Tierische EntspannungWo mein Hund lernte, Yoga zu machen
Mit einem vierbeinigen Wirbelwind zur Ruhe kommen? Das geht – und zwar mit Doga. Wie Mensch und Tier von der Mischung aus Hundetraining und Yoga profitieren, zeigt ein Selbstversuch.
Was für ein Auftritt! Es ist, als würde mein Jack Russell Terrier Argo mit seinem sirenenartigen Geheul den Yogaraum des Hotels Schweizerhof in Flims evakuieren wollen. 18 Augenpaare sind auf uns gerichtet – die tierischen taxieren meinen Rüden, mich mustern die menschlichen.
Bei aller Liebe, in diesem Augenblick hätte ich Argo gern verschenkt. Oder besser ausgetauscht – etwa gegen Oskar, den schwarzen Labradorrüden. Dieser hockt mit Halter Titus in einer Ecke. Seine Reaktion auf den exzentrischen Neuankömmling: Blick zum Herrchen, seufzend hinlegen. Das wars. Er ist die verkörperte Gelassenheit, ein Posterboy für jeden Doga-Kurs.
Doga ist die Wortkombination aus Yoga und Dog. Im Doga-Retreat im Schweizerhof ist damit nicht gemeint, was in den sozialen Medien mit viel Jöö-Effekt gehypt wird: Babyhunde, die zwischen den Matten herumwatscheln und die Yogis an den Haaren zupfen. Mitorganisatorin Nadine Wiederkehr sagt es so: «Wir möchten in Momenten der Ruhe die Bindung zwischen Mensch und Tier fördern.»
Von Ruhe allerdings kann bei meinem Argo auch nach einer Viertelstunde keine Rede sein, obschon Argo die neun anderen Hunde am Vorabend auf einem Kennenlernspaziergang ausgiebig beäugt hat. Zwar ist die Sirene verstummt. Doch nun spult er auf der Stelle, als wäre die Yogamatte ein Laufband. Mit jedem Schritt schieben seine Pfoten die Unterlage weiter zurück. Zwischen ihm und meinen Füssen türmt sich eine immer grösser werdende Welle auf.
Um uns herum haben die fünf Frauen und zwei Männer mit ihren Vierbeinern längst vor den zwei Leiterinnen und ihren Hunden auf dem Boden Platz genommen. Doch für mich heisst es nun erst mal die Matte wieder auslegen – und dies mit einem Energiebündel an der Leine, das erst nach rechts zu Petra und ihrer grossen Hündin Gekaja drängt, um dann nach links zu Marcel und seiner Abby zu schiessen.
So mutiert die Yogalektion im Nullkommanix zum Ganzkörperbelastungstest. Mein Stresspegel schiesst in die Höhe. Und prompt macht Argo wieder auf Sirene. Und je krampfhafter ich versuche, meinen Rüden zu beruhigen, desto mehr dreht er auf.
Hundetrainerin Nadine Wiederkehr durchbricht routiniert unseren Teufelskreis: «Es ist alles in Ordnung. Das erste Mal ist für Mensch und Tier oft eine grosse Herausforderung.» Gemeinsam mit Yogalehrerin Sabina Kojasevic gestaltet sie das dreitägige Retreat-Programm im Schweizerhof: Vor dem Frühstück steht jeweils Doga an, hinzu kommen Hundetrainings im Freien und Yogalektionen für die Menschen.
Die beiden Frauen haben sich in einem Welpenkurs kennen gelernt und bieten auch in Zürich gemeinsam mit ihren Vierbeinern Bao und Loba Doga-Lektionen an. Kojasevic lächelt aufmunternd, als sie die Zweibeiner anweist, sich in den Schneidersitz zu begeben.
Tief einatmen – und aus… Nein, Argo, du bleibst hier. Einatmen, ausatmen. Oskar hat seinen Kopf zwischen die Pfoten gelegt. Einatmen, ausatmen. Die Gmüetsmoore scheint sogar zu dösen. Einatmen. Ich zwinge mich, das Energiebündel an meiner Leine zu ignorieren. Ausatmen. Neugierig dreht sich Argo zu mir. Einatmen. Er hockt sich hin – gespannt wie eine Feder. Immerhin, sage ich mir. Ausatmen. Keine Bewegung entgeht dem Kerlchen, bis ich mich endlich erhebe – auch mein Griff in den Leckerlibeutel nicht, und plötzlich sind die Goodies interessanter als die Artgenossen.
