Kosovo-Albaner in der SchweizDer Flüchtling, der zum Spitzenkäser wurde
Avdulla Hakaj arbeitete als Sans-Papiers in einer Freiburger Käserei und hätte ausgeschafft werden müssen. Dann setzten sich die Menschen seines Dorfs für ihn ein. Und die SVP.
Dieser Text erschien erstmals am 28. Juni 2023.
«Pardon», sagt Avdulla Hakaj. Dann versagt ihm die Stimme.
Für den Käser ist in den letzten Minuten gerade viel zusammengekommen. Zu viel. Er hat von früher erzählt: von seiner Flucht aus dem kriegsversehrten Kosovo und von der verstorbenen Mutter, die er nicht mehr besuchen konnte. Und vom Glück, das er in den Freiburger Alpen gefunden hat, und der Unterschriftensammlung, mit der sich einst 600 Menschen für seinen Verbleib in der Schweiz eingesetzt hatten.
Sein aktueller und sein früherer Chef sitzen mit am Tisch. Sebastian Kolly und André «Dédé» Remy. Er wollte das so. «Mein Französisch ist nicht perfekt», hatte Avdulla Hakaj vor dem Treffen in den Räumen der Kooperative bei Charmey FR gesagt.
Auch die beiden Romands sind in diesem Moment still geworden und warten taktvoll, bis ihr Mitarbeiter sich wieder gefangen hat. Es ist ein intimer Moment zwischen drei Männern, die seit Jahren durch die Arbeit miteinander verbunden sind.
Sebastian Kolly und Dédé Remy kennen ihren kosovo-albanischen Mitarbeiter als einen «bon travailleur», einen guten Arbeiter. «Gewissenhaft, professionell.»
«Die Bauern müssen Vertrauen in den Affineur haben.»
Seit bald 20 Jahren ist Avdulla Hakaj für die Kooperative La Tzintre in den Freiburger Alpen tätig. Er ist hier der «Maître Fromager Affineur», also jener, der die von den Bauern gelieferten Käselaibe zur Reifung bringt. Hakaj sorgt dafür, dass die Produkte aus frischer Bergmilch regelmässig mit einer Salzlauge eingerieben werden. Während 14 Monaten wacht Avdulla Hakaj über 6000 Käselaibe.
Dédé Remy, der lange Präsident der Freiburger Kooperative war, sagt: «Die Bauern müssen Vertrauen in den Affineur haben.» Ein gutes Produkt sei die Basis. «Aber wie gut ein Käse tatsächlich wird», erklärt er bestimmt, «entscheidet sich im Reiferaum.»
Im Raum mit konstanten 14 Grad Temperatur und 94 Prozent Luftfeuchtigkeit verrichtet ein Roboter seine Arbeit. Er nimmt die 20 Kilogramm schweren Käselaibe von den Brettern aus Rottannenholz und reibt beide Seiten mit der Salzlauge ein. Vollautomatisch.
Doch es sind die Affineure, die die Entscheidungen fällen und wissen, welche Stücke mehr Betreuung brauchen und welche in Ruhe gelassen werden können. Sie sehen die klitzekleinen Löcher, Verfärbungen, Verformungen, die an der Oberfläche Fehlentwicklungen andeuten.
Die ersten zehn Tage im Reiferaum seien entscheidend, sagen alle, die etwas von der Käseproduktion verstehen.
Das Auge für den Käse
Im Reiferaum von La Tzintre ist offenbar viel Sachverstand vorhanden. Selten verlässt hier ein Käse den Raum, der von den Kontrolleuren mit der minderwertigen Kategorie B versehen werden muss.
Der Gruyère, der durch die Hände von Avdulla Hakaj geht, wurde schon mehrmals ausgezeichnet. Es gibt ein Foto mit einem Bergbauern, der ihn ausdrücklich bei der Olma-Preisverleihung dabeihaben wollte.
«Avdulla hat das Auge und die Erfahrung», sagt Sebastian Kolly, der seit zwei Jahren die Produktion leitet. Auch der junge Chef weiss um die Fluchtgeschichte seines wichtigen Mitarbeiters. Aber die Details, die Gefühle, die ein solches Leben mit sich bringt, scheint er erst an diesem Tag richtig wahrzunehmen. Kolly stammt aus dem Greyerzerland. Hier geboren, hier aufgewachsen, hier arbeitend.
