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Genom des Menschen
Jetzt ist auch der Mann entschlüsselt

Es macht Männer zu Männern: Das Y-Chromosom war bisher ein Buch mit vielen Siegeln.
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Dieser Artikel erschien erstmals am 6. September 2023. Für die Feiertage ergänzen wir unser Angebot für Sie und wünschen Ihnen eine gute Lektüre.

Das menschliche Genom ist schon seit längerem weitgehend entschlüsselt. Doch ein Chromosom hat sich bisher erfolgreich dem Leseprozess widersetzt: Das Y-Chromosom, das Männer zu Männern macht. Es war bisher ein Buch mit vielen Siegeln. Mit neuen Methoden ist es einem internationalen Forschungsteam nun in zwei Studien erstmals gelungen, auch das gesamte Y-Chromosom zu entschlüsseln. Die wichtigsten Erkenntnisse:

​​Wie entstand das Y-Chromosom?

Unser Genom besteht aus rund 3 Milliarden DNA-Bausteinen. Sie enthalten unsere Erbanlagen. Aufgeteilt ist diese riesige Informationsmenge in Chromosomen. Chromosomen sind lange DNA-Fäden. Wir haben sie immer paarweise, je einmal von der Mutter und einmal vom Vater.

Vor rund 200 Millionen Jahren waren auch das X und das Y ein normales Chromosomenpaar. Dann begann das Y, sich zu verändern, und das X und das Y entwickelten sich zu jenen Chromosomen, die bei Säugetieren das Geschlecht bestimmen. «Das geschah vermutlich, weil es evolutionär Vorteile bietet, wenn die Erbinformationen bei der geschlechtlichen Fortpflanzung immer wieder neu durchmischt werden», sagt Professorin Anita Rauch, Direktorin des Instituts für Medizinische Genetik an der Universität Zürich.

Was ist am Y-Chromosom besonders?

Das Y-Chromosom hat sich seit seiner Trennung vom X-Chromosom stark verändert. Das X-Chromosom ähnelt noch heute den anderen 22 Chromosomen und enthält wie sie ungefähr 1000 Gene, die Bauanleitungen für Proteine liefern. Das Y hingegen ist stark geschrumpft. Es ist nur noch ungefähr ein Drittel so gross wie das X und hat nicht einmal mehr 100 Gene.

Die Gensequenzen auf den Chromosomen kann man mit Buchstaben in einem Text vergleichen. Es gibt besondere Passagen, die auf dem jeweiligen Chromosom nur an gewissen Stellen stehen, und es gibt Passagen, die sich häufig wiederholen. Auf dem Y existieren jedoch – im Gegensatz zu den meisten anderen Chromosomen – lange Passagen, die keinen erkennbaren Sinn machen. Das gleiche Wort oder der gleiche Abschnitt wiederholen sich viele Male, und sogar ganze Kapitel wiederholen sich mehrfach. Manche Kapitel sind zudem rückwärts geschrieben. Wegen dieser kaum zu entziffernden Passagen war es bisher so schwierig, das Y-Chromosom vollständig auszulesen. Erst Fortschritte in der Sequenzierungstechnik haben das nun möglich gemacht.

Warum sind wir am Anfang alle weiblich?

Anders, als es in manchen religiösen Schöpfungsgeschichten erzählt wird, ist bei den Säugetieren, einschliesslich des Menschen, die Frau das Standardmodell. Aus ihr entwickeln sich die Geschlechter. Auch heute ist es möglich, mit einem X-Chromosom zu leben, mit einem Y-Chromosom jedoch nicht. Frauen haben in der Regel zwei X-Chromosomen, eines von der Mutter und eines vom Vater. Männer haben ein X von der Mutter und das Y vom Vater. Das Spermium des Vaters bestimmt das Geschlecht eines Kindes.

Bei Frauen ist eines der beiden X meist nicht aktiv. Trotzdem bildet es eine Art Back-up, weshalb Frauen an gewissen genetischen Krankheiten weniger häufig leiden als Männer. Ist auf einem X ein Defekt, kann das zweite X dies bei Frauen meist ausgleichen. Das Y der Männer kann das nicht. Noch kann man aber jeweils nicht vorhersagen, welches der beiden X-Chromosomen bei Frauen in einer bestimmten Körperzelle aktiv ist. Frauen seien genetisch ein bisschen unberechenbar, heisst es deshalb manchmal.

FLORENCE, ITALY - MAY 02: The David statue by italian rinascimental artist Michelangelo Buonarroti during the presentation of the celebrations for the 140th anniversary of the placement from Piazza della Signoria to the Gallerie dall'Accademia on May 02, 2022 in Florence, Italy. (Photo by Roberto Serra - Iguana Press/Getty Images)

Was macht das Y-Chromosom?

