KomplementärmedizinZahl der Homöopathie-Konsultationen hat sich halbiert
Homöopathie ist seit 2012 über die Grundversicherung abgedeckt. Doch die Zahl der Arztbesuche sinkt stark. Auch die Traditionelle Chinesische Medizin ist rückläufig. Dies zeigt eine exklusive Auswertung.
Der Volkswille war deutlich: 2009 sprach sich eine Zweidrittelmehrheit für eine Besserstellung der Komplementärmedizin im Gesundheitswesen aus. Seit 2012 werden entsprechende Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung vergütet – anfänglich provisorisch, seit 2017 definitiv. Voraussetzung: Die Abrechnung erfolgt durch Medizinerinnen und Mediziner mit Weiterbildung in Komplementärmedizin.
Seither läuft eine erneute Abstimmung – und zwar mit den Füssen: Suchen die Menschen tatsächlich auch Komplementärmedizinerinnen und -mediziner auf? Es zeigt sich, der Wind hat sich gedreht: Von den vier Methoden Anthroposophie, Homöopathie, Phytotherapie und Traditionelle Chinesische Medizin (TCM), die in der Grundversicherung vergütet werden, ist die Zahl der Konsultationen bei zwei rückläufig, und das seit Jahren.
Besonders deutlich ist dies bei der Homöopathie. Dort hat sich die Zahl der Konsultationen bei ärztlichen Therapeuten innerhalb von acht Jahren mehr als halbiert. Das zeigen Daten des grossen Krankenversicherers Helsana, der diese exklusiv für diese Zeitung ausgewertet hat. Die Grössenordnung der Entwicklung dürfte sich auf die gesamte Schweiz übertragen lassen. Betroffen ist auch die Traditionelle Chinesische Medizin (inklusive Akupunktur). Hier betrug der Rückgang im gleichen Zeitraum rund 15 Prozent. Die Phytotherapie und die Anthroposophie befinden sich zwar im Aufwärtstrend, sind zahlenmässig aber eher eine Nische.
Aufbruchstimmung ist vorbei
Bereits früher in diesem Jahr hat eine Auswertung gezeigt, dass die Anzahl von Ärztinnen und Ärzten mit Fähigkeitsausweis in Homöopathie oder Chinesischer Medizin in ähnlichem Umfang rückläufig ist. Der Rückgang bei den Konsultationen könnte also auch eine Folge des sinkenden Angebots sein – oder eben umgekehrt: Die fehlende Nachfrage führt dazu, dass sich weniger Ärztinnen und Ärzte in Komplementärmedizin weiterbilden. Wahrscheinlich ist eine gegenseitige Beeinflussung.
Die Aufbruchstimmung nach der Volksabstimmung von 2009 sei verschwunden und die Ärzteschaft gegenüber der Komplementärmedizin kritischer geworden, sagte Anita Meyer, Präsidentin der Assoziation Schweizer Ärztegesellschaften für Akupunktur und Chinesische Medizin (ASA), bereits bei der ersten Auswertung. Auch an den Universitäten und den medizinischen Ausbildungsstätten habe die Skepsis gegenüber der Komplementärmedizin zugenommen. In der Bevölkerung und in den Medien wird insbesondere bei Homöopathie ebenfalls weniger leidenschaftlich gestritten als in früheren Jahren.
Von den Ärzten, die Homöopathie verschrieben haben, nutzten rund zwei Drittel die Präparate bewusst als Placebo.
Auch bei Ärztinnen und Ärzten ohne entsprechende Weiterbildung scheint die Komplementärmedizin nicht sehr stark verbreitet. In einer Befragung, die 2019 im Fachblatt «Swiss Medical Weekly» veröffentlicht wurde, nutzte nur jeder sechste Pädiater Homöopathie, TCM oder ähnliche Methoden. Dies, obwohl fast alle (97 Prozent) von den Eltern der Patienten danach gefragt werden. Die Werte dürften tiefer sein, da nur ein Drittel der angefragten 1890 Ärztinnen und Ärzte antwortete.
Im gleichen Fachblatt zeigte 2015 eine Befragung von 4000 niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten im Kanton Zürich, dass ein Viertel mindestens einmal pro Jahr homöopathische Mittel verschrieb. Dieser Anteil dürfte ebenfalls deutlich tiefer sein, da auch hier rund ein Drittel interessiert genug war, um zu antworten. Pikant: Von den Ärzten, die Homöopathie verschrieben haben, nutzten rund zwei Drittel die Präparate bewusst als Placebo.
Zunahme ausserhalb der Grundversicherung
Mit dem Rückgang ärztlicher Komplementärmedizin scheint eine Verschiebung zu den Naturheilpraktikerinnen und -praktikern stattzufinden. Diese nicht ärztlichen Therapeuten haben kein Medizinstudium und keinen Facharzttitel. Während sich ihre Anzahl bei Akupunktur und TCM in 15 Jahren fast verdoppelt hat, ist die Zunahme bei der Homöopathie mit zehn Prozent in 15 Jahren im Vergleich bescheiden.
Dies geht aus den Zahlen hervor, die das Erfahrungs-Medizinische Register (EMR) dieser Redaktion zur Verfügung gestellt hat. Wie häufig die Therapeutinnen und Therapeuten tatsächlich behandeln, geht aus diesen Zahlen nicht hervor.
Beim EMR können sich nicht ärztliche Therapeutinnen und Therapeuten kostenpflichtig zertifizieren lassen, wenn sie über entsprechende Ausbildungen verfügen und weitere Anforderungen erfüllen. Zumindest in der Tendenz dürfte die EMR-Statistik die schweizweite Entwicklung widerspiegeln. Die absoluten Zahlen gibt das EMR nicht bekannt. Bei den drei analysierten Bereichen bewegen sie sich im unteren vierstelligen Bereich.
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