Ursprung des Lebens«Wir werden künftig Leben im Labor herstellen»
Vier Wissenschaftler, darunter der Schweizer Nobelpreisträger Didier Queloz, geben Auskunft über Sinn und Zweck des neuen «Zentrums für den Ursprung und die Verbreitung von Leben» an der ETH Zürich.
Wie und unter welchen Bedingungen gelingt der Sprung von leblosen Molekülen zu lebendigen Zellen? War das ein einmaliger Vorgang, der bislang nur auf der Erde stattfand – oder wimmelt es im Universum nur so von Leben?
Trotz jahrzehntelanger Forschung steht der ganz grosse Coup bei der Beantwortung dieser Fragen noch aus. Nun gründet die ETH Zürich gemeinsam mit der University of Cambridge das «Zentrum für den Ursprung und die Verbreitung von Leben» (Center for the Origin and Prevalence of Life), um dem Geheimnis des Lebens auf den Grund zu gehen. Ein solches interdisziplinäres und hochschulübergreifendes Zentrum zur Erforschung des Lebens gibt es in Europa noch nicht.
Aushängeschild des Zentrums ist der Astronom und Nobelpreisträger Didier Queloz, der 1995 gemeinsam mit Michel Mayor den ersten Planeten entdeckte, der um einen sonnenähnlichen Stern kreist. Mit der Gründung des Zentrums gab die ETH zudem bekannt, dass Queloz als Professor von der Universität Genf an die ETH wechselt, aber weiterhin auch an der University of Cambridge forscht.
Ist jetzt ein guter Zeitpunkt, um sich der Frage nach dem Ursprung und der Verbreitung des Lebens zu widmen?
In den letzten Jahren gab es signifikante Fortschritte in vielen beteiligten Disziplinen, etwa bei der sogenannten chemischen Evolution unbelebter Materie, quasi der Vorstufe des Lebens, sowie beim Verständnis der frühen Erde und bei den Exoplaneten. «Zugleich haben wir gemerkt: Um die nächste Stufe zu nehmen, müssen wir zusammenarbeiten», sagt Sascha Quanz, Professor für Exoplaneten am Departement für Physik der ETH Zürich. «Wir können diese fundamentalen Fragen nicht abgeschottet in den einzelnen Disziplinen beantworten.»
Ein Beispiel: Quanz möchte mit künftigen Teleskopen die Atmosphäre von Exoplaneten untersuchen. Es ist aber enorm schwierig, die Daten korrekt zu interpretieren. Hier kommen Cara Magnabosco, Professorin für Geobiologie am Departement für Erdwissenschaften der ETH Zürich, und Derek Vance, Professor für Geochemie am Departement für Erdwissenschaften der ETH Zürich, ins Spiel.
Vance untersucht, welche geologischen Vorgänge die Zusammensetzung der Atmosphäre eines Exoplaneten bestimmen. Auf der Erde werden durch Vulkanismus Gase freigesetzt, die sich in der Atmosphäre nachweisen lassen, etwa Methan. Andererseits wird Methan auch von Mikroorganismen gebildet. «Wenn man nun in der Atmosphäre eines Exoplaneten Methan entdeckt», sagt Vance, «welches ist dann die korrekte Erklärung: Vulkanismus oder biologische Aktivität?»
Wie Mikroorganismen die Zusammensetzung der Gase in einer Atmosphäre verändern, untersucht wiederum Magnabosco. Dazu studiert sie zum Beispiel, wie sich die biologische Aktivität auf der Erde im Laufe der Jahrmilliarden verändert und wie das die Erdatmosphäre geprägt hat. «Mit einer Disziplin allein ist es unmöglich, die vielfältigen Daten umfassend zu analysieren und vor allem zu interpretieren», sagt Magnabosco. «Wir müssen mit verschiedenen wissenschaftlichen Perspektiven darüber diskutieren.»
Was für Experimente werden konkret geplant?
Magnabosco blickt unter anderem ins Erdinnere und geht dazu in tiefe Minen, an die Grenzbereiche des Lebens. Eine Frage sei: «Sehen wir dort einen klaren Unterschied zwischen Orten, wo Leben vorkommt, und solchen, wo kein Leben vorkommt?» Mithilfe der Analyse von Erbsubstanz untersucht die Geobiologin auch, wie sich das Leben über die Jahrmilliarden verändert hat. Eine wichtige Frage hierbei ist: Gibt es Gemeinsamkeiten, gewisse Regeln, die allen evolutionären Prozessen zugrunde liegen? «So wollen wir mehr über die entscheidenden Bedingungen für den Ursprung des Lebens herausfinden. Auch das ist wichtig, wenn wir im Weltall nach Leben suchen.»
