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Verwirrung um Bachmut
Was Selenski gesagt hat – und was nicht 

Missverstanden: Wolodimir Selenski, hier beim G-7-Gipfel mit US-Präsident Joe Biden. 
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Es war eine scheinbar eindeutige Antwort auf eine eindeutige Frage: Ob die seit einem Jahr umkämpfte Stadt Bachmut noch von Kiew kontrolliert werde, fragte ein Reporter den ukrainischen Präsident Wolodimir Selenski auf dem G-7-Gipfel im japanischen Hiroshima: «Ist Bachmut noch in ukrainischen Händen? Die Russen sagen, dass sie Bachmut eingenommen haben.» 

Die Antwort Selenskis: «Ich glaube nicht» – und seine weiteren Sätze schienen zu bestätigen, dass der Präsident damit den Verlust Bachmuts bestätigt habe: «Da ist nichts, sie haben alles zerstört. Da sind keine Gebäude mehr. Es ist schade, es ist eine Tragödie, aber für heute ist Bachmut nur in unseren Herzen… Bachmut ist tot, und eine Menge toter Russen… Sie kamen zu uns. Unsere Verteidiger in Bachmut, sie haben starke Arbeit geleistet, und natürlich schätzen wir sie.»

Sprecher rudert zurück

Wenig später aber ruderte Selenskis Sprecher Serhi Nikiforow in Bezug auf die scheinbar eindeutige Aussage des Präsidenten via Facebook zurück: «Ich glaube nicht» sei tatsächlich die Antwort auf die Frage gewesen, ob die Russen Bachmut eingenommen hätten. Der ukrainische Generalstab beharrte in seinem Tagesbericht am Sonntagmorgen darauf, der Kampf um Bachmut «stoppt nicht». Armeesprecherin Anna Maljar zufolge hätten die Ukrainer Bachmut in eine Halbumkreisung genommen und kontrollierten weiter einen Teil der Stadt.

Freilich gibt es mittlerweile faktisch zwei Kämpfe um die früher einmal von 70’000 Menschen bewohnte Stadt in der Ostukraine. Der erste ist der um die Stadt selbst – den hatten die Russen in Gestalt der Wagner-Söldnergruppe schon vor Tagen faktisch gewonnen. Geolokalisierte Aufnahmen zeigten schon am 18. Mai, dass Wagner 95 Prozent Bachmuts kontrollierte und ukrainische Einheiten nur noch wenige Strassen und Wohnhäuser am westlichen Stadtrand, wie der «Kyiv Independent» überschlug. Es ist gut möglich, dass Wagner auch diese Strassen nun erobert hat. Kiew hat bei anderen Gelegenheiten – etwa im Januar beim Fall der Stadt Soledar an die Russen – einen Verlust erst mit Verzögerung zugegeben.

Ukrainische Gegenangriffe

Indes ist die militärische Lage im Fall von Bachmut kompliziert. Nördlich, westlich und südwestlich der Stadt haben im Gegenzug ukrainische Einheiten in den vergangenen Tagen nach übereinstimmenden, auch russischen Angaben erfolgreiche Gegenangriffe gestartet und mehrere Dörfer und insgesamt gut 20 Quadratkilometer zurückerobert. Der englischen Militäraufklärung zufolge hat Moskau in den letzten Tagen offenbar hastig mehrere Bataillone zur Verstärkung geschickt.

Ein weiteres Vordringen russischer Kräfte in Richtung der nächsten ukrainischen Städte Konstantinowka und vor allem zu den ukrainischen Hauptstützpunkten im Donbass – Kramatorsk und Slowjansk – scheint deshalb unwahrscheinlich. Freilich stufen ukrainische Fachleute ihrerseits auch die ukrainischen Angriffe lediglich als lokales Vordringen in der Region kämpfender Einheiten ein, nicht als den Beginn einer seit Wochen erwarteten Gegenoffensive, bei der neu aufgestellte, mit westlicher Technik ausgerüstete Brigaden zum Einsatz kommen sollen.

Das Institut für Kriegsstudien (ISW) analysierte, die von Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin und danach auch vom russischen Verteidigungsministerium und vom Kreml verkündete vollständige Einnahme Bachmuts sei «rein symbolisch, selbst wenn sie zutrifft». Denn die letzten Häuserblocks, die Russland nun erobert haben will, seien weder taktisch noch strategisch wichtig. Russlands Einheiten hätten kein «operativ bedeutsames Terrain zur Fortführung offensiver Operationen» gewonnen und seien ihrerseits weiter ukrainischen Gegenangriffen ausgesetzt – erst recht vor dem Hintergrund der ukrainischen Gegenangriffe um die Stadt. Das ISW bezweifelt auch, dass Wagner Bachmut tatsächlich nun der regulären russischen Armee übergeben und sich geordnet zurückziehen könne, wie von Prigoschin zum 25. Mai angekündigt.