Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

US-Generalstabschef zwischen Befehl und Unabhängigkeit
«Wir sind die Jungs mit den Knarren»

General Mark Milley bei der Anhörung vor dem Senat.
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Mark Milley ist ein gebildeter Mensch. Der Generalstabschef der Vereinigten Staaten hat drei Universitätsabschlüsse - nur einen weniger, als er Sterne auf den Schulterklappen trägt. Er hat in Princeton studiert, an der Columbia University und am Naval War College. In den letzten Tagen der Präsidentschaft von Donald Trump, als dieser im Weissen Haus wütete und vom gestohlenen Wahlsieg schwafelte, warnte Milley einmal in einem Gespräch mit Mitarbeitern vor einem «Reichstag-Moment» in den USA – einem gewalttätigen Zwischenfall, den Trump nutzen könnte, um einen Putsch zu versuchen. Der abgewählte Präsident, der seine Niederlage nicht eingestehen wolle, predige «die Lehre des Führers», soll Milley damals gesagt haben.

Um so reden zu können, braucht man gewisse historische Kenntnisse. Muss man erstens wissen, dass es ein Gebäude namens Reichstag gibt. Man muss zweitens wissen, dass dieses Gebäude im Februar 1933 gebrannt hatte, und drittens, wie besagter «Führer» diesen Brand zum Vorwand genommen hatte, um seine Diktatur zu festigen. Und man kann auch annehmen, dass General Milley sich der unrühmlichen Rolle des deutschen Militärs bei diesen Vorgängen bewusst ist. Er jedenfalls hat für sich den Schluss gezogen, dass Amerikas Militär sich im Ernstfall anders verhalten würde. Trump und seine «Braunhemden» könnten ja versuchen, die Macht an sich zu reissen, sagte er Ende 2020 zu einem Freund. «Aber sie werden es verdammt noch mal nicht schaffen. Wir sind die Jungs mit den Knarren.»

Mutige Lokalpolitiker

Es bedurfte dann zwar nicht der Knarren der Armee, um Trump zu stoppen. Das übernahmen ein paar mutige republikanische Lokalpolitiker in den wahlentscheidenden Bundesstaaten sowie der Oberste Gerichtshof in Washington. Aber es ist schon bemerkenswert, zu sehen, wie ein Mann, dessen Beruf es ist, die Vereinigten Staaten gegen Bedrohungen zu verteidigen, die Lage in jenen angespannten Tagen nach der Wahl und den Geisteszustand des Präsidenten eingeschätzt hat.

General Milley weiss aber natürlich auch, dass die USA im Jahr 2021 nicht mit Deutschland im Jahr 1933 gleichzusetzen sind. Und er weiss, dass in einer Demokratie die zivile Kontrolle über das Militär ein hochheiliges Prinzip ist. Ein Offizier, der in dem Ruch steht, parteipolitische Vorlieben mit seiner Arbeit zu vermischen, ist auf dem Posten, den Milley innehat, inakzeptabel.

Es war daher kein Zufall, dass Milley diesen Grundsatz bei seiner Befragung im Verteidigungsausschuss des US-Senats am Dienstag gleich mehrmals betonte. Vordergründig ging es in der Anhörung darum, was beim Abzug der Amerikaner aus Afghanistan schiefgelaufen ist und ob Milley im vergangenen Dezember und Januar womöglich einige unautorisierte Telefonate mit seinem chinesischen Kollegen geführt hatte. Dazu erfuhren die Amerikaner allerdings wenig Neues.

Milley widersprach Bidens Behauptung, der Generalstab habe ihm einstimmig dazu geraten, alle Soldaten aus Afghanistan abzuziehen.

