Kommentar zu ungerechter EheWir brauchen eine umfassende Gesetzesrevision
In Sachen Gleichberechtigung legt die Ehe für alle grossen Reformbedarf offen. Nicht nur, wenn es um die Witwenrente geht.
Die Gesellschaft hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Auch das Parlament ist bei den Wahlen im Herbst 2019 jünger und grüner geworden. Es ist eine Folge des neuen Zeitgeistes. Grüne Politik und gesellschaftspolitische Öffnung sind die Themen. Selbst eine Gesetzesänderung von epochaler Tragweite wie die Ehe für alle wird im Nationalrat nach nur einstündiger Diskussion mit grosser Mehrheit verabschiedet.
Die Betroffenen und ihre Befürworter sind ungeduldig, sie haben lange gewartet. Es muss jetzt schnell gehen. Doch das hohe Tempo bei der Ehe für alle legt offen, wie veraltet unsere Gesetze in weiten Teilen sind. Es ist relativ einfach, schwulen und lesbischen Paaren das Heiraten zu erlauben. Doch alle mit der Ehe-Öffnung zusammenhängenden Fragen zu regeln, etwa im Sozialversicherungsrecht, im Abstammungsrecht oder beim Fortpflanzungsmedizingesetz, das kann Jahrzehnte dauern. Beispielsweise muss geklärt werden, wie das Recht eines Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung trotz liberalisiertem Eherecht gewahrt bleiben kann.
Teile des Zivilrechts sind aus der Zeit gefallen, oder anders gesagt: Die Zeit ist dem Gesetz davongerannt. Die Witwenrente ist nur ein Beispiel dafür. Die meisten Leute sind sich gar nicht bewusst, dass verwitwete Frauen immer noch viel besser abgesichert sind als verwitwete Männer. Es gibt keine guten Gründe mehr dafür, da heute Frauen berufstätig sein können und im Todesfall des Partners meist allein durchkämen. Gleichstellung ist auch bei den Hinterlassenenrenten überfällig, und wahrscheinlich wäre dieser Schritt mittlerweile mehrheitsfähig. Frühere Versuche sind gescheitert.
Über die Witwenrenten hinaus braucht es eine umfassende Gesetzesrevision, die den heutigen Lebensformen Rechnung trägt und ebenso die Interessen der Kinder wahrt wie diejenigen ihrer Eltern und der Paare ganz allgemein. Etwa der Tatsache, dass immer weniger heiraten, sich aber dennoch gegenseitig absichern wollen. Eine solche umfassende Gesetzesrevision ist eine Herkulesaufgabe, welche die Verwaltung bereits in Angriff nimmt. Es laufen Evaluationen für ein zeitgemässes Fortpflanzungs- und Abstammungsrecht, vor dem Hintergrund der Ehe für alle. Sie wird wohl noch manche Überraschung in Form veralteter Gesetze zutage fördern.
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