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Sein Biograf erklärt Reizfigur Djokovic
«Als Schweizer wäre Novak anders wahrgenommen worden»

Novak Djokovic of Serbia pretends to play a violin after defeating Holger Rune of Denmark in their fourth round match at the Wimbledon tennis championships in London, Monday, July 8, 2024. (Mike Egerton/PA via AP)
Novak Djokovic
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In Roland Garros gab Novak Djokovic vor dem Viertelfinal wegen eines Meniskusrisses Forfait, in Wimbledon traf es nun seinen Gegner: Alex De Minaur musste für den Viertelfinal gegen den Serben wegen einer Hüftverletzung passen. Damit fehlen dem 37-Jährigen nur noch zwei Siege zum achten Wimbledon-Titel. Djokovic sorgt wie meist nicht nur für sportliche Schlagzeilen. Nach seinem Sieg über Holger Rune verhöhnte er das Publikum. Wie tickt dieser Mann? Der Brite Mark Hodgkinson (44) hat ein lesenswertes Buch über ihn geschrieben: «Searching for Novak – The Man Behind the Enigma». Im Interview erklärt er den Serben.

Herr Hodgkinson, früher verteilte Novak Djokovic Kusshändchen, jetzt verhöhnt er das Publikum wie nach seinem Match gegen Holger Rune und läuft er beim BBC-Interview davon. Hat er sein Bestreben aufgegeben, jedermanns Liebling zu sein?

Er dachte wohl: Jetzt ist es einmal zu oft passiert, jetzt sage ich mal etwas. Es war nicht ganz klar, ob es tatsächlich Buhrufe gab oder ob die Leute einfach nur «Ruuuune!» riefen. Aber es ist sicher so, dass man ihm im Centre Court nicht so günstig gesinnt ist. Sein langjähriger Fitnesstrainer Gebhard Gritsch, der ja nun wieder dabei ist, sagte mir, die Menschen würden Novak sonst auf der Anlage viel wärmer begegnen. Aber in den Hauptarenen, wo man mehr Leute vom Establishment antrifft, die Reicheren, sieht man ihn kritischer als auf dem Henman Hill. Wieso auch immer.

Trifft ihn das?

Jeder Mensch wünscht sich Liebe und Anerkennung. Aber bei Novak ist es so, dass ihm ja auch hilft, wenn das Publikum gegen ihn ist. Das stachelt ihn an. Wäre die Atmosphäre immer ganz friedlich bei seinen Matchs, würde ihm das wohl nicht entgegenkommen. Ich glaube, manchmal tut er gewisse Dinge, um das Publikum absichtlich zu provozieren. Wenn ihn die Zuschauer anfeinden, schöpft er daraus Energie. Er tut das wohl mehr instinktiv. Ich denke nicht, dass er das plant. Es passiert aus dem Moment heraus.

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Ist er heute authentischer als früher?

Seine Persönlichkeit hat sich mit den Jahren sicher etwas verändert. Aber das ist ganz normal. Wenn du mit 37 immer noch genau so bist wie mit 20, machst du etwas falsch in deinem Leben. Ja, ich würde sagen, er ist authentischer geworden. Aber das trifft wohl auf die meisten Menschen zu, wenn sie älter werden. Nicht nur auf jene, die in der Öffentlichkeit stehen.

Sie haben ein Buch über Novak Djokovic geschrieben, das nun während Wimbledon herausgekommen ist. 2016 veröffentlichten Sie schon ein Buch über Roger Federer: «Fedegraphica». Ist es nicht ein Sakrileg, als Autor eines Federer-Buchs nun eines über Djokovic zu schreiben?

(lacht) Ich denke nicht. Man darf unterschiedliche Spieler zu unterschiedlichen Zeiten schätzen. Ich genoss es, über Roger zu schreiben, und schaute ihm sehr gern zu. Wie elegant er spielte. Aber die Geschichte von Novak ist noch etwas spektakulärer, denke ich. Ich reiste nach Belgrad und schaute mir die Bunker an, in denen er 1999 während der Nato-Bombardemente im Jugoslawienkrieg Unterschlupf fand. Wie weit er es von da geschafft hat, ist schon bemerkenswert.

Haben ihn jene traumatischen Erfahrungen zu dem Champion gemacht, der er heute ist?

