. Zusätzlich hat der Staatsrechtler Felix Uhlmann ein Gutachten im Auftrag der Städte Zürich und Winterthur erstellt. Beide Gutachten kamen zum Schluss, dass Mindestlöhne auf kommunaler Ebene zulässig seien.

«Ich glaube, es geht dem Gewerbeverband nur darum, die Einführung zu verzögern», sagt Heimgartner. «Und das ist kein guter Stil.»

Gewerbeverband hält am Rekurs fest

Tatsächlich ist der Rekurs immer noch hängig. Der Bezirksrat wollte erst nach der Abstimmung darüber entscheiden.

Trotz der hohen Zustimmung der Stadtzürcher will Nicole Barandun, Präsidentin des Gewerbeverbandes und Co-Präsidentin von Die Mitte Zürich, am Rekurs festhalten. «Nur weil das Volk etwas gut findet, sagt es nichts darüber aus, ob es auch rechtens ist», sagt Barandun,

Nicole Barandun, Präsidentin des Gewerbeverbandes und Mitte-Politikerin, sagt, es gehe ihr «ums Prinzip».

Man wolle mit dem Rekurs keine demokratischen Entscheide verhindern, versichert sie. «Aber es geht hier ums Prinzip. Wenn das Gericht sagt, der Mindestlohn ist zulässig, dann ist das eben so.»

Barandun, die mit ihrem Gewerbeverband vor allem Handwerker und Kleinunternehmer vertritt, stört sich vor allem an den zusätzlichen Kontrollen, den der Mindestlohn mitbringen wird. «Wer ist denn bitte zuständig, wenn eine Firma aus Dietikon in Zürich arbeitet?», fragt sie.

Und Barandun sieht noch ein anderes Problem: Momentan würden die Löhne alle aufs Mal erhöht werden müssen – und zwar nicht nur diejenigen unter 23.90 Franken. Barandun erwartet eine Kaskade an Lohnerhöhungen. «Wenn jemand nun mehr bekommt, will derjenige, der 23.90 Franken verdient hat, natürlich auch mehr.»

Trotzdem hofft sie, zusammen mit der Stadt klare Vorgaben für die Umsetzung aushandeln zu können. Zum Beispiel, dass Firmen, die einem Gesamtarbeitsvertrag unterstehen, der ohnehin einen höheren Mindestlohn vorschreibt, nicht zusätzlich von der Stadt kontrolliert werden müssen. «Sonst wird die Bürokratie zu einem grossen Problem.»

Alle Vorlagen in der Stadt Zürich wurden angenommen. Die zuständigen Stadträte sind zufrieden.

Es ist bemerkenswert, dass Städte in der nationalen Politik immer wichtiger werden. Eine Art Trendwende lässt sich beobachten: Was national scheitert, wird mittels regionaler Initiativen in jenen Kantonen eingeführt, die dafür gesellschaftlich bereit sind. So lange, bis der Trend wieder auf die nationale Politik überschwappt. Zuletzt konnte das bei der Transparenzinitiative beobachtet werden. 

Durch die Annahme des Mindestlohns in Zürich und Winterthur wird das Thema in Bundesbern wieder aktuell. National- und Ständerat haben Mitte Dezember des letzten Jahres einer Motion des Obwaldner Ständerats Erich Ettlin (Die Mitte) zugestimmt, welche die kantonalen Mindestlöhne kippen möchte zugunsten des Gesamtarbeitsvertrags. Nun ist es am Bundesrat, einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorzulegen. 

Bis ein solcher Entwurf da ist, dürfte es noch ein paar Jahre dauern. Und dann stellt sich die Frage, ob dieser rechtlich Bestand hat. Wäre eine Aushebelung des Mindestlohns doch ein Eingriff in die Souveränität der Kantone. Auch in diesem Fall dürften die Gerichte wieder Arbeit erhalten.