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Kosovo-Albaner in der Schweiz
«Xhaka und Shaqiri schiessen Tore für die Schweiz, nicht für Kosovo» 

«In Kosovo hatte ich das Gefühl, gebraucht zu werden», sagt der schweizerisch-kosovarische Doppelbürger Ilir Hasanaj.  
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An einem Abend im Mai befindet sich ein Stück Kosovo inmitten der Ausgehmeile Langstrasse in Zürich. Vor dem Kino Riffraff diskutiert ein mehrheitlich junges Publikum auf Albanisch, Schweizerdeutsch und Englisch. Es läuft das Festival Kino Kosova, das dem aktuellen kosovarischen Filmschaffen gewidmet ist. In den Filmen geht es um Themen wie Feminismus, Sexismus, LGBTQ. Um Menschen, die in Kosovo nicht so leben dürfen, wie sie es wollen.

Mitten in der Menschentraube steht ein Filmemacher, den hier die meisten kennen: Ilir Hasanaj. Der schweizerisch-kosovarische Doppelbürger, gekrauste schwarze Haare, Schnauz, weiss-grün-violett gemustertes Hemd, hat das Programm zusammengestellt. Wer ist der Mann, der über seine Arbeit sagt: «Ich will Kosovo von einer anderen Seite zeigen»?

Unerwünscht in der Heimat

Ilir Hasanaj lebte bis zu seinem siebten Lebensjahr in der kosovarischen Region Dukagjin. An der Macht war damals der Kriegsverbrecher Slobodan Milosevic. Die Kosovaren wurden von der serbischen Minderheit unterdrückt. Die Belgrader Zentralregierung liess albanische Schulen schliessen, die Polizei schikanierte die Bevölkerung. «Wir waren in unserer Heimat unerwünscht», sagt der heute 36-Jährige im Gespräch.

Als die Familie einen Onkel besuchte, sah der kleine Ilir vor dem Bauernhof eine Mistgabel. Weil sie besonders klein war, gefiel sie ihm, und er legte sie in den Kofferraum des Autos. Auf der Fahrt nach Hause geriet die Familie in eine Polizeikontrolle. Auf die Frage, was im Kofferraum sei, sagte der Vater: «Nichts.» Der Polizist fand die Mistgabel im Kofferraum – schrie die Eltern an und verteilte ihnen eine Ordnungsbusse. Weil er kein Serbisch sprach, verstand Hasanaj nicht, was der Polizist sagte. An das verängstigte Gesicht seiner Mutter erinnert er sich aber bis heute. «Ich fühlte mich schlecht und dachte, das sei meine Schuld gewesen.»



Ilir Hasanajs Vater Musa geriet öfter ins Visier der Sicherheitskräfte. Er setzte sich für ein freies Kosovo ein, verteilte politische Flyer. 1984/85 musste er wegen seines Engagements für anderthalb Jahre ins Gefängnis. Über seine Haft will Musa Hasanaj bis heute nicht sprechen. Der Filmemacher beschreibt zwei Fotos seines Vaters, eines vor der Haft, das andere kurz danach. Das erste zeigt ihn gesund, mit vollem Haarwuchs. Auf dem zweiten ist er wie verwandelt: das Gesicht eingefallen, Tränensäcke unter den Augen, kaum noch Haare. «Es ist für mich schwierig, diese Fotos anzuschauen», sagt Hasanaj. Er vermutet, sein Vater sei gefoltert worden.  

Türkisch in Winterthur 

1993 kam der Vater als politischer Flüchtling nach Winterthur, die Familie folgte kurze Zeit später. Von der Schweiz wusste der Bub damals wenig. Weil die Familie viel türkisches Fernsehen schaute, dachte er, man spreche hier Türkisch. Statt mit «Grüezi» sprach er Leute mit «Merhaba» an. Schweizerdeutsch lernte Hasanaj rasch – und doch hatte er das Gefühl, nie richtig dazuzugehören. 

Als er sich vorstellte, fühlte er sich oft auf seine Herkunft reduziert. Damals hörte er häufig Sätze wie: «Du siehst ja gar nicht wie ein Albaner aus.» Oder: «Ilir, was ist das für ein Name.» Hasanaj störte das. Anstatt jedes Mal eine historische Abhandlung über Kosovo zu halten, hätte er lieber über Filme, Kunst, gemeinsame Interessen gesprochen.   

Gewalttäter und Messerstecher

In den 90er- und 00er-Jahren war das Bild der «schlechten Albaner» in der Schweizer Gesellschaft sehr präsent. Medien berichteten viel und verallgemeinernd über kosovarische Gewalttäter und Messerstecher. Der Gedanke: «Ich bin ein schlechter Mensch, weil ich Albaner bin», verfolgte Hasanaj. Er wollte so schweizerisch wie möglich sein und gab sich den Spitznamen «Häse», abgeleitet von seinem Nachnamen. Mit 18 Jahren liess er sich einbürgern. 