Einige sagen, sie hätten einen sehr grossen Einfluss darauf gehabt, wie er geworden ist. Anfangs war er sehr, sehr wütend. Als Teenager wurde er von dieser Wut getrieben. Aber irgendwann merkte er: Wenn ich mein ganzes Leben wütend bleibe, wird mich das hemmen. Er lernte zu vergeben, was für ihn sehr wichtig war. Die schwierigen Umstände in seiner Kindheit haben sicher sein Denken geprägt. Wäre er der Gleiche geworden, wenn er wohlbehütet in einem reichen Land wie der Schweiz aufgewachsen wäre? Darüber kann man nur spekulieren. Sein guter Freund Janko Tipsarevic sagte, er wäre auch der beste Spieler aller Zeiten geworden, wenn er in den USA als Sohn von Jeff Bezos (dem Amazon-Gründer, Anm. d. Red.) aufgewachsen wäre.

Sie sprechen gerade aus, was Sie auch in Ihrem Buch immer wieder schreiben: dass Djokovic der Goat ist, der beste Spieler aller Zeiten. Ist er nicht eher der Boat, der Beste? Ist der Grösste nicht der, der den grössten Einfluss auf den Sport hatte? Also Roger Federer?

Das ist eine subjektive Einschätzung. Nach welchen Kriterien soll man das beurteilen? Nach den Followern auf Instagram? Wie elegant jemand seine Rückhand spielt? Roger ist ein grossartiger Kerl, und es war wunderbar, ihm zuzuschauen. Aber ich orientiere mich an dem, was man messen kann. Djokovic hat 24 Grand-Slam-Titel gewonnen, und es könnten noch mehr werden. Er hat das geschafft, obschon er aus sehr schwierigen Umständen kam. Das ist höchst bemerkenswert. Ich finde, man sollte bei der Frage nach dem Grössten nach den Zahlen gehen. Die sprechen für Novak. Und wenn er am Sonntag seinen 25. Grand-Slam-Titel gewinnt, steht er auch vor Margaret Court.

epa10733333 Novak Djokovic of Serbia reacts after winning against Stan Wawrinka of Switzerland in their Men's Singles match at the Wimbledon Championships, Wimbledon, Britain, 07 July 2023.  EPA/NEIL HALL   EDITORIAL USE ONLY

Lassen wir das einmal so stehen. Dann die Frage: Was hat Djokovic dem Tennis gebracht?

Dass man die Dinge auch anders machen kann. Anders als die meisten anderen hatte er seine grösste Krise nach seinem grossen Durchbruch. Nachdem er am Australian Open 2008 seinen ersten Grand-Slam-Titel gewonnen hatte. 2010 verlor er in Roland Garros gegen Jürgen Melzer. Er weinte tagelang, so sehr nahm ihn das her. Dann veränderte er seine Essgewohnheiten, stellte auf glutenfreie Nahrungsmittel um. Das mag heute nicht mehr so revolutionär klingen. Heute kannst du in jeden Supermarkt gehen und findest ein Regal mit glutenfreien Produkten. Aber zu jener Zeit war das noch sehr selten. Er suchte immer nach neuen Wegen.

Wie als er 2010 am US Open einen Anhänger mit einer Überdruckkammer neben der Anlage aufstellte und diese besuchte, um sich schneller zu erholen?

Genau. Er tat Dinge, die vor ihm noch niemand getan hatte. Das musste er auch. Wenn er alles gleich gemacht hätte wie Roger und Rafa, hätte er sie nie übertrumpfen können.

Auch bei der Corona-Impfung tanzte Djokovic aus der Reihe. Und er ging so weit, dass er dafür Grand-Slam-Turniere verpasste und 2022 aus Australien deportiert wurde. Woher kommt diese Starrköpfigkeit?

Er war schon immer skeptisch gegenüber Autoritäten. Er hat das Gefühl, dass die Regierungen versuchen, zu kontrollieren, wie die Menschen denken. Natürlich wusste er, dass es viel einfacher gewesen wäre, sich impfen zu lassen. Aber dann wäre er sich untreu geworden. Er stemmt sich gegen den Mainstream. Mit allen Konsequenzen. Und ich glaube, es hat ihn sogar noch stärker und entschlossener gemacht, dass er 2022 aus Australien ausgewiesen wurde.

Als Djokovic begann, Grand-Slam-Titel zu gewinnen, war er der Partycrasher, der in die Rivalität zwischen Roger Federer und Rafael Nadal platzte. Wäre er anders wahrgenommen worden, wenn er zu einer anderen Zeit gespielt hätte? Positiver?