Stattdessen nutzte Milley seinen Auftritt vor allem, um seine Unabhängigkeit zu demonstrieren und so die Armee, sofern möglich, aus dem parteipolitischen Alltagshickhack herauszuhalten, das Washington vergiftet. «Ich glaube fest daran, dass die zivile Kontrolle über das Militär eines der Grundprinzipien dieser Republik ist, und ich bin entschlossen, sicherzustellen, dass das Militär sich aus der Innenpolitik heraushält», versicherte er an einer Stelle. Wie es ist, in die Innenpolitik hineingezogen zu werden, hat Milley im Protestsommer 2020 erlebt. Damals musste er an der Seite Trumps vom Weissen Haus zu einer nahegelegenen Kirche laufen - über einen Platz, von dem zuvor mit grosser Brutalität Hunderte Demonstranten weggeknüppelt worden waren. Milley stand an jenem Tag in Tarnuniform neben dem Präsidenten, der eine Bibel in die Höhe hielt. Es war ein bizarrer Auftritt, für den der General sich - sehr zur Wut Trumps - später entschuldigte. Gut möglich, dass Milley damals eine Ahnung bekam, wozu Trump fähig sein könnte.

Donald Trump predige «die Lehre des Führers», soll Mark Milley einmal gesagt haben. 

Am Dienstag bemühte sich Milley allerdings auch, nicht als allzu enger Freund des jetzt amtierenden Präsidenten Joe Biden zu erscheinen. So widersprach er zum Beispiel Bidens Behauptung, der Generalstab habe ihm einstimmig dazu geraten, alle Soldaten aus Afghanistan abzuziehen. Das stimme so nicht, sagte Milley am Dienstag unter Eid, er habe dem Präsidenten stets vorgeschlagen, 2500 bis 3500 GIs in Afghanistan zu belassen. Ebenso wenig wollte Milley Bidens Charakterisierung des Abzugs aus Kabul und der Luftbrücke, über die im August mehr als 100’000 Menschen aus Afghanistan ausgeflogen und vor den Taliban in Sicherheit gebracht worden waren, als «ausserordentlichen Erfolg» übernehmen. Das könne man vielleicht als «logistischen Erfolg» bezeichnen, aber der Krieg in Afghanistan habe dennoch als «strategischer Fehlschlag» geendet, sagte Milley.

Die Fangfrage des Senators

Doch immer wenn die republikanischen Senatoren versuchten, Milley zum Kronzeugen für ein angebliches Versagen Bidens zu machen, wich der General aus. An der Niederlage in Afghanistan sei längst nicht nur Biden schuld, sagte er, da trügen auch dessen Vorgänger im Präsidentenamt Verantwortung; unter anderem Trump, der die afghanische Armee durch sein Abzugsabkommen mit den Taliban demoralisiert habe. Diese sei dann geradezu zerschmolzen, anstatt zu kämpfen. «Dieses Ergebnis hat sich über zwanzig Jahre hinweg aufgebaut, nicht über zwanzig Tage», sagte Milley. Über die Mitschuld einer langen Reihe von Generälen im Pentagon, im US-Zentralkommando und in Afghanistan am Misserfolg des Kriegs redete Milley freilich nicht.

Warum er nicht zurückgetreten sei, als Biden seinen Rat ignoriert habe, einige Tausend GIs in Afghanistan zu belassen, wurde Milley von dem republikanischen Senator Tom Cotton gefragt, der selbst ein Kriegsveteran ist. Vielleicht war das als Fangfrage gemeint. Milley nutzte sie jedoch als Vorlage, um noch einmal die politische Neutralität des Militärs zu betonen. Er gebe dem Präsidenten militärische Ratschläge, der Präsident treffe die Entscheidungen, so sehe die Verfassung das vor, sagte er. Sein Vater, der im Zweiten Weltkrieg als Sanitäter bei der Marine-Infanterie gedient hatte, habe damals auch nicht zurücktreten können, ebenso wenig die Marines, die am Flughafen in Kabul durch einen Attentäter getötet worden seien. Wie käme er also dazu, beleidigt zurückzutreten, weil ihm eine Entscheidung nicht gefalle? «Dieses Land will keine Generäle, die sich überlegen, welche Befehle sie ausführen wollen und welche nicht», sagte Milley.

Das stimmt einerseits. Andererseits ist es erst ein paar Monate her, dass General Mark Milley genau darüber nachgedacht hat.