Kommentar zum Olympia-Entscheid Der Schweiz werden die Schwächen schonungslos aufgezeigt
Das IOK bescheidet dem Schweizer Projekt für Winterspiele 2030 Potenzial, kritisiert aber fehlende Unterstützung von Bevölkerung und Politik. Nun geht es um die Austragung 2038.
Noch am Freitag hatte Urs Lehmann, der Präsident von Swiss-Ski und Hauptinitiant von Olympischen Winterspielen in der Schweiz, Tränen in den Augen. Einstimmig stand das Sportparlament hinter dem vorgelegten Projekt 203x. Und Lehmann glaubte dem IOK, das wiederholt betont hatte, es wolle künftig während der Bewerbungsphase keine Verlierer mehr produzieren.
Nicht einmal eine Woche später sind Swiss Olympic und die Schweiz aber genau das: die Verlierer – auch wenn sich niemand so bezeichnet. Das Exekutivkomitee des IOK hat in Paris entschieden, das letzte Stück des Weges zur Wahl für die Winterspiele 2030 einzig mit Frankreich zu gehen. Vom Potenzial des Schweizer Projekts zeigte es sich überzeugt und lud Swiss Olympic zum «privilegierten Dialog» für die Spiele 2038 ein – wenn die Hausaufgaben gemacht würden.
Die Kritik: Sportstätten verstreut über das ganze Land, ohne olympische Dörfer kein olympischer Geist, zu wenig Unterstützung aus der Bevölkerung – und vor allem aus der Politik. Bis 2027 hat Swiss Olympic nun Zeit, seine Vision zu überarbeiten.
Das IOK scheint den Weg des geringsten Widerstands gegangen zu sein.
Der Entscheid des IOK hat etwas Irritierendes. Obwohl im nächsten Jahr die Sommerspiele in Paris stattfinden, sollen nur sechs Jahre später im selben Land Winterspiele zur Austragung gelangen. Mit den Schneesportarten in den französischen Alpen und den Eis-Disziplinen am Mittelmeer um Nizza. Eine solche Abfolge wäre in den vergangenen Jahrzehnten nicht möglich gewesen, die Maxime war, die Spiele zwischen den Kontinenten rotieren zu lassen. Nun scheint das IOK den Weg des geringsten Widerstands gegangen zu sein. Und: Mit der Agenda 2020+5 verschafft sich das IOK mehr Freiheit, nachdem es zuletzt an Interessenten für den Mega-Event gemangelt hat.
Vor einem Jahr noch stand Präsident Thomas Bach für die Winterspiele 2030 mit leeren Händen da – die Zeit drängte, Bewerber waren keine in Aussicht. Schuld daran hatte auch das hemmungslose Bauen von später ungenutzten Sportstätten in Russland, China und auch Südkorea. Defizite in Milliardenhöhe, die auf Steuerzahlende abgewälzt wurden, schreckten ab. Wer wollte sich da noch die Finger verbrennen?
In der Schweiz sind Referenden möglich – ein grosses Risiko für das IOK.
Dass Gespräche in der Not mit Swiss Olympic dann in kurzer Zeit zu einem relativ konkreten Projekt führten, war Bachs Glück. Die Schweizer signalisierten, in den kommenden Jahren ohnehin bis zu zehn Welt- und Europameisterschaften in Wintersportarten durchzuführen, deshalb über Erfahrung und Potenzial zu verfügen. Sie signalisierten, mit dezentralen Spielen einen neuen Weg gehen zu wollen, dass man das erste «Host-Country», das erste Land, das Spiele durchführt, sein könne. Dazu scheint das IOK noch nicht bereit. Wenngleich nun die Spiele in Frankreich um einiges dezentraler wirken.
Dass es die Schweiz nicht in die letzte Runde schaffte und sich nun in einem «privileged dialogue» wiederfindet, zeigt einerseits die Unberechenbarkeit des IOK, das sich nicht verpflichtet fühlte, dem ersten Interessenten den Weg zu ebnen. Es zeigt aber auch die Schwäche, mit der die Schweiz angetreten ist: Im Gegensatz zu Frankreich, wo sich Präsident Macron schnell mit seiner finanziellen Garantie hinter das Vorhaben stellte, sind in der Schweiz Referenden möglich. Für das IOK sind sie ein grosses Risiko. Für die Bevölkerung in unserem Land aber ein absolutes Must.
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