Weltweit auf historischem Tiefstand Wieso die Medienfreiheit immer mehr unter Druck gerät
Der neue World Press Freedom Index warnt davor, dass autoritäre Regierungen, Desinformation, Propaganda und KI eine wachsende Bedrohung für den Journalismus darstellen.
Das 30-Jahr-Jubiläum des Internationalen Tages für Pressefreiheit gibt wenig Anlass für Freude: Der World Press Freedom Index von Reporter ohne Grenzen zeigt einen schockierenden Rückgang der weltweiten Pressefreiheit auf. In 31 Ländern wird die Situation der Medien als «sehr ernst» eingestuft – ein historischer Tiefstand, seit der Index erstellt wird.
Den Grund für die massive Verschlechterung der Pressefreiheit sehen die Autoren in der zunehmenden Aggressivität von autokratischen Regierungen gegenüber unabhängigen Medien, kombiniert mit einer Zunahme an «massiver Desinformation oder Propaganda». Der Unterschied zwischen wahr und falsch, echt und künstlich, Tatsachen und Erfundenem werde verwischt und gefährde das Recht auf Information. «Die beispiellose Möglichkeit, Inhalte zu manipulieren, wird genutzt, um diejenigen zu untergraben, die für Qualitätsjournalismus stehen, und den Journalismus selbst zu schwächen.»
In 42 Ländern wird die Situation der Medien als «schwierig», in 55 als «problematisch» und in 52 als «gut» oder «befriedigend» bezeichnet. Das Umfeld für den Journalismus ist daher in sieben von zehn Ländern «schlecht» und nur in drei von zehn zufriedenstellend. Laut der Unesco leben 85 Prozent der Menschen in Ländern, in denen die Medienfreiheit in den letzten fünf Jahren zurückgegangen ist.
Neuer Rekord an getöteten Journalisten
UNO-Generalsekretär António Guterres sandte in seiner Videoansprache zum Tag der Pressefreiheit mahnende Worte aus: «Die Wahrheit wird durch Desinformation und Hassreden bedroht. Die zunehmende Konzentration der Medienindustrie in den Händen einiger weniger, der finanzielle Zusammenbruch zahlreicher unabhängiger Nachrichtenorganisationen und eine Zunahme nationaler Gesetze und Vorschriften, die Journalisten unterdrücken, weiten die Zensur weiter aus und bedrohen die Meinungsfreiheit.»
67 Journalisten wurden 2022 im Rahmen ihrer Berufsausübung getötet, die höchste Zahl seit 2018, wie das Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ) in einem bereits Anfang Jahr publizierten Bericht festhielt. 15 Medienschaffende wurden während der Anfangsphase des Ukraine-Kriegs getötet, während der die russischen Streitkräfte die grössten Geländegewinne verzeichnen konnten. Von Ende Mai bis Dezember 2022 hat es laut dem Komitee keine arbeitsbezogenen Journalistenmorde mehr gegeben.
Neben dem Ukraine-Krieg ist der grösste Teil an Todesfällen von Medienschaffenden in Lateinamerika zu verzeichnen: 30 Journalisten wurden wegen Berichterstattungen zu Kriminalität, Korruption, Bandengewalt und Umwelt getötet. In Mexiko dokumentierte das CPJ insgesamt 13 ermordete Journalisten, die höchste Zahl, seit das Komitee 1992 mit der Erfassung von Gewalt gegen Medienschaffende begonnen hat. In drei der Fälle wurden die Journalisten als Vergeltung für Berichte über Kriminalität in der Politik getötet.
Steigende Bedeutung von künstlichen Intelligenzen
Bei der Verbreitung von Falschinformationen durch staatliche und private Akteure spielen künstliche Intelligenzen (KI) eine zunehmende Bedeutung: Laut Reporter ohne Grenzen waren in zwei Drittel der 180 untersuchten Länder politische Akteure häufig oder sogar systematisch an massiven Desinformations- oder Propagandakampagnen beteiligt. Hierbei kommen AI-Tools vermehrt zum Einsatz, um vermeintlich echt wirkende Inhalte zu erzeugen.
Die Studienautoren schreiben dazu: «Die Desinformationsindustrie verbreitet in grossem Umfang manipulative Inhalte, wie eine Untersuchung des Konsortiums Forbidden Stories, eines von Reporter ohne Grenzen mitbegründeten Projekts, zeigt. KIs verarbeiten Inhalte und spucken sie in Form von Synthesen wieder aus, welche die Grundsätze der Sorgfältigkeit und Zuverlässigkeit missachten.»
