Mutmassliches Kriegsverbrechen 1944«Wir haben den Befehl bekommen, sie zu erschiessen»
Ein 98-jähriger Franzose bricht sein Schweigen über die Erschiessung von Kriegsgefangenen im Zweiten Weltkrieg. Frankreich ordnet nun die Suche nach dem Massengrab an.
Fast acht Jahrzehnte hat er gewartet. So lange, bis er der letzte Augenzeuge war. Nun hat der 98 Jahre alte Franzose Edmond Réveil von einem mutmasslichen Kriegsverbrechens berichtet, von dem bislang kaum jemand etwas wusste. Es geschah wenige Tage nach Massakern der Waffen-SS im Juni 1944 in Tulle und Oradour-sur-Glane.
Allerdings waren in diesem Fall französische Widerstandskämpfer die mutmasslichen Täter. Sie sollen 47 Wehrmachtssoldaten und eine der Kollaboration verdächtigte Französin am 12. Juni 1944 in einem Waldgebiet nahe des Dorfes Meymac im Limousin erschossen haben.
Der damals 19 Jahre alte Réveil gehörte einer Widerstandsgruppe an, die bei einem Angriff auf deutsche Soldaten in Tulle zahlreiche Gefangene gemacht hatte. Sie zogen sich mit ihnen in ein schlecht zugängliches Waldgebiet zurück. «Wir wussten nicht, was wir mit ihnen machen sollten», erinnert sich Réveil in einem am Montagabend veröffentlichten Interview mit der Zeitung «La Montagne».
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«Wir haben den Befehl bekommen, sie zu erschiessen», berichtet er. Jeder von ihnen habe einen der Deutschen töten sollen. Da niemand die Frau erschiessen wollte, sei einer ausgelost worden. «Wir haben sie alle gezwungen, ihr eigenes Grab auszuheben. Dann haben wir Kalk hinein geschüttet. Es roch nach Blut», berichtet er. «Und dann haben wir nie wieder darüber gesprochen.»
Massaker der SS an der Bevölkerung
Der Angriff der Partisanen in Tulle hatte eine massive Vergeltungsaktion durch die SS nach sich gezogen, bei der 99 Zivilisten öffentlich erhängt wurden, an Balkonen und Laternenpfählen. Einen Tag später verübte die Waffen-SS ein weiteres Massaker an dem ohne besonderen Grund ausgewählten Ort Oradour-sur-Glane, der rund hundert Kilometer entfernt liegt. Dort wurden 643 Dorfbewohner auf grausame Weise getötet.
Zu diesem Zeitpunkt waren die Partisanen aus Tulle mit ihren Gefangenen auf der Flucht ins Hinterland. Von den Massakern hatten sie vermutlich gehört. Aber es habe auch logistische Gründe für die Exekution der Deutschen gegeben, sagt der belgische Historiker Bruno Kartheuser. «Man war auf so viele Gefangene nicht vorbereitet», sagt Kartheuser, der als einer der wenigen zur Erschiessung der deutschen Soldaten in der Nähe von Meymac recherchiert hat.
«Die Résistance wusste oft nicht, was sie mit Gefangenen machen sollte», sagt auch der Potsdamer Historiker Peter Lieb. «Das ist definitiv ein Kriegsverbrechen.» Nach seinen Forschungen wurden im Spätsommer 1944 insgesamt 350 deutsche Soldaten durch französische Widerstandskämpfer erschossen, etwa in Vieugy und Les Rousses im Osten des Landes.
Der Fall von Meymac, den seine Recherchen nicht umfassten, sei aber ungewöhnlich, weil die Zahl hoch sei und die Alliierten erst wenige Tage zuvor in der Normandie gelandet seien. Dass die Zeitzeugen aber das Ereignis verschwiegen haben, wundert die Historiker nicht. «Man wollte im wahrsten Sinne Gras drüber wachsen lassen», sagt Lieb.
Réveil zeigt sich heute schuldbewusst. «Es war falsch, Kriegsgefangene zu töten», sagt der 98-Jährige. Er wolle aber davon erzählen, damit die Nachfahren der Getöteten davon erfahren.
«Frankreich ist verpflichtet, die sterblichen Überreste zu überführen», sagte Xavier Kompa, Leiter der örtlichen Veteranen-Behörde. Die französischen Behörden wollen in den kommenden Wochen das Massengrab suchen und die Überreste der Kriegstoten bergen. Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, der sich um Kriegstote kümmert, soll dafür demnächst ein Bodenradar nach Frankreich schicken.
Bereits 1967 hatte es eine Ausgrabung gegeben, bei der die Überreste von elf Getöteten gefunden worden waren. Doch damals war die Zeit der Aufarbeitung offenbar noch nicht reif. «In unserem Archiv findet sich keine Spur davon», sagt der Bürgermeister von Meymac, Philippe Brugère.
AFP/aru
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