Konflikt in der OstukraineWieder eine Waffenruhe, die keine war
Sechs Jahre Krieg und keine Lösung in Sicht: Die ukrainische Armee wirft den prorussischen Separatisten vor, sich nicht an die vereinbarte Feuerpause zu halten.
Wieder haben die Menschen in der Ostukraine auf eine Feuerpause gehofft, wieder gibt es Verstösse, die Zweifel wecken, ob die Feuerpause diesmal hält. Sie sollte von Montag kurz nach Mitternacht an gelten. Mehr als 20 Anläufe hat es schon gegeben, die Gefechte in der umkämpften Region Donbass zu stoppen. Schwere Geschütze sollten auch diesmal aus den Ortschaften abgezogen werden, keine Drohnen mehr die Frontlinie abfliegen. Und Feuer sollten die Truppen nur noch nach Rücksprache mit der obersten Kommandoebene erwidern.
Doch die vergangene Woche zwischen den Konfliktparteien unter Vermittlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) vereinbarten neuen Regeln haben offenbar nur wenige Stunden gehalten. Schon Montagmorgen hätten die von Russland unterstützten Separatisten die Waffenruhe gebrochen, teilte der Oberkommandierende der ukrainischen Regierungstruppen mit, Generalleutnant Wolodimir Krawtschenko. Sie hätten ukrainische Stellungen mit Maschinengewehren und Mörsern beschossen. Niemand verbiete den Soldaten, in einer lebensgefährlichen Situation das Feuer zu erwidern, sagte er. Auch würden Drohnen weiterhin die Front abfliegen.
Streit um Regionalwahlen
Immer wieder wurden Vereinbarungen zu Waffenruhen gebrochen. Im Dezember noch hatten die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron versucht, aufs Neue Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine anzuschieben. In Paris hatten sie sich mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und seinem ukrainischen Amtskollegen Wolodimir Selenski getroffen. Schon damals war ein Waffenstillstand vereinbart worden als wichtigste Voraussetzung für einen zweiten Vierer-Gipfel im sogenannten Normandie-Format. Der sollte eigentlich bereits im Frühjahr stattfinden, wenn die Feuerpause ein paar Monate gehalten hat – wann und ob er nachgeholt werden kann, ist offen.
Zwar hatten Putin und Selenski am Wochenende miteinander telefoniert und sich öffentlich zu der Waffenruhe bekannt. Die beiden Präsidenten sprechen nicht häufig miteinander. Der Kremlchef liess Selenski nach dessen Wahl im Frühjahr 2019 beinahe drei Monate auf den ersten Anruf warten. Schon deswegen gilt jedes Gespräch als gutes Zeichen. Doch aus den Statements der beiden Seiten liess sich dieselbe Uneinigkeit herauslesen, die seit Jahren einer Lösung des Konflikts entgegensteht.
Der Kreml kritisiert den Kiewer Entschluss, im Oktober Regionalwahlen abzuhalten.
In der Mitteilung aus Kiew hiess es, beide Seiten hätten sich auf zusätzliche Massnahmen geeinigt, etwa wenn es darum geht, Minen zu entfernen, Geschütze und Soldaten abzuziehen, neue Kontrollpunkte entlang der Kontaktlinie einzurichten, Mitarbeiter des Roten Kreuzes zu den Gefangenen zu lassen. Laut Kiew sprachen die beiden Präsidenten nun auch über die lokale Selbstverwaltung bestimmter Distrikte in Luhansk und Donezk.
Im Statement aus dem Kreml war darüber allerdings nichts zu finden. Stattdessen kritisierte Putin den Kiewer Entschluss, im Oktober Regionalwahlen abzuhalten. Von ihnen sollen die selbst ernannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk ausgenommen werden. Aus Sicht der ukrainischen Regierung ein logischer Schritt: Freie und faire Wahlen erscheinen dort unmöglich, solange die Gebiete mit russischer Hilfe von abtrünnigen Rebellen kontrolliert werden. Kiew möchte erst die eigene Autorität in den Regionen wiederherstellen und die Kontrolle über die ukrainisch-russische Grenze zurückerlangen, bevor es dort Wahlen organisiert.
Politik der kleinen Schritte
Genau das ist einer der Streitpunkte, wenn es um die Auslegung des Minsker Friedensabkommens geht. Das sieht zwar auch lokale Wahlen vor sowie einen Sonderstatus für diese Regionen und eine Amnestie für die Separatisten. Moskau möchte all das aber am liebsten durchsetzen, solange die Gebiete unter russischem Einfluss stehen. Unter diesen Bedingungen könnten die jetzigen Machthaber durch Wahlen legitimiert werden.
In Paris hatte man auf diese grossen Fragen keine Antwort gefunden und einigte sich auf erste kleinere Schritte: Gefangenenaustausch, Waffenruhe, Rückzug von der Front. Hoffnung machte, dass beide Seiten bereits Ende Dezember insgesamt knapp 200 Gefangene freiliessen. Doch die Beobachter der OSZE berichteten schon bislang fast täglich von Verstössen gegen die Waffenruhe.
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