Auch in Bezug auf Pressebilder sehen die Autorinnen Gefahren durch künstliche Intelligenzen, da sie die Erzeugung von immer realer wirkenden Fälschungen erlauben, die es dem durchschnittlichen Internetnutzer immer schwerer machen, zwischen Fakt und Manipulation zu unterscheiden: «Die fünfte Version von Midjourney, einem KI-Programm, das auf Anfragen in natürlicher Sprache Bilder in sehr hoher Auflösung generiert, hat die sozialen Medien mit immer plausibleren und schwer als gefälscht zu identifizierenden Fotos versorgt, darunter recht realistisch aussehende Bilder von Donald Trump, der von Polizisten verhaftet wird, und von einem komatösen Julian Assange in einer Zwangsjacke, die viralgingen.»
Grosse Bewegungen im Ranking
Was die Rangliste der Länder anbelangt, weisen die Autoren des World Press Freedom Index auf die starken Schwankungen hin, die einzelne Länder in ihren Entwicklungen durchgemacht haben, während es bei den Ländern mit der ausgeprägtesten Pressefreiheit nur wenige Verschiebungen gibt. Norwegen belegt zum siebten Mal in Folge den ersten Platz. Irland schafft es auf Platz 2, gefolgt von Dänemark und den Niederlanden. Die Niederlande sind um 22 Plätze nach vorn gerutscht und haben damit die Position zurückgewonnen, die sie 2021, vor der Ermordung des Kriminalreporters Peter R. de Vries, gehabt hatten. Die Schweiz belegt bei der Pressefreiheit den 12. Platz. Im Vorjahr war sie auf der Rangliste noch auf Platz 14 gelandet.
Länder wie Brasilien und Senegal stehen laut Christophe Deloire, Generalsekretär von Reporter ohne Grenzen, dagegen für die zunehmende Volatilität in der Pressefreiheit, die durch eine gestiegene Medienfeindlichkeit in den sozialen Medien und die Einfachheit, Falschinformationen zu erzeugen und im Internet zu verbreiten, gekennzeichnet ist: «Brasilien konnte um 18 Plätze zulegen, und Senegal hat 31 Plätze verloren. Diese Instabilität ist das Ergebnis der zunehmenden Aggressivität seitens der Behörden in vielen Ländern und der wachsenden Feindseligkeit gegenüber Journalisten in den sozialen Medien und in der physischen Welt. Die Volatilität ist auch die Folge des Wachstums der Fake-Content-Industrie, die Desinformationen produziert und verbreitet und die Werkzeuge zu ihrer Herstellung bereitstellt.»
Die letzten Plätze der Liste belegen durchweg Regimes in Asien, etwa Vietnam (178). Hier sind «inhaftierte Medienschaffende teils entsetzlichen Haftbedingungen ausgesetzt: Sie werden misshandelt, isoliert und bekommen keine ärztliche Versorgung.» Weiter verschlechtert hat sich auch die Lage in China (179): In keinem Land sitzen mehr Journalistinnen und Journalisten wegen ihrer Arbeit im Gefängnis, gegenwärtig sind es mindestens 100. Recht erwartbar bleibt Nordkorea (180) auf dem letzten Platz, wo die Regierung keinerlei unabhängige Berichterstattung zulässt.
Zunehmende Propagandakriege
Immer mehr Regierungen führen Propagandakriege, um ihre Politik und deren Legitimierung rücksichtslos durchzusetzen, wie Reporter ohne Grenzen betont. So verschlechterte sich Russlands Position wenig überraschend auf den Platz 164: «Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine wurden fast sämtliche unabhängigen Medien verboten, blockiert und als sogenannte ausländische Agenten eingestuft.» Russlands Kriegsverbrechen in der Ukraine (Platz 79) trugen dazu bei, dass das angegriffene Land eine der schlechtesten Bewertungen des Index für Sicherheit für dort arbeitende Journalisten erhielt.
Im vergangenen Monat ist in Moskau ein Reporter des «Wall Street Journal», Evan Gershkovich, festgenommen worden. Er ist der erste US-Journalist, der seit dem Ende des Kalten Krieges wegen Spionage in Russland inhaftiert ist. Neben Gershkovich befinden sich seit Dezember 2022 mindestens 19 Journalisten in Russland in Haft, viele davon wegen ihrer Berichterstattung über den Krieg.
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