Hasanaj absolvierte eine Lehre als Informatiker und studierte später Film an der Zürcher Hochschule für Künste. Für seinen ersten grossen Dokumentarfilm begleitete der Filmemacher junge Leute, die an einem Performance-Kunstprojekt teilnehmen. Ein Film über Kunst, Liebe und Identität. Die Reise führt die Gruppe auch in Kosovos Hauptstadt Pristina. Die Begegnungen dort und seine kosovarische Freundin weckten in ihm den Wunsch, sein Geburtsland besser zu verstehen. 

Hasanaj entschloss sich zu einem Schritt, den damals viele nicht nachvollziehen konnten: Er verliess Winterthur und wanderte nach Pristina aus. «Du spinnst doch», sagten ihm seine Kollegen in Kosovo. Da kommt einer freiwillig aus der reichen Schweiz ins arme Kosovo? Auch Hasanajs Eltern waren kritisch, sie wünschten sich für ihren Sohn eine bürgerliche Karriere in der Schweiz. Doch Hasanaj langweilte die Übersättigung hierzulande. Allein in Zürich gab es haufenweise Kinos, in Pristina nur ein einziges. «In Kosovo hatte ich das Gefühl, gebraucht zu werden.» 

Im alternativen Kulturzentrum Termokiss in Pristina gründete er einen Filmclub. Hasanaj zeigte dort Filme abseits des Mainstreams. Generator, Projektor, Leinwand, Stühle, alles sehr provisorisch. Bilder von damals zeigen Zuschauer in Jacken eingehüllt, eine Heizung gab es nicht. «Ich habe das geliebt. In der Schweiz hätte ich diverse Genehmigungen einholen müssen.»

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2018 konnte Hasanaj mit Kollegen ein Kino mitten in der Stadt übernehmen. Dort zeigen Hasanaj und seine Mitstreiter bis heute alternative Filme und organisieren Workshops für junge Filmschaffende. Die enge Beziehung zur Schweiz blieb immer bestehen, Hasanaj reiste jedes Jahr mehrmals zurück. Ab 2020 auch für das Filmfestival Kino Kosova. 

Mit seinem Engagement für Kino Kosova ist Hasanaj zum Brückenbauer zwischen der Schweiz und Kosovo geworden. Die Diskussionen über die kosovarische Diaspora verfolgt er genau. Der Schweiz-Kosovare sagt im Gespräch mehrmals, wie dankbar er der Schweiz dafür sei, dass sie vielen Kosovaren ein besseres Leben ermöglicht habe. Gleichzeitig findet er aber auch kritische Worte. Ihn stört, dass die Nationalität in der Schweiz binär angesehen wird. Man sei entweder «der Schweizer» oder «der Albaner». «Man verlangt von Menschen, die in die Schweiz kommen, dass sie ihre Identität ablegen. Das verstehe ich nicht.»

Aufregung um «dä Adler»

Er kommt auf «dä Adler» zu sprechen, der 2018 einen grossen Teil der Schweiz im Bann hielt. An der Fussball-WM siegte die Schweiz gegen Serbien dank Toren von Granit Xhaka und Xherdan Shaqiri. Beide verschränkten beim Torjubel ihre Arme zum Doppeladler, eine Anspielung auf das Wappentier der albanischen Flagge.

Die ganze Aufregung kann Hasanaj bis heute nicht verstehen. Die Schweiz habe die Familie Xhakas und Shaqiris aufgenommen – und mit ihren Toren hätten die beiden Fussballer der Schweiz etwas zurückgegeben. «Xhaka und Shaqiri schiessen ihre Tore für die Schweiz, nicht für Kosovo», sagt er. Dass bei einem Spiel gegen Serbien die Emotionen hochgingen, müsse man nach der langen Unterdrückung der kosovarischen Bevölkerung nachvollziehen können. 

«Man verlangt von Menschen, die in die Schweiz kommen, dass sie ihre Identität ablegen. Das verstehe ich nicht», sagt Ilir Hasanaj.

Im September will Hasanaj mit seiner Freundin nach Bern ziehen. Er plant grössere Filmprojekte, die er in der Schweiz besser umsetzen könne. Als Nächstes will er einen Spielfilm über den kosovarischen Aktivisten Jusuf Gërvalla drehen. 1982 wurden Gërvalla, sein Bruder und ein befreundeter Journalist in Deutschland von einem Killerkommando des jugoslawischen Geheimdienstes erschossen. Weil der Journalist in St. Gallen gelebt habe, habe der Film auch einen starken Schweiz-Bezug. «Es soll auch ein Schweizer Film werden, nicht nur ein kosovarischer», sagt er. 
 
Auf seine bevorstehende Rückkehr in die Schweiz freut sich Hasanaj. Zum anderen weiss er jetzt schon: «Das Chaos in Kosovo werde ich vermissen.»