Ich bin mir sicher, dass das ein Faktor ist. Aber auch der Fakt, dass er aus dem Osten stammt, aus Serbien, mit der ganzen Geschichte dieses Landes, hat eine Rolle gespielt. Ich glaube, wenn er Schweizer, Spanier, Amerikaner oder Brite gewesen wäre, hätte man ihn anders gesehen. Interessant ist ja, dass er 2006 sehr nah dran war, Brite zu werden. Die Geschichte ist nicht ganz neu, aber ich habe neue Details darüber herausrecherchiert.

Welche?

An einem Dinner einige Tage vor der Davis-Cup-Begegnung zwischen Grossbritannien und Serbien-Montenegro in Glasgow sass Novaks Mutter neben Stuart Smith, dem Präsidenten des britischen Verbands. Er sagte, man hätte gern, dass Novak Brite werde. Und die Familie von Djokovic war durchaus interessiert, denn das hätte ihm viel bessere Möglichkeiten verschafft. Einige Wochen später machten Djokovics Eltern einen Rundgang durch den Hauptsitz des britischen Verbands in London. Dort sah sie ein serbischer Sicherheitsmann. Er erzählte dies einigen Freunden zu Hause, die Geschichte wurde öffentlich, und das schreckte die Familie Djokovic ab. Stellen Sie sich vor, Novak wäre damals Brite geworden. Die Tennisgeschichte wäre ganz anders verlaufen. Auch für Andy Murray. Aber ich denke, Novak hätte es nur wegen des Geldes getan. Denn er ist seinem Heimatland emotional sehr verbunden.

Serbia's Novak Djokovic interacts with his duaghter Tara on the Aorangi practise courts on the tenth day of the 2024 Wimbledon Championships at The All England Lawn Tennis and Croquet Club in Wimbledon, southwest London, on July 10, 2024. (Photo by ANDREJ ISAKOVIC / AFP) / RESTRICTED TO EDITORIAL USE

Federer sagte in der Doku über seine letzten zwölf Tage, Djokovic sei missverstanden worden. Sehen Sie das auch so?

Absolut. Man könnte sagen, dass er in vielerlei Hinsicht missverstanden wird. Soweit ich aus Gesprächen mit Leuten aus seinem Umfeld weiss, ist er ausserhalb des Platzes ganz anders. Man kann mit ihm über Kunst, Musik, Politik und Kultur reden. Aber die Leute beurteilen ihn danach, wie emotional er auf dem Court ist. Viel emotionaler als Roger und Rafa.

Nadal ist aber auch ziemlich emotional, nicht?

Ja, aber bei ihm sind es positivere Emotionen. Novak schlug im letztjährigen Wimbledon-Final mit seinem Racket an den Netzpfosten und hinterliess da eine kleine Delle. Wenn man das am US Open macht, ist das vielleicht okay. Aber hier finden das die Leute nicht so gut.

Wie würden Sie seine Beziehung zu Federer beurteilen?

Zeitweise war sie schwierig. Aber im Vergleich zu früheren Generationen kamen diese drei Jungs an der Spitze ziemlich gut miteinander aus. Und ihr Tennis sprach für sich selbst, da brauchte es nicht noch Konflikte, um ihre Duelle fesselnd zu machen. Was in der Federer-Doku interessant ist: Man sieht, wie Roger etwas zu Novak sagt und dieser danach zu weinen beginnt. Man weiss nicht, was es war. Aber es war ziemlich sicher ein Kompliment. Etwas, was er ihm zuvor noch nie gesagt hatte. Vielleicht, wie wichtig er in seiner Karriere für ihn gewesen war.

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Djokovic hat seit acht Monaten kein Turnier mehr gewonnen und scheint anfälliger für Verletzungen geworden. Wie lange kann er noch um grosse Titel mitspielen?

Das hängt natürlich von seiner Gesundheit ab. Sein Fitnesstrainer sagt, er sei in seinen Bewegungen noch präziser als früher. Natürlich ist er älter geworden, aber er ist unglaublich diszipliniert. Dazu eine witzige Episode, die mir einer seiner Trainer erzählte: Vor einigen Jahren sassen sie beim Mittagessen, als Novaks Handyalarm losging. Sein Trainer fragte ihn, wofür dieser Alarm sei. Novak sagte: «Jetzt ist es genau ein Jahr her, dass ich das letzte Mal Schokolade gegessen habe.» Er ist bestimmt kein normaler 37-Jähriger.

Was können wir von Djokovic lernen?

Dass man es weit bringen kann, wenn man immer dranbleibt. Dass man nicht akzeptieren muss, dass die Dinge auf eine gewisse Art und Weise gemacht werden. Dass man neue Wege suchen kann, auch wenn einen die anderen für verrückt halten. Wenn es für dich funktioniert, dann tu es.