Ein Glück, dass er die erste der Hundeübungen bereits in seinem Trickrepertoire hat. Selbstbewusst befehle ich ihm: Garage! In Sekundenschnelle setzt sich Argo zwischen meine Füsse, gebannter Blick zu mir hoch, ob heischend. Ein erstes Erfolgserlebnis! Und als wir an diesem Morgen den Raum verlassen, scheint die Gelassenheit von Oskar und Titus zwar unerreichbar. Immerhin ist aber Argos Sirene verstummt und meine Ausnahmesituation entschärft. Zumindest ein bisschen passen wir nun in die Gruppe tierischer und menschlicher Yogis.
Diese ist nicht nur punkto Hunderassen divers – ein Zwergspitz, unterschiedliche Pudel- und Strassenmischungen bis hin zu Labrador Oskar sind vertreten. Auch die Menschen sind so verschieden, dass sie unter anderen Umständen wohl kaum zum Nachtessen an einen gemeinsamen Tisch gefunden hätten.
Frauen und Männer verschiedenen Alters und aus allen Ecken der Deutschschweiz nehmen an der langen Tafel im Esssaal des historischen Hotels Platz, während die Vierbeiner ihre Zimmerstunde geniessen. Sie sind zu Tisch der gemeinsame Nenner und liefern den Gesprächsstoff für einen langen Abend: ihre jüngsten Schelmereien, ihre Benimmsünden, ihre lieb gewonnene, aber manchmal auch strapazierende Sturheit. Alles Balsam für meine Seele nach der morgendlichen Sirenen-Erfahrung. Wer hätte gedacht, dass ich wenige Stunden später darüber lachen würde?
Ein Lachen, das innerlich nachhallt, als Argo und ich uns am nächsten Morgen zur Doga-Stunde aufmachen. Und prompt: Die Sirene bleibt aus, die Yogamatte bleibt an ihrem Ort. Es dauert nicht lange, und mein Rüde schafft es, Oskar und Co. aus den Augen zu lassen. Die Aufmerksamkeitsspanne, die er mir schenkt, verlängert sich. Zu meinem Erstaunen schafft er es, liegen zu bleiben, während ich meinen Nacken dehne und es wage, die Augen zu schliessen.
Yogalehrerin Kojasevic und Hundetrainerin Wiederkehr sind mit uns zufrieden. «Unser Ziel ist es, gemeinsam Entspannung zu lernen, um so herausfordernde Situationen zu meistern», sagt Wiederkehr. Gemeinsam gestalten sie die Doga-Lektionen so, dass abwechselnd mal die Zwei-, mal die Vierbeiner mit Übungen am Zug sind. Um es dann gar gemeinsam zu probieren. So falte ich mich in die sogenannte Kindspose, während mein Hund sich vor mir auf der Matte ausstreckt. Die Gutzi in meiner Rechten zeigen Wirkung. Argo lässt sich nicht zweimal bitten.
Unserem Ziel kommen wir am zweiten Tag einen Jack-Russell-Schritt näher. Denn so wie die kleinen Jagdhunde ein grosses Selbstbewusstsein haben, ist unsere Entwicklung äusserlich gesehen gering, subjektiv ist sie jedoch riesig.
Und mit diesem Selbstvertrauen setzen wir uns am letzten Morgen auf die Yogamatte. Argo bemüht sich sichtlich, auch wenn es beim kleinsten Laut seiner Artgenossen um seine Ruhe geschehen ist.
Die Überraschung hält er für das Finale bereit: Gerade haben sich die Zweibeiner für die Schlussentspannung am Boden ausgestreckt und die Vierbeiner ihren Kauknochen erhalten. Da provoziert Oskar Hundedame Szofie, indem er ihren Knochen fixiert – sie quittiert es mit einem tiefen Knurren. Unruhe kommt auf in der Gruppe. Nur Argo hält seinen Knochen zwischen den Pfoten und beisst genauso exzentrisch darauf herum, wie er am ersten Tag den Raum evakuieren wollte. Was für ein Auftritt! Offenbar hat mein wirbliger Argo im Doga tatsächlich ein Stück seiner inneren Ruhe gefunden. Ein kleines Stück wenigstens.
Der Aufenthalt wurde vom Hotel Schweizerhof in Flims unterstützt.
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