Auch wenn es auf dem Y-Chromosom nur noch wenige Gene gibt, hat es eine wichtige Aufgabe. Von einem Gen, dem sogenannten SRY-Gen, weiss man genau, was es tut. Von vielen anderen weiss man das noch nicht. Das SRY-Gen gibt das Signal für die Bildung des Hodens und stösst die Prozesse an, die den Mann zum Mann machen. Auch das Gen USP9Y ist auf dem Y und wichtig für die Spermienbildung. Andere Gene hingegen, die dann beispielsweise dafür sorgen, dass im Hoden männliche Hormone produziert werden, befinden sich nicht auf dem Y.

Das Y hat sehr viele Gene verloren, hat es irgendwann keine mehr?

Weil das Y in den letzten Millionen Jahren so viele Gene eingebüsst hat, gab es schon Theorien, es könnte irgendwann ganz verschwinden. Die neusten Forschungen widersprechen dieser Theorie jedoch, weil die verbleibenden Gene, vor allem das SRY-Gen, wichtige Aufgaben haben.

Was bringt die Entschlüsselung?

Man weiss bisher viel zu wenig darüber, welchen Einfluss das Y-Chromosom auf die Gesundheit von Männern hat. Bisher vermutet man vor allem, dass noch unbekannte Genvarianten auf dem Y Fruchtbarkeitsprobleme auslösen könnten. «Je besser wir die verschiedenen Genvarianten kennen, desto eher lassen sich Zusammenhänge mit medizinischen Problemen finden», sagt Genetikerin Rauch.

Die Entschlüsselung habe nun auch gezeigt, dass es grosse Unterschiede zwischen den Y-Chromosomen einzelner Männer gibt. Doch der Einfluss des Y reicht noch weiter. Vermutet wird ein allgemeiner Einfluss auf die Gesundheit der Männer. Auch hier ermöglicht die Entschlüsselung nun weitere Forschungen.

Warum verlieren manche Männer ihr Y im Alter?

Im Alter verlieren manche Männer das Y-Chromosom in gewissen Zellen. Es gibt Vermutungen, dass dieser Verlust gesundheitliche Folgen hat. Die betroffenen Männer haben schlechtere Prognosen bei Krebs- und Demenzerkrankungen und ein allgemein höheres Sterberisiko.

Warum manche Männer das Y-Chromosom im Alter verlieren, ist noch nicht abschliessend geklärt. Vermutlich gibt es eine gewisse genetische Prädisposition. Zudem sind Raucher häufiger betroffen. «Es wäre aber auch möglich, dass der Verlust zufällig ist und erst geschieht, wenn beispielsweise die Krebserkrankung schon vorhanden ist, und so von der Erkrankung ausgelöst wird», sagt Genetikerin Rauch.

Was verrät das Y-Chromosom über die Menschheitsgeschichte?

In einer der beiden neuen Studien untersuchten die Forschenden 43 unterschiedliche Y-Chromosomen, die in den letzten 180'000 Jahren entstanden sein müssen. Dabei stellten sie fest, dass es in der Menschheitsgeschichte immer wieder gewisse Nadelöhre gab. «In manchen Phasen hatten relativ wenige Männer sehr viele Nachkommen», sagt Rauch. Bekannt ist das beispielsweise vom mongolischen Herrscher Dschingis Khan im 12./13. Jahrhundert.

Afrikanische Männer haben meist eine viel grössere genetische Vielfalt als Männer aus Europa oder Asien. Das hängt mit der Menschheitsgeschichte zusammen. Es war eine kleinere Gruppe, die Afrika verliess und sich schliesslich über die Kontinente ausbreitete. Eine neue Studie zeigt zudem, dass die Vorfahren des Homo sapiens vor 930'000 Jahren auf eine recht überschaubare Gruppe geschrumpft sind. Auch dieser Flaschenhals verkleinerte die Vielfalt unseres genetischen Erbes.

Über das Y-Chromosom können Männer ihren Stammbaum meist über sehr viele Generationen zurückverfolgen, weil das Y immer vom Vater auf den Sohn übergeht.

Gibt es auch andere Kombinationen als XX und XY?

Frauen haben zwei X-Chromosomen und Männer eine Kombination aus X und Y. Das trifft in den meisten Fällen zu, jedoch nicht immer. Es gibt beispielsweise Menschen, die wie eine Frau aussehen, aber ein X- und ein Y- oder zwei XX- und ein Y-Chromosom haben. Ihr Körper bildet männliche Hormone, doch es fehlt wegen eines Gendefektes der Rezeptor für diese Hormone. Das fällt manchmal erst auf, wenn die Frauen Schwierigkeiten haben, schwanger zu werden. Auch gibt es Männer mit zwei Y, sie sind oftmals besonders gross. Manchmal fehlen auch Teile eines der beiden Geschlechts-Chromosomen.

Das Geschlecht eines Menschen wird nicht nur von den X- oder Y-Chromosomen bestimmt. Es gibt verschiedene Gene auf anderen Chromosomen, die einen Einfluss haben können. Zudem lässt sich die Geschlechtsidentität einer Person nicht mit den Chromosomen gleichsetzen, sondern ist von vielen verschiedenen Faktoren abhängig.

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