Kommentar zu Impfquoten in EuropaDas Vertrauen in die Regierung zahlt sich aus
Warum demokratische Staaten wie Dänemark doch besser sind im Kampf gegen Corona.
Es gibt da eine Erfolgsgeschichte, um die es zuletzt ruhig geworden ist. Anfang des Jahres konnte sich die Regierung in Serbien damit brüsten, den benachbarten Club der EU-Staaten bei den Corona-Impfungen überrundet zu haben. In dem südosteuropäischen Staat war zeitweise ein so hoher Anteil der Bevölkerung geimpft wie sonst nirgends auf dem europäischen Festland.
In dem Triumph über den tatsächlich beeindruckenden Erfolg schwang auch Grundsätzlicheres mit: Den Vorsprung hatte Serbien sich ja gesichert, indem es nicht allein auf «westliche» Impfstoffe setzte, deren Beschaffung in der EU in der Tat zunächst ärgerlich schleppend voranging, sondern zugleich auch auf Vakzine aus chinesischer und russischer Produktion. Die Bürgerinnen und Bürger konnten selbst wählen, welchem der angebotenen Impfstoffe sie ihr Vertrauen schenkten. Als würde in Serbien, das sich auch sonst politisch in viele Richtungen offen zeigt, der Wettbewerb der Systeme mit der Spritze ausgetragen.
Jetzt, im Herbst, hat Serbien wieder einen Spitzenplatz inne: Das Land liegt europaweit auf Platz eins bei den täglichen Corona-Neuinfektionen pro hunderttausend Einwohner. Ein Grund dafür ist die auf bescheidenem Niveau schlingernde Impfquote; weniger als 45 Prozent der Menschen im Land haben sich vollständig impfen lassen. Das serbische Beispiel zeigt eindrucksvoll, wie entscheidend in der Pandemiebekämpfung neben den Impfstoffen eine weitere, weniger sichtbare Zutat ist: Vertrauen.
Dänemark gilt, wie seine skandinavischen Nachbarn, als «Vertrauensgesellschaft».
Viel Impfstoff, viele Skeptiker: Das ist nicht nur in Serbien so, wo das anfängliche Hin und Her bei den Anti-Corona-Massnahmen nur dann Sinn ergab, wenn man es unter wahltaktischen Gesichtspunkten betrachtete, sondern auch in diversen Nachbarländern, einschliesslich der EU-Mitglieder Rumänien und Bulgarien. Allesamt Länder, in denen das Misstrauen gegenüber dem Staat und seinen Institutionen lange gewachsen ist.
Am anderen Ende der Vertrauensskala steht Dänemark, wo die Impfquote eine der höchsten in Europa ist – und wo die Regierung die Pandemie für faktisch beendet erklären konnte. Das Land gilt, wie seine skandinavischen Nachbarn, als «Vertrauensgesellschaft».
Dass der Infektionsschutz für autoritäre Ziele missbraucht werde; dass es bei der Maskenbeschaffung um persönliche Bereicherung gehe; dass den Impfstoffen irgendein bewusstseinsveränderndes Zeug beigemischt sei: Derlei Ideen finden dort offenkundig kaum Nährboden, die Mehrheit der Menschen hat ein historisch gewachsenes, messbares Vertrauen darauf, dass die Verantwortlichen in der Regel im Sinne des Gemeinwohls handeln – und dass es sich lohnt, auch ohne staatlichen Druck Dinge für die Gemeinschaft zu tun, zum Beispiel: sich impfen lassen, auch damit die Nachbarskinder ohne Einschränkungen zur Schule gehen können.
In der Frühphase der Pandemie hörte man auch in Westeuropa Stimmen, die in den verschiedenen Corona-Bekämpfungsstrategien eine Art Wettbewerb der Systeme auszumachen meinten – und befanden, es zeige sich nun, dass autoritäre Systeme den liberalen Demokratien mit ihren elendig umständlichen Entscheidungsprozessen in der Pandemiebekämpfung überlegen seien. Um solche Theorien allerdings ist es in letzter Zeit ähnlich ruhig geworden wie um die einstige Impf-Erfolgsgeschichte aus Serbien.
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