Geochemiker wie Vance setzen zum Beispiel Steine hohen Temperaturen und hohem Druck aus, bis sie schmelzen. «Dann reduzieren wir den Druck und messen die Gase, die frei werden», sagt Vance. Mithilfe von Computersimulationen untersuchen die Geochemiker aufgrund der gewonnenen Daten, was für Gase man erhalten würde, wenn ein Planet eine ganz andere Zusammensetzung hat wie die Erde. Von Geobiologen wie Magnabosco erhält Vance Informationen darüber, welche Mikroorganismen wo vorkommen und welche Gase die biologischen Prozesse erzeugen. So ergibt sich eine mögliche Zusammensetzung der Atmosphäre eines Exoplaneten. Die Simulationen können dann mit den Daten der Astronomen abgeglichen werden.
Solche Daten liefern unter anderem Quanz und Queloz, die an der Entwicklung von Instrumenten für das voraussichtlich 2025 in Betrieb gehende, erdgebundene Extremely Large Telescope (ELT) beteiligt sind. Mit dem ELT wird es möglich sein, die ersten Bilder der Atmosphäre von Exoplaneten zu schiessen, die um die sonnennächsten Sterne kreisen. «Für einen Durchbruch bei der Analyse der Exoplaneten braucht es aber ein grosses Weltraumteleskop», sagt Quanz. Ein massgeblich von ihm vorangetriebenes Projekt ist Life (Large Interferometer for Exoplanets): Vier im Rechteck angeordnete Weltraumteleskope empfangen Infrarotlicht der untersuchten Planeten und senden die Signale an einen zentral positionierten Detektor. Dabei wird das störende Licht des Sterns geschickt ausgelöscht.
Neben der Befriedigung der wissenschaftlichen Neugier, welches weitere Ziel verfolgt man mit dem neuen Zentrum?
«Fast täglich erhalte ich per E-Mail Fragen zur Entstehung und Verbreitung des Lebens», sagt Nobelpreisträger Queloz. «Wenn Doktoranden zu mir kommen, fragen sie fast immer: Haben Sie ein Projekt in Zusammenhang mit Leben?» Dieses Thema sei heute allgegenwärtig, und daher sei sein Ziel im Rahmen des neuen Zentrums sehr einfach: «Ich möchte den Enthusiasmus dieser Nachwuchsforscher stillen. Wir haben grossartige Projekte mit vielen Möglichkeiten und mit einem interdisziplinären Ansatz.»
Welchen Nutzen hat die Gesellschaft von dieser Forschung?
Welche praktischen Anwendungen konkret aus der Suche nach dem Ursprung des Lebens hervorgehen werden, lässt sich natürlich nicht sagen. «Aber ganz generell ist Grundlagenforschung essenziell, um die Gesellschaft voranzubringen», sagt Magnabosco. Als aktuelles Beispiel nennt sie den PCR-Test auf das Coronavirus, der letztlich auf die Suche nach Extrembedingungen für Leben zurückgeht. 1966 fand der kürzlich verstorbene US-amerikanische Mikrobiologe Thomas Brock ein Bakterium, genannt Thermus aquaticus, das in heissen Quellen überlebt. «Ein aus dem Bakterium isoliertes hitzeresistentes Protein wurde dann verwendet, um die Polymerase-Kettenreaktion zu entwickeln, der zentrale Baustein des PCR-Tests.»
Kann man je absolut sicher sein, dass es da draussen im Weltall Leben gibt?
Was die Analyse der Atmosphäre von Exoplaneten betrifft: Nein. «Wissenschaft hat immer mit Wahrscheinlichkeit zu tun», sagt Vance. «100 Prozent Sicherheit über die Interpretation der Planetenatmosphäre ist niemals möglich.» Laut Queloz gebe es nur eine Möglichkeit, sicher zu sein: Indem man Proben in ein Labor auf der Erde holt. «Das geht aber nur beim Mars und der Venus, vielleicht bei den Monden Titan und Europa.» Daher sei es momentan eine unglaublich spannende Zeit, «genauso spannend wie beim Apollo-Programm zum Mond. Aber nicht, weil wir bemannt zum Mars gehen, sondern weil wir Bodenproben vom Mars auf die Erde bringen.» Zudem ist Queloz «absolut überzeugt, dass wir künftig Leben im Labor herstellen werden. Das mag vielleicht eine etwas schockierende Behauptung sein. Aber ich denke, es wird passieren. Warum sollte es nicht gehen? Es ist ja nur Chemie.»
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.