Was Flucht bedeutet, könne er sich, «wie viele andere Schweizer, nicht richtig vorstellen».
Hakaj räuspert sich. Dann beginnt er noch einmal, diesmal gefasst, vom Tag zu erzählen, der sein Leben entscheidend geprägt hat.
Es war der Tag als der damals 24-Jährige vom serbischen Militär einen Brief erhielt. Er sollte eingezogen werden, um gegen die Kroaten zu kämpfen.
«Aber das war nicht mein Krieg. Und ich wollte auf keinen Fall auf irgendjemanden schiessen.»
Avdulla Hakaj beschloss, unterzutauchen. Danach kamen mehrere Male Polizisten zum Haus der Familie mit elf Geschwistern und fragten nach ihm. Einmal wurde er beinahe erwischt, von einem Polizeiauto verfolgt. Der junge Kriegsdienstverweigerer konnte im letzten Moment im Wald verschwinden.
3000 Deutsche Mark bezahlte schliesslich sein ältester Bruder einem Schlepper für die Flucht. Mit einem Schiff legte Avdulla Hakaj im Brindisi an.
Leben wie ein Eremit
Avdulla sollte zu seinem Bruder gehen, der bereits in Lausanne lebte. Bei Como überquerte der Flüchtling mitten in einer kalten Aprilnacht die Schweizer Grenze.
Es war das Jahr 1996. In Kosovo, seiner Heimat, begann zwei Jahre später ein Krieg.
Nicht vieles deutete damals darauf hin, dass der junge Kosovo-Albaner sein Glück in der Schweiz finden würde.Niemand hatte auf ihn gewartet. Zweimal wurde ihm der Flüchtlingsstatus verweigert. Hakaj blieb und wurde zu einem von vielen Tausenden Sans-Papiers. Nach vielen Gelegenheitsjobs landete er in Charmey. Hier wurde er zum unverzichtbaren Mitarbeiter der Kooperative.
«Wir haben immer alle Sozialabgaben gezahlt», sagt Dédé Remy, der seinen Mitarbeiter aus Kosovo eng begleitet hat. «Aber klar, er war ein Illegaler, und er musste dadurch wie ein Eremit leben.» Kein Auto, keine Reisen, nicht einmal eine Sprachschule durfte er besuchen.
600 Menschen wollten, dass der Status von Avdulla Hakaj legalisiert wird.
Doch die Bauern vertrauten ihm. Übergaben ihm den Käse, für den sie hart arbeiteten. In der kleinen Berggemeinde kannten bald alle den alleinstehenden Mann, der kaum ausging und unablässig arbeitete.Doch die Gefahr, entdeckt und ausgewiesen zu werden, war ständig da. «So konnte es nicht weitergehen», sagt Remy, der auch Gemeindepräsident von Charmey war. Er wurde aktiv und kontaktierte den Kanton. Sein Mitarbeiter sollte endlich die Arbeitserlaubnis erhalten und in der Schweiz bleiben dürfen.
Im Dorf sah dies die Mehrheit auch so. Eine Unterschriftensammlung wurde lanciert. 600 Menschen wollten, dass der Status von Avdulla Hakaj legalisiert wird. Selbst Vertreter der SVP setzten sich für den Kosovo-Albaner ein. Die Medien berichteten, die Solidarität war gross. Doch die Rechtslage war klar. Der zweifach Abgewiesene hatte kein Anrecht auf eine Arbeitserlaubnis.
Es blieb nur die Ausreise. Und ein neuer Antrag, der Ausnahmebewilligungen für Spezialkräfte vorsah. Avdulla Hakaj erinnert sich, dass er sechs Monate in Kosovo warten musste. «Eine lange Zeit.» Er nutzte sie, um zu heiraten. «Dann kam der Anruf von Dédé – ich werde diesen Moment nicht vergessen, als klar war, dass ich zurückgehen darf.»
Avdulla Hakaj hat in den Freiburger Alpen sein Glück gefunden. Dafür sei er unendlich dankbar, sagt er. Drei Kinder hat der 52-Jährige heute. Und einen Job, der ihn zufrieden macht.
Gerade warten im Reiferaum noch 2000 Käselaibe auf ihn. «Käse ist wie ein Kind», sagt Avdulla Hakaj. «Beide brauchen ständige Aufmerksamkeit.»
Er steht auf. Die Arbeit ruft. «Pardon.»
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