Verfütterung von ZootierenSoll die Giraffe als Löwenfutter enden? Ja, finden Forscher und Zoos
Überzählige Tiere im Zoo töten und verfüttern: Was eine internationale Forschergruppe unter Leitung der Universität Zürich empfiehlt, wird hierzulande schon umgesetzt.
- Forschende empfehlen Zoos, überzählige Tiere an Raubtiere zu verfüttern.
- Dadurch soll der Fleischbedarf der Zoos teilweise gedeckt werden.
- Zoos sollen Gäste über den natürlichen Lebenszyklus der Tiere informieren.
- Die Praxis wird teilweise bereits in Zoos in Zürich und Basel angewendet.
Man stelle sich folgendes Szenario vor: Im Zoo Zürich lebt ein reproduktionsfreudiges Giraffenpaar. Über die Jahre werden mehrere Giraffenjunge geboren. Die Tiere wachsen heran – unter den Augen von Tausenden Zoobesucherinnen und Zoobesuchern.
Irgendwann reicht aber der Platz nicht mehr aus im Gehege. Eines oder gleich mehrere der Tiere werden deshalb getötet und landen zerteilt als Futter in den Käfigen der Raubtiere.
Das Beispiel ist zwar, zumindest in der Schweiz, fiktiv. Allerdings hat eine Gruppe von Forschenden unter der Leitung der Universität Zürich nun eine Studie veröffentlicht, in der im Kern genau das empfohlen wird.
Unter dem Motto «Umdenken bei der Regulierung von Zoopopulationen» plädieren die Forschenden dafür, dass Zoos die Reproduktion ihrer Tiere nicht mehr mit Verhütungsmassnahmen kontrollieren sollen. Stattdessen soll eine «geplante und fachgerechte Tötung überzähliger Zootiere» stattfinden.
Bis zu 30 Prozent «Eigenfleisch» in Zoos möglich
«Fortpflanzung ist ein Grundbedürfnis von Tieren. Ohne Reproduktion wird ihnen einer ihrer wichtigsten evolutionären Antriebe genommen», sagt Marcus Clauss vom universitären Tierspital der Uni Zürich und Erstautor der Studie. Mit der Zeit würden die Zoopopulationen immer älter. Dies gefährde eines der Grundprinzipien von Zoos, nämlich die Erhaltung der eigenen Populationen.
Die Verfütterung von eigenen Tieren reduziere zudem den Fleischbedarf der Zoos. Dies helfe dabei, Kohlenstoffemissionen und den Bedarf an kommerziell geschlachtetem Vieh zu reduzieren. Bis zu 30 Prozent des Fleischs könnten Zoos in Deutschland aus der eigenen Einrichtung decken, so die Schätzung in der Studie.
«Wir halten dies für ein rationales und verantwortungsvolles Populationsmanagement. Zudem kann dieser Ansatz den Zoos dabei helfen, ihren Bildungsauftrag zu erfüllen», sagt Clauss weiter. Dieser bestehe eben nicht nur darin, den Besucherinnen und Besuchern das lebende Tier vorzuführen. Es gehe auch darum, das öffentliche Verständnis für den natürlichen Lebenszyklus von Tieren zu fördern. «Indem sie den Tod von Tieren an den Rand drängen, erhalten Zoos unrealistische Erwartungen an das Leben in der Wildnis aufrecht», erklärt Mitautor Andrew Abraham von der Universität Aarhus.
Dass die Tötung und Verfütterung von Zootieren bei den Besucherinnen und Besuchern auf breite Ablehnung oder gar Entsetzen stosse, glauben die Forschenden nicht. Es gebe Hinweise darauf, dass die öffentliche Meinung ausgewogener sei als in den Medien dargestellt. «Zoos haben die Verantwortung, ihre Gäste über die Realitäten von Leben und Tod in der Tierhaltung aufzuklären», sagt Marcus Clauss.
Erdmännchen als Hyänen-Futter
Wie reagieren die Exponenten der hiesigen Zoos auf die Empfehlungen in der Studie?
Gemäss Severin Dressen, Direktor des Zoos Zürich, ist die Verwendung von überzähligen Zootieren als Nahrung bereits heute gängige Praxis. Der Zoo informiere jeweils transparent darüber, welche Tiere auf diese Weise wieder der Nahrungskette zugeführt würden. Unlängst habe man beispielsweise Erdmännchen an Hyänen verfüttert.
Gemäss Dressen gilt es, dieses potenziell emotionale Thema rational zu betrachten. Die Populationskontrolle funktioniere im Zoo so wie überall sonst auch primär über drei Bereiche: Geburt, Tod und Migration. «Die Migration ist bei einer Zahl von knapp 300 Zoos im europäischen Zuchtprogramm aber sehr beschränkt», sagt Dressen.
Um eine gesunde Population zu erhalten, sei es daher sinnvoll, Nachzuchten zuzulassen und den Überschuss dann zu töten und zu verfüttern.
Dass das Töten von Zootieren auch negative Emotionen bei Besucherinnen und Besuchern auslöse, komme selten vor. «Wir stellen hier in der Schweiz fest, dass sich die Bevölkerung bei solchen Themen eine gewisse Naturverbundenheit erhalten hat und verständnisvoll reagiert», sagt Dressen.
Menge gegenüber Fleisch von Nutztieren vernachlässigbar
Ähnlich klingt es auf Anfrage auch beim Zoo Basel. Die Tötung und Verfütterung von sogenannten «Surplus»-Tieren werde seit je praktiziert, sagt Kommunikationschefin Corinne Moser.
2001 widmete der «Zolli» dem Nahrungskreislauf eine eigene Themenanlage. Im Etoscha-Haus stehe ausserdem das Thema «Fressen und Gefressenwerden» im Fokus. «Wir zeigen damit, dass die Natur keinen Abfall produziert», sagt Moser.
Sie betont aber auch, dass der Anteil an «Eigenfleisch» an der Gesamtmenge vernachlässigbar sei. Pro Jahr würden im Zoo Basel gemäss aktuellsten Zahlen mehr als zehn Tonnen Kuhfleisch verfüttert. Dazu kämen 1000 bis 2000 Hühner sowie 20 bis 25 Tiere wie Schafe oder Zwergschweine aus dem internen Nahrungskreislauf. «Je nach Tierbestand variieren die Angaben jedoch stark», sagt Moser.
Das liegt weit weg von der in der Studie genannten Zahl von 30 Prozent an Fleisch aus eigener Einrichtung. Um diese Zahl zu erreichen, müsste in den Zoos gezielt für die eigene Fleischproduktion gezüchtet werden. Dies ist heute noch nicht der Fall.
Gemäss Severin Dressen ist der Gedanke aber keineswegs abwegig. Denn: Dass es wesentlich nachhaltiger sei, «eigenes» Fleisch jenem von Nutztieren vorzuziehen, liege auf der Hand. Auch beim Tierwohl sei die Bilanz besser. «Eine Antilope im Zoo Zürich hat sicher ein besseres Leben als die Mehrzahl der für die Fleischindustrie gezüchteten Kühe.»
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